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Aufstieg mit einer Zitruspresse

Vater und Sohn Deharde haben die Lausitzer Früchteverarbeitung Sohland (Spree) in die erste Liga ihrer Branche gehievt. Jetzt wurden sie als Sachsens Unternehmer des Jahres ausgezeichnet.

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© Wolfgang Wittchen

Sohland. Ananas-Fips und Orangenperle: Diese beiden Durstlöscher holten den Geschmack ferner Welten in die DDR. Hergestellt wurden sie, wie auch Apfel- und andere Säfte, im Kombinat Lausitzer Früchte Sohland (Spree) – der Fips kam aus dem Stammbetrieb, die Perle aus dem Zweigwerk im benachbarten Oppach. Ihren Saft verloren die strohigen Cuba-Orangen aber auch in Sohland. Da hatten sie einen langen Weg hinter sich – erst mit dem Schiff aus der Karibik in den Rostocker Überseehafen, von dort per Zug in die Oberlausitz. Werner Deharde schmunzelt. „Hunderte Kilometer Bahnfahrt zu einer Zitruspresse. Unlogisch.“ Aber genau diese Unlogik führte den Unternehmer aus Bremen Anfang der 1990er-Jahre von der Weser an die Spree.

Es war die Zeit, als sich westdeutsche Firmenchefs mit der Frage begrüßten: Und, machst Du auch schon was im Osten? Werner Deharde, ein Mann an der Schwelle zur Vierzig, betrieb damals in seiner Heimatstadt Bremen ein Unternehmen, das Fruchtzubereitungen für Joghurts und andere Milchprodukte herstellte. Dafür brauchte er eine Anlage zur Verarbeitung von Zitrusfrüchten. So eine Anlage stand in Sohland, beim Ex-Kombinat Lausitzer Früchte. Deharde fuhr in die Oberlausitz – und fand einen Betrieb vor, der ihm aus drei Gründen gefiel: Er war auf technisch gutem Stand, außerdem nicht weit entfernt von Polen, woher Deharde viele Früchte bezog. Und vor allem: Das Sohlander Werksgelände bot viel Platz. Deharde wollte seinen Betrieb erweitern; in Bremen ging das nicht, aber in Sohland. Kurzerhand kaufte der Norddeutsche nicht nur die Zitruspresse, sondern das ganze Werk.

Für eine symbolische D-Mark

Wenn die heutige Lausitzer Früchteverarbeitung GmbH mehr als 300 verschiedene Artikel von Ananas-Fips bis Zitronenmus anbietet, dann war die Orangen-Unlogik der DDR-Wirtschaft dafür die erste Fügung. Für die zweite sorgte die Treuhand: Sie wollte Deharde den Sohlander Betrieb nur überlassen, wenn er auch eine Konservenfabrik in Zittau übernahm, die einst ebenfalls zum Früchte-Kombinat gehört hatte. Der Bremer kaufte die „Konserve“ zum symbolischen Preis von einer D-Mark. Die Mark legte er beim Notar auf den Tisch, der sie aber offenbar nicht an die Treuhand weiterreichte. Wochen später erreichte Deharde ein Mahnschreiben: Er sei mit sechs Mark im Rückstand – eine Mark für die Konservenfabrik plus fünf Mark Mahngebühr. Eine Episode, die der mittlerweile 66-Jährige gern zum Besten gibt.

Die Konservenfabrik war in Zittau Untermieter beim einstigen Lkw-Bauer Robur, der gerade abgewickelt wurde. Damit endete auch der Mietvertrag. Um die Arbeitsplätze und das Inventar zu retten, holte Werner Deharde die Konservenproduktion mit nach Sohland. Jetzt kamen aus der Gemeinde an der Spree außer Säften auch Gläser mit Apfelmus, eingelegten Gurken und vielem mehr.

Den größten Markt für die Zukunft aber sah – und sieht – der Unternehmer in Fruchtmischungen für Milchprodukte, Eiscreme und Backzutaten. 1998 holte Deharde dieses Geschäftsfeld in die Oberlausitz. Sein Werk in Bremen verkaufte er, behielt dort aber seinen Hauptwohnsitz. Das blieb so bis heute – nur sieht ihn das Haus in Bremen immer seltener. Alle paar Wochen fahren der Chef und seine Frau, die ebenfalls in Sohland arbeitet, noch in die alte Heimat. Im Hause der Früchteverarbeitung befindet sich längst eine Chef-Wohnung, außerdem gibt es einen Nebenwohnsitz in Dresden. Dort schippert Werner Deharde gern mal mit dem Motorboot über die Elbe.

Gnadenloser Preiskampf

Es hilft dem Unternehmen, dass Deharde inzwischen die Dresdner kennt und weiß, was ihnen schmeckt. Zum Beispiel Säfte der Traditionsmarke „Lockwitzgrund“. Als deren Hersteller 1999 in die Insolvenz ging, holte der Früchte-Profi auch diese Produktion nach Sohland. Der in Dresden vertraute Name blieb erhalten.

Deharde spricht über jedes Ereignis, als wäre es gestern gewesen. Seine Worte lassen innere Ruhe vermuten. Er denkt erst und redet dann. Wenn so geschäftliche Gespräche mit ihm laufen, dann wissen seine Gegenüber, was sie an ihm haben. Nur so lässt sich wohl auch über ein Vierteljahrhundert ein Unternehmen führen in einer Branche mit einem Überangebot an Waren und ein paar Riesen, die einen gnadenlosen Kampf um den billigsten Preis führen.

Dehardes Argument ist die Qualität. Er versucht nicht, ständig die Konkurrenz zu unterbieten. Sonst könnte er seinen rund 160 Mitarbeitern keine Tariflöhne zahlen. Das weiß auch Volkmar Heinrich zu schätzen, für die Region zuständiger Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten. Er kennt Werner Deharde seit vielen Jahren als Präsident des sächsischen Arbeitgeberverbandes der Ernährungsbranche. „Wenn jemand in die Oberlausitz kommt, in einem so umkämpften Markt einen Betrieb übernimmt und Neues aufbaut, verdient das Achtung“, sagt der Gewerkschafter. Gleichwohl weiß er, dass Deharde seinen Betriebsrat nicht gerade liebt. „Aber er respektiert ihn und geht sachlich mit ihm um, das ist nicht überall so.“

Der Arbeitnehmer-Vertreter geht davon aus, dass Maximilian Deharde die sachliche Arbeit seines Vaters fortsetzt. Vor zehn Jahren stieg der Sohn des Chefs ins Unternehmen ein. Der jetzt 35-Jährige war dabei, als der Vater weitere Firmen übernahm und diesmal die Produktion nicht nach Sohland holte, sondern am Ort beließ. Vor vier Jahren rettete die Lausitzer Früchteverarbeitung einen Konfitüren-Hersteller in Rostock vor dem Aus. Seit 2016 gehört auch „Ackermanns Haus“ zur Sohlander Firmengruppe. Der Betrieb im vogtländischen Ellefeld ist vor allem durch seine Babynahrung der Marke Kinella bekannt. „Dort steht unter anderem eine ganz moderne Apfelpresse“, berichtet Maximilian Deharde. In Ellefeld können Direktsäfte abgefüllt werden, also frisch gepresst statt aus Fruchtkonzentrat. Das eröffnet neue Märkte für die Lausitzer Früchteverarbeitung.

Zum Beispiel in Tschechien und Ungarn. Schon die DDR exportierte in das Land um den Balaton einst Kindernahrung. Jetzt nahmen Dehardes die alten Lieferketten wieder auf. „Wir sind dort zweitgrößter Anbieter von Kindergetränken“, sagt der Juniorchef. Auf seinem Tisch in Sohland stehen Saftflaschen mit tschechischsprachigen Etiketten – für die Testverkäufe im Nachbarland. „Made in Germany hat überall einen hohen Stellenwert.“ Als Beispiele nennt er ganz Skandinavien, Polen und Österreich – in diesen Ländern sind die Fruchtzubereitungen besonders gefragt. Und natürlich in Deutschland selbst. Wer etwa Früchtequark eines Herstellers aus Weißenfels löffelt, kann sich ziemlich sicher sein, Arbeit in Sohland zu sichern.

Arbeit und damit Umsatz, der Sachsen zugutekommt. Die Früchteverarbeitung gab Geld für den Neubau der Sohlander Sprungschanze, sponsert den Frauenfußball in Dresden, engagiert sich bei Dynamo und an der Vogtlandarena in Klingenthal.

Auf dem Firmengelände in Sohland steht ein Mammutbaum. Wilfried Rosenberg vom Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) erinnert sich, wie er das Bäumchen 2001 zum 100. Firmenjubiläum gemeinsam mit Werner Deharde pflanzte. „In der Zwischenzeit ist ein ordentlicher Baum herangewachsen. Dieses kontinuierliche, fast unmerkliche Wachsen und Gedeihen steht für die Entwicklung der Firma.“