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Aufs Huhn gekommen

Die verrückte Gerda wurde von einem Bannewitzer von der A 4 gerettet. Nun lebt das Huhn in einer Art Luxussanatorium in Altnickern – mit gefiedertem Familienanschluss.

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© Sven Ellger

Von Tobias Wolf

Dresden/Bannewitz. Gerda rennt wieder putzmunter durch die Gegend. Nach einem Tag Pause im Notquartier hat das verrückte Autobahnhuhn in Altnickern endlich ein Zuhause mit gefiederter Gesellschaft gefunden. Denn Pflegemutter Romy Mosch und ihre Familie haben bereits zwei traumatisierte Hühner in Obhut. Verglichen mit dem Mittelstreifen der Autobahn 4 lebt Gerda nun geradezu in einem grünen Luxussanatorium und hatte prompt keine Lust, zeitig aufzustehen.

Vielleicht waren die vier Wochen auf der A 4 am Brabschützer Berg doch etwas stressig für das Tier, das bundesweit als Problemhuhn Schlagzeilen machte. Das kleine Ställchen im Garten könnte aber auch schlicht zu gemütlich sein. Sogar eine kleine Ecke fürs Eierlegen gibt es darin. „Als ich früh um sieben den Stall aufgemacht habe, wollte da noch keiner raus“, sagt Romy Mosch. „Ich musste sie mit Futter rauslocken.“ Dafür vertragen sich die drei Hühner offenbar ausgesprochen gut, ausgerissene Federn oder angepickte Hühnerhaut hat Mosch nicht feststellen können. Den Patienten wurde ein Delikatessen-Frühstück im Garten serviert.

„Auf gekochte Kartoffeln gehen sie unheimlich ab“, sagt die 36-Jährige. Töchterchen Minou füttert die Hühnerbande auch mit Nudeln und anderen Leckereien. Jeden Morgen kümmert sich die Fünfjährige um die gefiederten Familienmitglieder. Gerda, die wochenlang nur rußbedeckte Insekten und Gräser vorgesetzt bekam, erweckt vielleicht auch wegen des Gourmet-Essens den Eindruck, als wäre sie schon immer dort zu Hause. Nur ihre Erkundungsrunden im Garten lassen erahnen, dass alles noch ein bisschen neu ist.

Wie für Romy Mosch. Sie ist erst Ende Mai aufs Huhn gekommen. Auch auf der Autobahn 4, zwischen Hellerau und Neustadt. Frieda hat sie das kleine weiße Hühnchen getauft, das zitternd mit gebrochenem Bein auf dem Standstreifen saß. Mosch stoppte und nahm das Tier mit nach Hause. Offenbar war es von einem dieser Todeslaster gefallen, die Tausende Hühner auf einmal zur Schlachtbank fahren – laut der Tierschutzorganisation Peta teilen Hunderte Millionen Tiere das mutmaßliche Schicksal von Frieda. Der Respekt vor dem Tier ist Moschs Motivation. „Wenn ich so was sehe, kann ich nicht vorbeigehen“, sagt sie mit Blick auf die kleine Frieda, die vielleicht nie wieder richtig laufen können wird. „Mir geht’s so wie dem jungen Mann, der Gerda eingefangen hat.“ Der Bannewitzer hatte Gerda am Dienstagabend von der A 4 gerettet – zur großen Überraschung der Polizei, deren Beamte sich wochenlang erfolglos mühten.

Gerda ist vorläufig die Größte im Altnickerner Hühnerparadies. Hahn Glubschie hat schon versucht, die Hackordnung auszukämpfen. Ganz geklärt ist die noch nicht. Der Hahn saß plötzlich neben Frieda, als Mosch das kleine weiße nach ihrem Urlaub wieder vom Bauernhof holte, wo sie es zur Tagespflege untergebracht hatte. Dort war unterdessen der Fuchs im Hühnerstall eingebrochen und hatte Glubschie verletzt.

Gerda könnte das neue Hühneroberhaupt werden, auch weil sie als psychisch stabil gilt. Wie sonst hätte sie auf der Autobahn einen vierwöchigen Sturm im Federkleid überlebt. Läuft es gut, wirft sie vielleicht in Zukunft auch mal ein Frühstücksei ab. Nur auf eins muss man bei Gerda wohl aufpassen: dass sie nicht die nahe gelegene A 17 für sich entdeckt.