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Aufrüsten im Wolfsland

Einige der Tiere haben offenbar gelernt, Elektrozäune zu überspringen. Das sehen selbst Wolfsschützer mit Sorge.

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© René Plaul

Von Jana Ulbrich

Die Liese hat’s erwischt und die Erna. Typische Kehlbisse. Aber die Schafe haben Glück gehabt. Der Tierarzt kann die Wunden versorgen. Die Wölfe sind wohl gestört worden bei ihrem nächtlichen Angriff. Wahrscheinlich vom Bewegungsmelder, vermutet Maik Stephan. Der 33-Jährige streicht der Liese über die Stirn. Die grast jetzt wieder friedlich mit den anderen Schafen auf der Weide hinterm Hof.

Der Hof von Familie Stephan liegt am Ortsrand von Crostwitz. Die Schafe stehen eingezäunt auf der Wiese hinterm Haus. Maik Stephan blickt sorgenvoll. Nicht nur, dass sich die Wölfe jetzt so nah an die Dörfer wagen. Neuerdings schaffen sie es auch, sicher geglaubte Schutzzäune zu überwinden. Das ist wirklich ein Problem.

Maik Stephan ist kein Versäumnis vorzuwerfen. Der Crostwitzer hat um seine kleine Herde einen 1,06 Meter hohen Elektrozaun gezogen – fachgerecht und höher als die von den Wolfsexperten geforderten 90 Zentimeter. Aber offenbar hält selbst ein Zaun unter Strom die Wölfe nicht mehr ab. Zumindest nicht mehr die vom Rosenthaler Rudel: 17 Übergriffe auf Schafe hat es in dem Territorium rund um Königswartha, Puschwitz und Wittichenau allein in den letzten vier Wochen gegeben – eine außergewöhnlich große Häufung.

Welpen lernen von den Alten

Dabei dürfte das Rosenthaler Rudel, das sich erst vor zwei Jahren in der Gegend sesshaft gemacht hat, noch gar nicht all zu groß sein. Zwei Altwölfe, wahrscheinlich drei Welpen und eventuell noch Jährlinge. Genauer konnten das die Wolfsexperten hier noch nicht zählen. „Die Welpen ziehen jetzt zu dieser Jahreszeit schon mit auf die Jagd und lernen von den Alten, wie man das macht“, erklärt André Klingenberger, der beim Sachsenforst für das Wolfsmanagement zuständig ist. Klingenberger ist nach Crostwitz gekommen, um Maik Stephan zu helfen, den Schutz für seine kleine Schafherde aufzurüsten. Er hat Weidepfähle mitgebracht und glänzend weißes Flatterband. Es ist ein Versuch: Der kann klappen – so wie vor ein paar Jahren beim Milkener Rudel

Gemeinsam mit Maik Stephan zieht der Fachmann vom Sachsenforst das Flatterband um den Weidezaun. Familie Stephan muss es nicht bezahlen. Die Biosphärenreservatsverwaltung verleiht es kostenlos an alle Schafhalter im Revier des Rosenthaler Rudels. Auch André Klingenberger blickt sorgenvoll. Der Wolfsexperte weiß die Zeichen zu deuten: „Normalerweise lernen Wölfe früh, dass es wehtut, sich einem Elektrozaun zu nähern“, erklärt der 36-Jährige. „Aber wenn sie einmal gemerkt haben, dass sie das Hindernis überspringen können, dann werden sie es immer wieder tun. Eingezäunte Schafe sind leichte Beute.“ Wie gesagt: Beim Milkeler Rudel hat das Flatterband die Wölfe tatsächlich abgeschreckt. Und diesmal? Maik Stephan kann da jetzt nur abwarten und hoffen.

Ungutes Gefühl, das nicht mehr weichen will

Dass die Wölfe wiederkommen, steht für ihn außer Frage. Nur ein paar Tage nach dem missglückten Angriff auf Erna und Liese haben sie es wieder versucht. Maik Stephan ist zufällig draußen an diesem Abend – und sieht sie mit eigenen Augen: Zwei Wölfe, der Größe nach wahrscheinlich Jährlinge. Schnurstracks kommen sie aus Richtung Räckelwitz über die Felder gelaufen. Maik Stephan macht sich laut bemerkbar und leuchtet den Tieren mit der Taschenlampe in die Augen. Die Wölfe drehen ab. „Aber mir war schon ziemlich mulmig dabei“, erzählt er. „Bei einem hatte ich sogar den Eindruck, dass er mich angreifen will.“ Es ist ein ungutes Gefühl, das nicht mehr weichen will seit dieser Begegnung. Er hat zwei kleine Töchter. Larissa ist drei, Aurelia gerade vier Monate alt. „Bisher hatten wir keine Angst vor dem Wolf“, sagt seine Frau Susann. „Aber jetzt?“ Kann man die Kinder draußen unter den Apfelbäumen spielen lassen? Drüben in Storcha sollen die Wölfe am helllichten Tag zwei Schafe gerissen haben. Und wie verhalten sich Kinder? Was, wenn sie wegrennen?

André Klingenberger kann da nur an die Besonnenheit appellieren. Solche Erfahrungen mit Wölfen mitten in der Zivilisation, die gibt es bisher nicht. Der Wolfsexperte will aber auch an alle Schaf- und Ziegenhalter appellieren, ihre Tiere ausreichend zu schützen. „Wenn Wölfe wiederholt erfolgreich Nutztiere töten, lernen sie, dass das deutlich einfacher ist, als Rehe, Hirsche oder Wildschweine zu jagen. Dann kann es dazu kommen, dass sie gezielt versuchen, geschützte Schafe zu töten.“

Manchmal sind es auch die Schafe, die in Panik den Zaun überspringen oder einreißen, wenn sie einen Wolf bemerken. So war es vermutlich am vergangenen Wochenende in Pulsnitz. Auch deshalb ist es wichtig, dass die Wölfe davon abgeschreckt werden, sich den Schafen überhaupt zu nähern. Auch das würden sie ihre Nachkommen lehren. „Wir können gut mit den Wölfen leben, wenn wir uns darauf einstellen“, sagt Klingenberger. Dass es funktionieren kann, zeigt das Daubaner Rudel: 17 Wölfe – kein einziger Nutztierschaden.

Kontakt: André Klingenberger, 035932 36531, [email protected]