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Aufgeben geht nicht

Der Strumpfhersteller Breitex hatte gerade neue Maschinen angeschafft. Die Auftragsbücher waren voll. Dann kam die Katastrophe.

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© Thomas Kretschel

Von Ines Mallek-Klein

Werksverkauf. „Wir haben geöffnet“, steht an der Einfahrt zu dem Strumpfmodenhersteller Breitex. Ja, warum auch nicht, mag mancher Autofahrer denken, der hier im Erzgebirge in der Gemeinde Amtsberg vorbeikommt. Schaut man allerdings auf die Fassade des Hauses, da fallen sie schon auf, die fünf Fenster mit den zerborstenen Glasscheiben und den vom Ruß geschwärzten Fensterstürzen. Vor der Halle stehen Container, und ein rot-weißes Absperrband flattert. Es zeugt noch von dem Großeinsatz von Feuerwehr und Polizei am Morgen des 20. Juni 2017.

Wirtschaft in Sachsen Diesen und weitere Artikel über die sächsische Wirtschaft und ihre Macher finden Sie in der aktuellen Ausgabe von „Wirtschaft in Sachsen“ – dem Entscheidermagazin der Sächsischen Zeitung, erhältlich am Kiosk und an Tankstellen. Gern
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Es ist gegen vier Uhr morgens, als das Handy des Chefs klingelt. „Es brennt im Stricksaal“, ruft es aus dem Hörer. Johannes Breitfeld setzt sich sofort ins Auto. „Am Anfang dachte ich noch, na gut, das kriegen wir schon in den Griff.“ Doch am Betrieb angekommen, war er geschockt.

Die Flammen schlugen aus allen fünf Fenstern des ersten Stockes. „Meine große Sorge galt den beiden Mitarbeiterinnen der Nachtschicht“, sagt er. Sie hatten das Feuer bemerkt und alles richtig gemacht. Anstatt eigener Löschversuche, die vermutlich wirkungslos geblieben wären, haben sie sofort die Feuerwehr informiert und sich selbst in Sicherheit gebracht. „Die Retter waren rasend schnell da und haben tolle Arbeit geleistet“, so Breitfeld. Der Wasserschaden ist extrem gering. Und das ist Glück im Unglück. Zum einen befindet sich direkt unter dem Stricksaal das Lager mit versandfertiger Ware. „Wäre die nass geworden, wir hätten sofort einpacken können“, sagt der 63-jährige Firmenchef. Die Arbeit von Wochen wäre umsonst gewesen. Und zum anderen ist neben dem Stricksaal das Garnlager. Bis zur Decke stapeln sich die Spulen. Nicht auszudenken, wenn sich das Feuer dorthin durchgefressen hätte.

Breitfeld war seit dem Brand schon unzählige Male in seinem Stricksaal. Wie Stalagmiten ragen die geschwärzten Garnführungen über den Strickmaschinen auf. Von der Decke hängen geschmolzene Lampenschirme. Alles in dem Saal ist von einer fettigen Rußschicht bedeckt. „Bloß nichts anfassen“, warnt Breitfeld.

Er läuft durch den schmalen Gang und bleibt vor einer Strickmaschine stehen. „Hier, das war der Übeltäter“, so Breitfeld. Das Gehäuse haben die Brandermittler mitgenommen, genauso wie das Elektronikbauteil, das den Brand durch einen Kurzschluss verursacht haben soll. Es gab eine Stichflamme und binnen Sekunden stand die ganze Maschine in Brand. „Wir haben hier zwar überall Feuerlöscher, aber mit denen wären die Frauen gar nicht mehr nah genug an den Brandherd herangekommen“, so der Unternehmer. Die Garnfäden und vor allem die Flusen, die beim Stricken entstehen, fütterten das Feuer.

Fast alle der gut drei Dutzend Maschinen müssen verschrottet werden. Ein oder zwei hofft Johannes Breitfeld noch retten zu können, mit der Hilfe von Rolf-Jürgen Hauer. Er war bis vor Kurzem noch Geschäftsführer und Inhaber des Strumpfherstellers Epesa im wenige Kilometer entfernten Leukersdorf. Lange hatte Hauer nach einem Nachfolger für sein Unternehmen gesucht. Vergeblich. Er machte dicht und verkaufte die Maschinen zum Teil an Breitfeld. Der freute sich über den gewachsenen Maschinenpark. „Wir mussten expandieren, um alle Kundenwünsche zu erfüllen“, so Breitfeld. Es dauerte einige Wochen, bis die Produktion perfekt lief. Am 21. Mai war es dann so weit. Die beiden Linien waren integriert. Es versprach, ein erfolgreicher und umsatzstarker Sommer zu werden.

Nun steht Rolf-Jürgen Hauer mit einer blauen Spraydose in der einen und mit einem Lappen in der anderen Hand zwischen den Strickmaschinen, die am weitesten vom Brandort entfernt waren. Der Universalreiniger WD 40 soll sie vom Ruß befreien. Die Elektronik hat es überlebt. Sie ist das Herzstück der Maschinen. Es wird trotzdem viele Arbeitsstunden brauchen, bis sie wieder funktionieren.

Unterdessen rattern unten im Erdgeschoss die Ersatzmaschinen. „Wir sind in unseren alten Stricksaal zurückgezogen“, erklärt Breitfeld. Die Maschinen stammen aus den Esda-Strumpfwerken in Falkenbach. „Das sind unmittelbare Konkurrenten von uns, aber als die Chefin von dem Brand erfuhr, war sie sofort bereit, mir die verfügbaren Maschinen zu verkaufen“, erinnert sich Breitfeld. Esda rangierte gerade einige Strickmaschinen aus, und die stehen nun bei Breitex. Und das war nicht die einzige Hilfe. Maximo stellte Arbeitsplätze zur Verfügung, um eilige Aufträge abarbeiten zu können. Die Firmen Ahogee in Gelenau, Frank Degen in Dittersdorf und Siegbert Hilmersdorf boten ihre Produktionskapazitäten an, um besonders eilige, teilweise schon begonnene Aufträge zu beenden. Ein Unternehmer aus Amtsberg half bei dem Transport der neuen Maschinen. Nachbarn kamen mit neuen Lampen, und der Elektriker eilte am Brandtag herbei, um die Leitungen umzuklemmen.

Auch Jenz Otto meldete sich. Der Hauptgeschäftsführer des ostdeutschen Textilverbandes vti war am Tag nach dem Brand in der Fabrik. „Wir können nicht direkt helfen, aber unser Netzwerk nutzen“, sagt Otto. Er vermittelte Kontakte unter anderem zu Tino Vordank, dem Personalleiter bei Color Tex in Frankenberg. In der Color Tex wütete Ende März ein Feuer. 36 Stunden lang. Es vernichtete Millionenwerte. Doch auch Color Tex macht weiter, und Tino Vordank konnte Tipps geben, woran in einem solchen Fall alles zu denken ist.

Die Hilfe hat Breitfeld motiviert, für das Morgen zu planen. „Es soll hier weitergehen“, lässt der Unternehmer keine Zweifel an der Zukunft seiner Firma. Der Diplommathematiker hat zu DDR-Zeiten im VEB Gelkida in Gelenau gearbeitet. Er sollte sich um die Software bei dem Kinderstrumpfhersteller kümmern. Doch als die Produktionsleiterin ausfiel, übernahm er deren Abteilung kurzerhand gleich mit. Nach der Wende baute er eine Strickerei für ein Schweizer Unternehmen in Sachsen mit auf. Und als die dichtmachte, entschloss er sich mit einer Kollegin zur Gründung von Breitex. Dunkle Stunden gab es einige in der Firmengeschichte. Fast immer ging es um Insolvenzen der Auftraggeber. Der Brand aber ist mit Abstand der größte Schlag. „Als ich am Morgen in die Augen der Frauen schaute, die zur Frühschicht gekommen waren, da war mir klar, es muss weitergehen. Das bin ich meinen Mitarbeitern schuldig“, so Breitfeld.

Breitfeld telefonierte mit der Versicherung. Der Gesamtschaden steht noch nicht fest, er wird wohl in die Hunderttausende gehen. Der Unternehmer darf die Schrottmaschinen aber schon entsorgen. So kann der Vermieter den Stricksaal sanieren. Rauchmelder oder eine Sprinkleranlage gab es nicht, sie sind baurechtlich nicht gefordert. Ob sie geholfen hätten, ist eh fraglich, da sich die Flammen rasend schnell ausgebreitet haben. Doch Breitfeld ist nicht nur froh über seine abgeschlossene Feuerversicherung. Ihm hilft auch die Betriebsausfallversicherung. Sie übernimmt für drei Monate die Lohnfortzahlung und kompensiert in Teilen den Gewinnausfall. Bis zur kompletten Produktionsaufnahme wird es länger dauern, deshalb ist Breitfeld auch mit dem Arbeitsamt im Gespräch. Er möchte in der Zwischenzeit Schulungen für seine Mitarbeiter anbieten. Spätestens im Dezember soll die Produktion wieder laufen.

Seine Kunden hat Breitfeld fast alle persönlich angerufen und über den Brand informiert. Die Offenheit kam an. Kein einziger Kunde hat seinen Auftrag storniert. Auch das ist eine Hilfe in schweren Zeiten.