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Aufbruch in ein neues Leben

Ein Afghane erzählt über seinen Weg ins deutsche Großenhain und kommt zu einem interessanten Schluss.

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Von Paula Felicitas Gruhl

Kein Paschtune verlässt aus freien Stücken sein Land. Er verlässt es entweder aus Armut oder der Liebe wegen. Doch jetzt wurden wir von einer Macht vertrieben, die sich der Dichter hätte nie vorstellen können – den Taliban.“ So schilderte die junge Friedensnobelpreisträgerin Malala Yousafzai in ihrem Buch „Malala – Meine Geschichte“ ihre Situation. Doch diese ist keinesfalls einmalig, sie ist die von vielen Flüchtlingen, die nach Deutschland kommen, weil sie Hoffnungen auf ein besseres Leben in Frieden, ohne Angst und Schrecken haben. Allein im Jahre 2013 galten 16,7 Millionen Menschen nach völkerrechtlicher Definition als Flüchtling.

Im Schlauchboot nach Griechenland

Viele von ihnen haben eine anstrengende Reise hinter sich, bevor sie sich auf sicherem Boden befinden. So wie auch jene jungen Männer aus Afghanistan und Tschetschenien, die seit einiger Zeit im Großenhainer Asylbewerberheim auf der Kupferbergstraße leben. Gedroht hatten die Taliban dem Afghanen, ihm und seiner Familie. Der Vater wurde geschlagen, sein Bruder gekidnappt und letztlich ermordet. Über Nacht musste er selbst schließlich fliehen: Teilweise in der Dunkelheit lief er über acht Stunden, ohne Essen und Trinken, über den Iran bis zur Türkei. Allerdings: Angst habe er ebenso wie viele andere Flüchtlinge dabei nicht verspürt. Zwar habe keiner gewusst, was im nächsten Moment geschehen würde. Es sei eine Flucht ins Ungewisse gewesen, eine, mit menschenunwürdigen Verhältnissen. „Aber im Heimatland Afghanistan herrschte Korruption und die Macht der Taliban. Dort hätte ich nicht bleiben können.“ In einem mit vierzig Leuten völlig überfüllten Schlauchboot machte er sich auf den Weg nach Griechenland. Da er dann in Belgien zuerst Asyl beantragt hatte, das nicht genehmigt wurde, floh er weiter nach Deutschland.

Ob er wirklich bleiben kann, ist nicht sicher. Denn nach dem Dublin-Verfahren, das festlegt, dass das Ersteintrittsland für einen Asylantrag zuständig ist, müsste er zurück nach Belgien. Von dort würde er nach Afghanistan abgeschoben werden. Diese Situation macht ihn traurig. Ruhig, beinah gefasst, erzählt von seiner Hoffnung, dass alle Formalien erledigt wären und er hier Asyl bekommen würde. Zuviel Schlimmes hat er schon erlebt – die Ablehnung des Asylantrages kann ihn eigentlich nicht mehr schockieren. Dennoch: aufgeben will er nicht. Er hat sich schon gut integriert, spricht sehr gut Deutsch und gibt auch selbst Sprachkurse. Obwohl er aus einem muslimischen Land stammt, hat er zum christlichen Glauben gefunden. Gott helfe ihm, über seine Alpträume von seiner Flucht und den Drohungen der Taliban hinweg zu kommen, sagt er.

Aber sind seine Lebensumstände hier in Deutschland wirklich besser geworden? Nur teilweise. Sein Leben vor der Drohung durch die Taliban beschreibt er als normal. Seine Familie besaß einen Laden und betrieb Landwirtschaft. Außerdem strahlen seine Augen, als er von den riesigen Früchten und den großen Broten in seiner Heimat erzählt. Er berichtet vom engen Familienzusammenhalt in Afghanistan, der die Betreuung der alten Menschen innerhalb der Familie einschließe. Was er sich hier wünscht? Dass die Deutschen mit ihm sprechen und nicht abweisend auf seine Fragen reagieren. Wie sollte er sich denn sonst integrieren? Gerne könne man doch auch mit den Kindern aus dem Asylbewerberheim spielen und etwas gemeinsam unternehmen. Auf diese Weise lerne man sich besser kennen.

Nicht zu unrecht. Denn eines ist sicher – viele Flüchtlinge werden hier in Deutschland bleiben. Die Zustände in ihrem Herkunftsland sind einfach menschenunwürdig. Dennoch ist die Ablehnung gegenüber den Flüchtlingen so groß wie nie. Viele Menschen bekunden Angst vor den Fremden, Angst vor steigender Kriminalität. Nachdenklich legt der afghanische junge Mann den Kopf zur Seite. Natürlich habe er schon davon gehört. „Ich habe eine Hand mit fünf Fingern. Jeder der Finger kommt aus einem anderen Land. Jeder der Finger hat eine andere Religion. Einer der Finger ist kriminell, der andere nicht.“

Egal nun, welcher Nationalität und Herkunft die Flüchtlinge entstammen. Es wird stets versucht, sie so gut es geht – beispielsweise mit Sprachkursen und Aufklärung über deutsches Recht – zu integrieren. Die meisten Fremden akzeptieren dies. „Wir sind hier in Deutschland und leben nach deutschen Regeln“ heißt es oft. Sollten dennoch Missverständnisse aufkommen, dann liege das oft daran, dass die Asylbewerber meist unter sich bleiben. Es gibt zu wenig Deutsche, die sich freiwillig mit den Flüchtlingen bekannt machen und mit ihnen etwas unternehmen. Außerdem gibt es oft sprachliche Barrieren, denn die gut gemeinten Sprachkurse sind nicht immer richtig an die eigentliche Situation der Asylbewerber angepasst. So bleiben diese meist allein unter sich und ihrem jeweiligem Trauma, versuchen sich hier in Deutschland durchzukämpfen.

Und wie wäre es umgekehrt, wenn Deutsche plötzlich flüchten müssten? Was wäre, wenn Krieg und Elend herrschen würden? Wenn jemand sich gewaltsam Macht darüber verschaffen würde, über all das, was sich der Einzelne vorher erarbeitet hat? Was er geliebt und wofür er gelebt hat? Würden nicht auch die Menschen deutscher Nationalität die Gelegenheit wahrnehmen, zu flüchten und sich irgendwo mit ihren Frauen und Kindern ein anderes, sicheres Leben aufbauen? Und ganz wichtig: Würde denn der junge Afghane oder der tschetschenische Mann seine Haustür für deutsche Flüchtlinge öffnen? „Natürlich! Ihr habt mich doch schließlich auch aufgenommen“, sagt der Mann, der mit dem Zug über Moskau und Warschau geflüchtet ist. Nach all dem Leid, das sie erlebt hätten, wären sie nach eigenem Bekunden bereit, Sicherheit und Frieden zu geben. Keinem wünschen sie ihr Schicksal, zu schlimm sind ihre Erlebnisse.