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Aufbau und Abriss zugleich

Sachsens Wohnungsgenossenschaften bemühen sich, ihr Geld loszuwerden. Ein Ziel: Alternativen zu Pflegeheimen.

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© Thomas Kretschel

Von Georg Moeritz

Dresden. Balkone statt Bankgebühren, Nasszellen statt Negativzinsen: Die Wohnungsgenossenschaften in Sachsen stecken immer mehr Geld in Modernisierungen. Axel Viehweger als Chef ihres Verbandes hat die Parole ausgegeben: Gebt Euer Geld aus, modernisiert Bäder oder kauft Grundstücke! Alles besser, als Strafzinsen an Banken zu zahlen. Daher haben die 214 Unternehmen im Verband Sächsischer Wohnungsgenossenschaften voriges Jahr die Rekordsumme von gut 390 Millionen Euro investiert. Vor allem der Umbau in altengerechte Wohnungen gehe voran. „Der Bedarf ist groß“, sagt Sven Winkler, Referent für Betriebswirtschaft.

Baupläne: Dieses Jahr erneut mehr Abriss als Neubau

Nicht so gerne sprechen die Genossenschaftler über den Leerstand. Doch sie wollen auch in diesem Jahr sowohl leer stehende Wohnblöcke abreißen als auch neu bauen. Der Abriss wird wieder überwiegen: Winkler rechnet für 2017 mit ähnlichen Zahlen wie im vergangenen Jahr, als rund 350 Genossenschaftswohnungen neu gebaut, aber 400 bis 600 „vom Markt genommen“ wurden. Dafür gibt es Zuschüsse. Selbst Leipzig und Chemnitz erlebten Abriss, außerdem Städte wie Bautzen, Görlitz und Riesa. Der gleichzeitige Neubau konzentrierte sich nicht etwa auf die Großstädte: In Coswig entstanden 180 neue Genossenschaftswohnungen, in Wilthen und Großenhain jeweils gut 20. Dieses Jahr bauen Döbeln und Freital, auch Neugersdorf hat Pläne. Der Neubaurekord mit 532 Wohnungen aus dem Jahr 2015 wurde nicht wieder erreicht – damals beeilten sich die Investoren, um neuen Vorschriften zur teuren Wärmedämmung zuvorzukommen.

Schwerpunkte: Döbeln, Bautzen und Bischofswerda attraktiv halten

Viehweger will in diesem Jahr vor allem für die „versteckten Perlen“ unter Sachsens Städten werben. Dazu gehören Bautzen, Döbeln und Bischofswerda. Die schrumpfen zwar, ziehen aber trotzdem Zuzügler aus der Umgebung an. „Sie sind also attraktiv“, sagt Viehweger, und er will mit Staat und Kultur-Einrichtungen die Attraktivität fördern. „Wir wollen im ländlichen Raum das Schrumpfen gestalten, ob in Weißwasser, Zittau oder Plauen“, sagt Viehweger außerdem. Voriges Jahr hatte er mit einer Studie des Instituts Empirica Aufsehen erregt, weil darin das Schrumpfen sächsischer Städte drastisch vorausgesagt wurde.

Förderung: Genossenschaften hoffen auf Kultur in der Nähe

Eine Stadt wie Weißwasser habe nicht mal ein Kino, sagt Viehweger bedauernd. Vielleicht sei Förderung nötig wie für Bibliotheken. Der Genossenschaftsverband mischt sich häufig bei Anhörungen in die Landesplanung ein, trifft aber zu viele zuständige Behörden. Die Ministerien in Dresden „können ja alle nicht miteinander“, sagt Viehweger, der selbst mal Minister war. Gerne hat er aber in der Sächsischen Zeitung vom Mittwoch gelesen, dass Kunstministerin Eva-Maria Stange (SPD) Geld für gute Ideen wie etwa Kulturbusse hat: Er wolle sie beim Wort nehmen.

Miete: Fast 4,80 Euro kalt im sächsischen Durchschnitt

Die Mieten steigen, auch in Genossenschaftswohnungen. Vor zehn Jahren lag der Durchschnitt pro Quadratmeter bei 4,28 Euro Kaltmiete, voriges Jahr näherte er sich 4,80 Euro in den 275 000 Wohnungen des Verbandes. Das sind warm bis zu sieben Euro, sagt Referent Winkler. Der Verband will Kaltmieten von höchstens 6,50 Euro in modernisierten Wohnungen für zehn Jahre garantieren, wenn der Staat pro Wohnung 10 000 Euro Zuschuss gibt. Viehweger betont, ein altengerechter Umbau vermeide höhere Ausgaben: „Pflegeheime für alle können wir uns nicht leisten.“ Viele Leute wollten auch nicht ins Heim. Besser seien ebenerdige Duschen zu Hause und viel Elektronik: für Notfälle nicht nur ein Alarmknopf, sondern Bewegungsmelder und automatische Strom- und Wasser-Abschalter. Bald würden nach amerikanischem Vorbild auch kleine Elektro-Fahrzeuge (Scooter) beliebt, die Steckdosen und Unterstellplätze nötig hätten.

Betreuung: Kümmerer beugen Pflegeheim vor

Mit Elektronik alleine lässt sich nicht helfen: Neun Menschen als „Kümmerer“ waren probeweise voriges Jahr in Genossenschaften angestellt, etwa in Döbeln und Dresden-Johannstadt. Ihre Aufgabe: Leicht verwirrte Bewohner beraten und vor allem gut zuhören. Sie mussten keine Sozialarbeiter sein – einer war zuvor Friseur.