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Augenschmaus am Görlitzer Theater

Die Orpheus-Inszenierung im Theater spielt gegen das angegraute Image der Operette an. Das liegt auch an einem besonderen Quartett unter den Statisten.

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© Marlies Kross

Von Sebastian Beutler

Operette. Achje. Wer geht denn da noch hin? Das Vorurteil ist nicht auszurotten. Keine andere Gattung im Theater gilt als so angestaubt und angegraut. Dann sollte aber niemand in die neue Inszenierung von Offenbachs „Orpheus in der Unterwelt“ gehen. Doch hält sich das Theaterpublikum zum Glück nicht daran und kommt stattdessen in Scharen. Regisseur Steffen Piontek tut auch alles, um gegen das Vorurteil anzuspielen: Schickes Bühnenbild, die Götterwelt um Orpheus sehr irdisch, kurzweilige Aktionen. Dazu zählen auch vier Herren, die in sparsamer Arbeitskleidung, nur mit kurzem Rock und einer golden glitzernden Hose darunter, und dick eingeölt als Diener des Hades-Chefs Pluto über die Bühne marschieren. Ja wirklich marschieren, mechanisch, posenhaft – so räumen sie die Bühne ab, heben Eurydike in die Höhe und bieten den Gästen von Plutos Party den Gaumenschmaus an.

Lässige Pose: Tom Hohlfeld ist einer der vier Diener des Hades-Chefs Pluto.
Lässige Pose: Tom Hohlfeld ist einer der vier Diener des Hades-Chefs Pluto. © nikolaischmidt.de

Einer von ihnen ist Tom Hohlfeld, ein 21-jähriger Görlitzer. Ganz unbekannt war er schon bislang nicht. Im Sommer erhielt er den Lüders-Preis als Jahrgangsbester der Fachoberschule am Beruflichen Schulzentrum „Christoph Lüders“. Und für seine Gedichte, die er unter Tom von Hohlfeld schreibt und die Erika Lüders so ansprachen, dass sie den Preis ihrer Familie spontan splittete. Er organisierte schon Ausstellungen, las aus eigenen Texten. Jetzt studiert Hohlfeld Kommunikationspsychologie – doch deswegen bekam er nicht die Rolle.

Schon länger trainiert er zusammen mit Sven Tittmann, einem Technik-Mitarbeiter des Theaters, in einem Görlitzer Fitnessstudio. Zur Entspannung um runterzukommen und nebenbei auch für seinen Körper. Erste Fotostrecken sind in den vergangenen Jahren entstanden, Tittmann posierte auch schon mal im früheren Waggonbau-Werk an der Lüders-Straße. Jedenfalls kannten sich die beiden aus dem Studio. Dann sprach Tittmann noch Alexander Lange an, und Tom Hohlfeld brachte seinen Mitstudenten Franz Biermann mit – und das Quartett war vollständig. „Es hat sofort funktioniert“, erzählt Hohlfeld.

Honig und Ambrosia für Gott

Dabei musste er sich womöglich am meisten von allen überwinden, in dem knappen Lendenrock auf der Bühne zu stehen. „Eigentlich mag ich das nicht, mich so zu zeigen“, sagt er, „aber wenn ich mitspiele, dann schlüpfe ich ja in eine Rolle, werde zum Diener des Gottes, serviere Honig und Ambrosia, und bin eben nicht mehr Tom Hohlfeld.“ Er summt und singt das Stück vor sich hin, sieht Details, die anderen verborgen bleiben, erfreut sich am engen Kontakt mit Stefan Bley, neben dem er in der Maske sitzt.

Und Rollen spielen, das mag der Görlitzer sehr. Schon wenn man ihm begegnet, er mit „Bonjour Monsieur“ grüßt und auch im Gespräch einen hohen Ton anschlägt, dann ist er mitten in seinem Element. Der Poesie, der Kunst, des Weltveränderers. Andere würden seine Art womöglich „überspannt“ nennen, aber wer seine Gedichte auf seiner Internetseite liest, der bekommt eine Vorstellung von seinem Antrieb, der keine Oberflächlichkeit kennt. Andererseits weiß er auch, dass er als Model auf der Bühne von manchem auch als „Augenschmaus“ betrachtet wird, als ungewöhnlicher Hingucker.

Am vergangenen Sonntag sei es besonders krass gewesen: viele junge Besucher hätten gejubelt bei den Posen des Quartetts. Sie machen sich auch manchmal einfach einen Spaß daraus. Denn den wollen die vier Bodybuilder auch ausleben. Es spricht sich zunehmend herum, was sich bei Orpheus im Görlitzer Theater alles so abspielt. Obwohl es fast wie ein Trend auf deutschen Bühnen wirkt: So sucht die Dresdner Operette beispielsweise vier gut trainierte Männer, die im „Käfig voller Narren“ mit einem String-Tanga mitspielen. Auch wenn die vier beim Spiel kaum etwas im Saal sehen, weil die Scheinwerfer grell leuchten, so merken sie doch den Aufruhr, wenn sie aufmarschieren. „Das ist für das Auge sicher ein ziemlicher Paukenschlag“, weiß Hohlfeld sehr genau über die Wirkung des Quartetts zu reden.

Extra-Einlagen bei den Silvestervorstellungen

Seine Mitstudenten waren mittlerweile auch schon in der Vorstellung und sind, natürlich, des Lobes voll. Im nächsten Jahr geht es nach Zittau und Hoyerswerda mit der Inszenierung, insgesamt 13 Aufführungen sind bislang geplant – aber vielleicht werden es auch noch ein paar mehr angesichts des großen Erfolgs.

Nun freuen sich alle auf die Silvestervorstellungen. Die leben von den kleinen zusätzlichen Schwanks, die sich Schauspieler und Akteure einfallen lassen. Die Bodybuilder sind mit dabei. Was es sein könnte – darüber schweigt Hohlfeld freilich eisern.

Tom Hohlfeld und weitere junge Poeten lesen am 15. Dezember in der Galerie Alena auf der Langenstraße 12. Dabei sind auch Minnesänger und Trommler.