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Aufgeben? Niemals.

Zwei Jahre war das Zuessenhaus in Kleinzadel nach der Flut zu. Seit Juni 2015 ist es wieder offen. Dann kamen die nächsten kleinen Katastrophen.

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© Claudia Hübschmann

Von Jürgen Müller

Diera-Zehren. Nein, Ute Böhm will nicht jammern. Dabei hätten sie und ihr Mann Jens allen Grund dazu. Mühsam haben sich die beiden nach dem Hochwasser 2013 wieder aufgerappelt. Damals war die Gaststätte in den Fluten der Elbe versunken. Zwei lange Jahre dauerte es, bis die Schäden beseitigt waren, das Haus wieder öffnen konnte. Dazwischen lagen Monate, Jahre aufreibende Verhandlungen mit der Bürokratie, der Kampf um Fördergeld und Unterstützung. Schließlich hatten die Böhms ihre einzige Einnahmequelle verloren. Doch Arbeitslosengeld II wurde ihnen zunächst verwehrt. Sie sollten erst mal ihren Grundbesitz versilbern, so das Amt, dann könne man drüber reden, wenn das Geld aufgebraucht ist. Mal abgesehen, dass die Böhms damit ihre Existenzgrundlage verloren hätten, war das Zuessenhaus, das mehrfach von der Flut heimgesucht wurde, unverkäuflich.

Mitten in der Elbe. Im Juni 2013 stand das Zuessenhaus in Kleinzadel vollständig unter Wasser.
Mitten in der Elbe. Im Juni 2013 stand das Zuessenhaus in Kleinzadel vollständig unter Wasser. © dpa

Die gröbsten Probleme sind gelöst, inzwischen geht die zweite Saison nach der Wiedereröffnung zu Ende. Das Haus ist jetzt weitgehend hochwassersicher, so gut es geht vor einer neuen Flut geschützt. Zwei ehemalige Mitarbeiterinnen wurden wieder eingestellt, dazu zwei neue. „Wir haben sehr gutes Personal, das wir unbedingt halten wollen“, sagt Ute Böhm. Denn es sei schwierig, qualifizierte und vor allem willige Leute in der Gastronomie zu finden. „Alle möchten am liebsten von 8 bis 16 Uhr arbeiten und am Wochenende überhaupt nicht. Das ist in unserer Branche illusorisch“, sagt Jens Böhm.

Insgesamt lief es seit der Wiedereröffnung ganz gut. „Wir sind zufrieden, obwohl es immer besser sein könnte. Wir waren erstaunt, dass es nach zwei Jahren Schließung so eine gute Resonanz gab und gibt“, so die Gastwirtin. Klar, Reichtümer könne man nicht anhäufen, aber sie kämen über die Runden. Und das, obwohl es mehrere kleinere Katastrophen gab. Eine davon waren die monatelangen Straßensperrungen. „Der Straßenbau verlief völlig unkoordiniert, Unkundige fanden sich nicht her. Wir hatten Umsatzeinbußen von bis zu 30 Prozent“, klagt Ute Böhm.

Die Gastwirte behalfen sich, so gut es ging. Stellten an der Staatsstraße 88 ein Schild auf mit dem Hinweis, das bis zum Zuessenhaus frei ist. Organisierten eine Behelfszufahrt, damit man trotz Straßensperrung zur Gaststätte gelangte. Erklärten Gästen, die anriefen, geduldig, wie sie fahren müssen, um ans Ziel zu gelangen. Problematisch war wegen des Wetters auch die Biergartensaison. Erst war es regnerisch und kalt, dann gleich wieder zu heiß. Auch der „goldene Oktober“ fiel aus. Und es gab weitere kleine Probleme, die große Wirkung hatten. So wurde kurz vor Pfingsten auf den Feldern rund um das Zuessenhaus Gülle ausgebracht. „Es stank drei Tage bestialisch. Da setzt sich doch kein Gast in den Biergarten“, sagt Jens Böhm. Auch der Mais wurde zum Problem. Der wuchs so hoch, dass das Zuessenhaus von der Straße nicht mehr zu sehen war. Der Weinskandal wirkte sich ebenfalls aus. „Wir haben noch nie so wenig Federweißen verkauft wie in diesem Jahr“, sagt Ute Böhm. „Es ist die Summe dieser vielen kleinen Dinge, die uns zu schaffen macht“, ergänzt ihr Mann.

Noch lange nicht aus dem Schneider

Auch finanziell sind die Böhms noch lange nicht aus dem Schneider. Zwar gab es letztlich doch großzügig Fluthilfegelder, doch die Auszahlung verzögert sich. Noch immer warten die Böhms auf 80 000 Euro von der Sächsischen Aufbaubank. Die gibt es erst, wenn die Abrechnungen geprüft sind. Und das zieht sich hin. Von einer Hilfsorganisation bekam das Gaststättenehepaar einen Überbrückungskredit. Doch auch der ist zum Jahresende fällig gestellt, rund 51 000 Euro. „Wenn die Fördermittel bis dahin nicht geflossen sind, weiß ich nicht, wie wir das bezahlen sollen“, sagt Ute Böhm. Es wurde Ratenzahlung angeboten. Darüber kann sie nur lachen: „Wir sind finanziell an der Kante. Greifen Sie doch mal einem nackten Mann in die Tasche.“

Auch Handwerker warten noch auf ihr Geld. Restliche Arbeiten können deshalb nicht ausgeführt werden. Ohne Moos nix los. Gerettet haben die Böhms vor allem Familienfeiern wie Hochzeiten. Auch Weihnachten ist schon brechend voll, es gibt nur noch ein paar Restplätze. Ansonsten ist zwischen November und Februar die schlechteste Zeit des Jahres. „Die müssen wir irgendwie überstehen. Zumachen geht nicht, da verdienen wir ja nichts“, sagt Ute Böhm. Sie tüftelt schon an der neuen Speisekarte. Seit der Wiedereröffnung versucht sie den Spagat zwischen gutbürgerlicher Küche und ausgefallenen Angeboten wie Nudeln mit Trüffel. Dies werde sehr gut angenommen. Und ab dieser Woche gibt es wieder eine Spezialität des Zuessenhauses: Gänsewürzfleisch.

Aufgeben ist für die Böhms jedenfalls keine Option. „Die meisten Gastwirte und Selbstständigen haben Probleme, es ist ein ständiger Kampf. Irgendwann gewöhnt man sich daran“, sagt Jens Böhm. Und seine Frau ergänzt: „Wir haben es nie bereut, das Zuessenhaus zu kaufen, hängen mit viel Herzblut dran.“