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Aus der Dorfkirche in die Semperoper

Der Neustädter Tom Adler will Dirigent werden. Sein Werdegang beginnt am Kopierer der Staatskapelle.

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© Robert Michael

Von Nancy Riegel

Berthelsdorf/Dresden. Künstler und Musiker sind ein Völkchen für sich. „Jeder hat da seine eigene Macke“, sagt Tom Adler und muss lachen. Schließlich gehört er jetzt, durch seinen Arbeitsplatz an der Semperoper, mit dazu, zu den Hochkulturellen in der Landeshauptstadt. Der 18-Jährige aus dem Neustädter Ortsteil Berthelsdorf absolviert ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) in der Notenbibliothek der Staatskapelle.

Und, wie sonderbar ist nun Tom Adler? Nun, während sich andere junge Menschen in seinem Alter auf Partys herumtreiben, freut er sich über Freikarten für Richard Wagners „Götterdämmerung“. Fünfeinhalb Stunden stillsitzen in der Semperoper. „Mir gefällt’s!“ Schließlich dirigiert Christian Thielemann. Ihn sieht der 18-Jährige als sein Vorbild. Spricht er von ihm, wirkt er dementsprechend immer ein wenig ehrfürchtig. „Er hat sich mir auch schon mal vorgestellt.“ Dass er, Tom, selber ein großes musikalisches Talent besitzt, hat er dabei verschwiegen. „Ich mache hier erst mal nur meine Arbeit.“

Penible Wagner-Fans

Und die spielt sich zwischen hohen Regalen voller Musikstücke ab. Tausende lagern davon in der Bibliothek. „Schwer einzuschätzen, wie viele es genau sind“, sagt die Leiterin Agnes Thiel. Es sind definitiv Millionen an Noten, zwischen denen sich der Berthelsdorfer wohlfühlt. Mit 13 brachte er sich das Orgelspielen selbst bei, wenig später gab er seine ersten Konzerte. Fast wöchentlich hört man ihn jetzt in einer der Kirchen in der Sächsischen Schweiz spielen. Außerdem dirigiert und singt er im Heimatchor Polenz, schreibt eigene Stücke und gibt Klavierkonzerte.

In der Semperoper muss er jetzt beweisen, dass er auch ein guter Bibliothekar ist. Seit 1. September gehört es zu seinen Aufgaben, Musikstücke für die Staatskapelle herauszusuchen, zu vervielfältigen und wenn nötig, zu überarbeiten. Er, der die meisten Stücke aus dem Kopf spielt – an die 300 Stück dürfte er auswendig können – muss plötzlich penibel mit Noten arbeiten. Jeder Bogen, jedes Vorzeichen muss sitzen. Das prüfen die Konzertmeister genau, denn: „Es gibt vor allem bei Stücken von Richard Wagner Zuhörer, die die Werke von vorne bis hinten auswendig können und denen jede kleine Abweichung auffällt“, sagt Tom Adler. So wie ihn, fügt er grinsend hinzu.

Mit dem FSJ will sich der 18-Jährige den Weg zu seinem Traumberuf ebnen, dem des Konzertdirigenten. Schon vor Wochen hat er sich eine Hospitanz bei dem israelischen Dirigenten Omer Meir Wellber zugesichert. Die startet im Dezember. Tom Adler kann dem jungen Talent dann zuschauen, wie er mit den Musikern der Staatskapelle eine Tschaikowsky-Oper einstudiert und aufführt. Tom sei der erste FSJler in der Notenbibliothek, der sich solch eine Chance gesichert hat, sagt Agnes Thiel.

Das allein reicht dem 18-Jährigen aber nicht als Vorbereitung für die Einstellungsprüfung des Dirigenten-Studiums an der Musikhochschule in Dresden. Seit zwei Jahren lässt er sich außerdem von einem der Professoren, Ekkehard Klemm, unterrichten. Von ihm weiß er, was für die Aufnahme an die Musikhochschule wichtig ist. Beim Dirigieren auf Feinheiten achten, zum Beispiel. Und das Klavierspielen exakt nach Noten.

Ja, Letzteres müsse er noch üben, gibt Tom zu, der bei seinen Auftritten selten ein Notenheft vor sich liegen hat. Zum Glück ist die Wohnung seines Kollegen so klein, dass dieser sein E-Piano mit in die Notenbibliothek gebracht hat. Darauf übt er, aber auch in seiner Wohnung in Neustadt. Die Nachbarn kennen das schon. Auch, dass der 18-Jährige Wagner laut aufdreht. „Seine Stücke müssen auch mal dröhnen.“

In einer kleinen Wohnung im dicht bevölkerten Dresden wäre das wohl so nicht möglich. Ein Grund, warum Tom es nicht eilig hat, aus seiner Heimat wegzuziehen. Und natürlich wegen seiner Verwurzelung. So oft wie möglich will er trotz des täglichen Fahrtwegs nach Dresden und der vielen Vorstellungen, die er nach der Arbeit in der Semperoper besucht, Konzerte geben. Das FSJ bringt ihn dabei auf neue Ideen und versorgt ihn gleich mit den passenden Noten. So plant er am 21. Dezember ein Konzert in der Lauterbacher Kirche unter dem Motto Märchen. Stücke aus „Der Nussknacker“ und „Dornröschen“ will er dann an der Orgel spielen. Außerdem aus der Oper „Hänsel und Gretel“. Die habe er mit drei Jahren rauf und runter gehört, erzählte er. Das ist eben Toms größte „Macke“: die Liebe zur klassischen Musik.