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Aufräumen statt abreißen

Junge Leute wollen eine alte Fabrik in Neugersdorf retten. Erste Erfolge gibt es schon. Jetzt werden Helfer gebraucht.

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© Rafael Sampedro

Von Romy Kühr

Neugersdorf. Das Dach ist das große Sorgenkind. In der obersten Etage der alten Fabrik klaffen ein paar Löcher. Dort dringt Wasser ein und das ist bekanntlich nicht gut für ein Haus. Deshalb müssen die Löcher weg. Das ist das nächste große Projekt von Martha Adolphi, Paul Kiesbye und ihren Mitstreitern vom Verein „Gründerzeiten“ in Neugersdorf.

Die ganze Woche sind sie mit anderen Helfern zu einem Arbeitseinsatz vor Ort. Die beiden Studenten aus Dresden haben in Neugersdorf einen Verein gegründet und das leere Gebäude an der Rudolf-Breitscheidstraße gekauft.
Die ganze Woche sind sie mit anderen Helfern zu einem Arbeitseinsatz vor Ort. Die beiden Studenten aus Dresden haben in Neugersdorf einen Verein gegründet und das leere Gebäude an der Rudolf-Breitscheidstraße gekauft. © Matthias Weber
Es ist eines der wenigen Fabrikgebäude in der Stadt, die nicht abgerissen wurden. Im Inneren wartet noch viel Arbeit auf die Initiatoren vom Verein „Gründerzeiten“. Sie wollen ein Begegnungszentrum einrichten.
Es ist eines der wenigen Fabrikgebäude in der Stadt, die nicht abgerissen wurden. Im Inneren wartet noch viel Arbeit auf die Initiatoren vom Verein „Gründerzeiten“. Sie wollen ein Begegnungszentrum einrichten. © Matthias Weber

„Ihre“ alte Fabrik steht an der Rudolf-Breitscheid-Straße in der Oberlandstadt. Der ehemalige Betrieb ist als „Lina Koch“ bekannt, Neugersdorfer sprechen im Volksmund aber auch von der „Gelenkwellenfabrik“. Gelenkwellen für Autos sollen hier mal gebaut oder repariert worden sein. Auch Bezüge für Kinderwagen wurden in den Hallen genäht und gefärbt. Zum Betrieb gehören ein Wohnhaus, einige Schuppen und Nebengebäude, ein großer Garten. Gleich hinter den Obstbäumen beginnt Tschechien, die berühmte Basilika von Filipov (Philippsdorf) lugt durch die Blätter. Vor über einem Jahr haben die beiden Norddeutschen Martha und Paul, die in Dresden studieren und über Bekannte ins Oberland kamen, die alte Fabrik entdeckt. Sie ist eines der wenigen Gebäude, die noch stehen auf dem großen, ehemaligen Industriegelände in Neugersdorf. Die meisten wurden abgerissen. Martha, Paul und ein paar andere Idealisten wollten etwas anderes versuchen. Ihre Idee: ein Begegnungszentrum einrichten. Seminarräume, Ateliers, Werkstätten sollen entstehen. Sie gründeten den Verein „Gründerzeiten“, kauften die Fabrik, jedes der Mitglieder gab einen Betrag dazu. Das war kompliziert und hat lange gedauert. Doch inzwischen ist der Papierkram erledigt und der Verein Eigentümer. Seitdem wird Stück für Stück entrümpelt und aufgeräumt. Neun Mitstreiter hat der Verein, die regelmäßig anpacken. Immer wieder kommen weitere Unterstützer hinzu – so wie diese Woche. Der Verein hat eine Sommer-Bau-Woche anberaumt. Die ganze Woche sind die Vereinsleute vor Ort, jeder kann mithelfen, der Zeit und Lust hat. Die Ziele für die Woche sind klar definiert und hängen auf einem großen Zettel gleich am Eingang: im Obstgarten soll ein kleines Gartenhäuschen als Sommerbar renoviert werden, ein Anbau soll ein neues Dach bekommen, ein weiteres Gebäude auf dem Gelände als Jugendtreff eingerichtet werden. Das wichtigste aber: das zweite Obergeschoss muss leer geräumt und der Schutt aus dem Gebäude transportiert werden. „Das ist die wichtigste Vorbereitung dafür, dass man an das Dach rankommt und es reparieren kann“, erklärt Paul Kiesbye. Um den Schutt aus dem Gebäude zu kriegen, haben die Gründerzeitler eine Schuttrutsche von einem Dachdecker ausgeliehen. Wie er sind viele Neugersdorfer hilfsbereit, haben Martha und Paul festgestellt. So bekommen sie immer wieder Material und Geräte zur Verfügung gestellt. Bevor das Dach instand gesetzt werden kann, müssen die Vereinsleute noch die Finanzierung klären. Sie hoffen auf Geld aus einem binationalen Förderprogramm. Einen tschechischen Partner haben sie bereits. Derzeit wird an einem Konzept für den Fördermittelantrag gearbeitet. In diesem Jahr wird es aber nichts mehr werden mit der Dachreparatur. Damit das Gebäude in der Zwischenzeit dennoch keinen Schaden nimmt, wenn es regnet oder schneit, wurde improvisiert. Provisorische Rinnen aus alten Blechen fangen eindringendes Wasser auf und leiten es durchs Fenster wieder nach draußen. Sieht komisch aus, hilft aber.

Ebenso unkonventionell geht es auf dem ganzen Gelände zu. Die Helfer, die für das Baucamp bis aus Dresden angereist sind, übernachten in Schlafsäcken in einem benachbarten leer stehenden Wohnhaus, eine Duschecke gibt’s im Freien, zum Tee und Kaffee kochen dienen zwei alte Holzöfen, die kurzerhand in den Garten gestellt wurden. „Wer mitmacht, bekommt auch was zu essen“, kommentiert Paul die improvisierte Teeküche. Gekocht und gegessen wird nach getaner Arbeit am Abend gemeinsam.

Gemeinsam, das ist für Martha, Paul und ihre Mitstreiter ein wichtiges Stichwort. Sie wollen das Haus nicht für sich herrichten, die Menschen vor Ort sollen etwas davon haben – und mitmachen. Sie sehen sich als diejenigen, die das Ganze anschieben. Die beiden Dresdner Studenten sind selbst regelmäßig am Wochenende und in den Ferien vor Ort. Paul, der mal eine Lehre als Schmied begonnen hat, hat sich in einem Nebengebäude eine Werkstatt eingerichtet. Sie genießen die Zeit in Neugersdorf. „Hier ist so viel Platz und Freiraum. So etwas gibt es in Großstädten wie Dresden gar nicht mehr“, sagen sie. Mit ihrer Begeisterung haben sie andere angesteckt. 15 Leute haben sich angemeldet, die im Laufe der Woche in Neugersdorf mithelfen wollen, in der Fabrik aufzuräumen.

Sommer-Bau-Woche an der Lina-Koch-Fabrik: noch bis 21. August; Jeder kann mitmachen, Start ist täglich ab 10 Uhr auf dem Gelände; auch Essens- und Getränkespenden sind willkommen.