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Aufgetischt statt abserviert

Beim Elisabeth-Tisch gibt es nicht nur Mittagessen für einen Euro. Er hilft auch gegen Einsamkeit.

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© René Meinig

Von Kay Haufe

Kurz nach neun ist Günther (*) jeden Morgen da. Der 72-Jährige mit kurz geschorenem Haar im karierten Hemd macht es sich am langen Tisch bequem. Von dort kann er den Kellerraum im St. Joseph-Stift gut überblicken. Schwester Arntraud schaut aus der Küche. „Günther, willst du einen Kaffee?“ Nein, Günther bleibt bei Tee. Den gibt es kostenlos. „Manchmal nehme ich einen Frühstücksteller für 50 Cent. Aber heute warte ich bis zum Mittagessen“, sagt er.

In Gesellschaft fällt ihm das leichter. Und die findet er immer beim Elisabeth-Tisch auf der Dinglingerstraße. So haben die Schwestern der Heiligen Elisabeth ihr Essensangebot genannt, als sie es vor 21 Jahren in der Johannstadt gegründet haben. Auch Peter ist einer von rund 35 Leuten, die täglich kommen. Der ehemalige Bauhelfer bringt immer eine Zeitung mit, in die alle reinschauen. Dann wird an den Tischen mit Tannengrün die politische Lage ausgewertet. „Schwesterchen, hast Du noch einen Kaffee für mich“, fragt Peter in die Küche. Schwester Arntraud legt ihr Strickzeug beiseite und schenkt nach. „Lass es Dir schmecken, Brüderchen“.

Dann klappern die Nadeln weiter. Eine Babygarnitur in Weiß entsteht, mit zartem grünen Rand. Jäckchen, Mütze und Schuhe verkauft die 76-Jährige für 15 Euro. An der Rezeption des St. Joseph-Stift gehen die Erstausstattungen weg wie warme Semmeln, schließlich kamen im Krankenhaus allein im vergangenen Jahr 1 600 Kinder zur Welt.

Mit dem Geld, was Schwester Arntraud und ihre Mitschwester Margarethe dafür und die selbst gebackenen Plätzchen in der Weihnachtszeit einnehmen, kaufen sie Wurst, Kaffee und anderes, was für das Frühstück nötig ist. Das Mittagessen kommt aus der Krankenhausküche. „Und das ist gut“, sagt Günther. Für einen Euro könnte er zu Hause nie eine Vorsuppe und ein Hauptgericht kochen, schätzt er ein. Manchmal gibt es Kompott dazu oder ein Stück Kuchen. Das spendet hin und wieder das Dresdner Backhaus.

Beim Essen schweigen die Männer. Es kommt zeitig auf den Tisch, 10.30 Uhr. Die Suppe ist schnell verspeist, ebenso der Fisch mit Kartoffelbrei. „Für mich ist der Elisabeth-Tisch ein Gerüst, das Ordnung in meinen Tagesablauf bringt“, sagt Günther. Der einstige Sport- und Deutschlehrer muss mit einer kleinen Rente auskommen. Jämmerlich nennt er sie. Seinen Beruf konnte er nicht mehr ausüben, seit er 1987 nach einem Familienbesuch im Westen blieb. In Bayern war er Sozialarbeiter in einem Heim für psychisch Kranke. Doch das Heimweh nach Dresden war groß. Er kam zurück, fand aber beruflich keinen Anschluss mehr. „Ich bin in einem musischen Elternhaus groß geworden, liebe Kunst und Kultur. Aber davon bin ich heute weitgehend ausgeschlossen“, sagt er mit Bitterkeit in der Stimme.

Wie ihm geht es 21 Prozent aller alleinlebenden Rentner und sieben Prozent der Seniorenfamilien in Dresden. Sie haben weniger als 60  Prozent des durchschnittlichen Nettoeinkommens zur Verfügung und sind armutsgefährdet, wie die Kommunale Bürgerumfrage 2016 ergab. Dass nicht nur ältere Menschen betroffen sind, spiegelt sich auch in den Gästen des Elisabeth-Tisches wieder. Manchmal kommen Familien mit Kleinkindern und junge Leute, sagt Arntraud. „Aber der harte Kern sind unsere Männer, die sich seit Jahren kennen. Für sie ist es meist der einzige Ort, wo sie soziale Kontakte pflegen.“ Und: Wenn es draußen kälter wird, steigt auch die Anzahl der Gäste. „Manchmal müssen wir Schwestern einfach trösten. Viele haben niemanden, der ihnen zuhört.“

Um 5.30 Uhr steht die Ordensschwester jeden Morgen auf, um das Frühstück vorzubereiten. Nach der Messe öffnet sie den Elisabeth-Tisch um 9 Uhr, bis 13 Uhr bleibt er offen. Nur am Mittwoch kann Arntraud länger schlafen, dann ist Ruhetag. Dass sie noch arbeitet, ist für die 76-Jährige kein Problem. „Meine Mutter hatte fünf Kinder und musste von früh bis abends arbeiten. Da ist meine Aufgabe einfach.“ Für die Feiertage haben die Schwestern kleine Überraschungen besorgt. „Es ist für alle Weihnachten“, sagt Arntraud.

(*) Name von der Redaktion geändert.

Vor allem für die Wochenenden werden Freiwillige gesucht, die den Schwestern helfen. Kontakt: 44 40 23 97