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Auf Wiedersehen in Fugau

Von dem zerstörten Ort in Böhmen gibt es nur noch wenige Spuren. Doch einstige Bewohner halten die Erinnerung wach.

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© Uwe Soeder (M)

Von Miriam Schönbach

Bautzen. Die Mauern des ehemaligen Friedhofs in Fugau stehen wieder. Auch einige Grabsteine sind auf den Gottesacker zurückgekehrt, wie das Foto zeigt. Peter Giebelhäuser nimmt das Bild zur Hand, auf einer der Platten steht sein Nachname. „Meine Vorfahren lebten in dem kleinen Dorf viele Jahrzehnte. Wie viele andere musste meine Großmutter den Ort im Juli 1945 verlassen“, sagt der Bautzener. Auch deshalb hat den 80-Jährigen seine Familiengeschichte immer wieder beschäftigt.

Die Wüstung des kleinen Fugau, tschechisch Fukov, liegt im Norden des Schluckenauer Zipfels. Von drei Seiten umschließen die Orte Taubenheim, Oppach und Neusalza-Spremberg das idyllische Fleckchen Erde, die Straße im Süden führt ins tschechische Šluknov. Einen bescheidenen Wohlstand bringen die Webstühle im 18. Jahrhundert ins Dorf. Ein Großteil der Fugauer arbeitet als Hausweber. Der Bau der Spinn- und Webbetriebe verdrängt ihren Broterwerb in den eigenen vier Wänden. Stattdessen machen sie sich nun zu Fuß auf den Weg in die Webereien in Neusalza-Spremberg, Schluckenau und Oppach. Es ist ja schließlich nur ein Katzensprung.

Bequem zu erreichen

Aufschwung bringt auch der Bau der Eisenbahnstrecke Dresden – Zittau 1874 bis 1879. Peter Giebelhäuser holt die Kopie einer Anzeige von Carl Kämmler in einer Bautzener Zeitung aus dem Jahr 1877 hervor. Darin lädt der Wirt zur Eröffnung der Südlausitzer Staatseisenbahn Sohland – Bautzen zu einem Besuch im böhmischen Fugau ein. Auf Papier steht „Mein Restaurant erreicht man bequem von der Station Taubenheim in 10 Minuten, vom Bahnhof Neusalza in 15 Minuten“.

Peter Giebelhäuser verbringt viele Stunden bei der Großmutter in Fugau. Sein Großvater lernt seine Frau in Dresden kennen. Dort arbeitet er in der gerade eröffneten Zigarettenfabrik Yenidze. Nach ihrer Rückkehr ins gut 70 Kilometer entfernte Fugau gibt der Großvater Musikunterricht an der Schule in Taubenheim und leitet den dortigen Chor. Die Familie mit zwei Kindern – einer Tochter und einem Sohn – lebt in der Mühle, große Sprünge kann sie nicht machen, schon gar nicht, als der Geldverdiener mit 49 Jahren stirbt.

Die Großmutter bleibt in der Mühle. „Mein Vater ging nach seiner Ausbildung als Schlosser in Sohland Mitte der 1920er- Jahre nach Bautzen“, sagt Peter Giebelhäuser. Zu Besuch bei der Fugauer Oma fahren die Städter meistens mit dem Zug. Von Taubenheim müssen sie dann die letzten Kilometer zu Fuß ins Dorf laufen. An das Schweineschlachten bei Großbauer Franz Hesse, mit dem die Familie weitläufig verwandt ist, kann sich der Bautzener noch gut erinnern. Der letzte Besuch bei den Verwandten erfolgt 1944. Damals ahnt niemand, dass die Tage des Dorfs Fugau gezählt sind. Wobei: Das Ende kündigt sich eher an. Mit der Gründung der Tschechoslowakischen Republik 1918 wechselt im ehemaligen österreich-ungarischen Fugau die Staatszugehörigkeit. Bereits mit der Machtübernahme Hitlers ändern sich die Verhältnisse. Um einen Krieg im Land zu vermeiden, tritt die ÈSR im Münchner Abkommen 1938 die Gebiete mit mehrheitlich deutscher Bevölkerung an das Deutsche Reich ab. Am 6. Oktober 1938 fährt Adolf Hitler früh um 10 Uhr durch Fugau, schreibt Helga Hašková in ihrem Buch „Fugau – Erinnerungen an das vernichtete Dorf“. Eine Krone ist fortan zwölf Pfennige wert. Im Jahr 1939 zählt das Dorf 736 Einwohner in 143 Häusern.

Am 8. Mai 1945 nehmen polnische Kampftruppen den Ort ein, die tschechischen Zollbeamten kehren zurück. Das Münchner Abkommen beschließt, dass die ehemaligen Sudetengebiete an die ÈSR zurückgegeben werden. Doch nicht nur das: Der tschechoslowakische Präsident Edvard Beneš ordnet die Vertreibung der Deutschen aus der Tschechoslowakei an, zu denen auch die Bewohner Fugaus gehörten. Mit nur 30 Kilo Gepäck – und manchmal noch weniger – müssen die Fugauer ihre Häuser und Wohnungen ab Juni 1945 verlassen. Ab Schluckenau werden sie in Viehwaggons nach Deutschland verfrachtet.

„Meine Großmutter musste sich am 14. Juli stellen. Ich sehe sie heute noch lediglich mit ihrer Handtasche hier auf dem Stuhl sitzen“, sagt Peter Giebelhäuser. Am 23. September 1960 zwischen 20 und 21 Uhr werden Kirche und Schule gesprengt. Die Familiengeschichte verschwindet in ein paar Aktenordnern. „Das Thema war vergessen und abgeschlossen“, sagt der Bautzener. Doch dann bekommt er vor 17 Jahren einen Anruf, ob er nicht am ersten Heimattreffen in Fugau teilnehmen möchte. Zur Zusammenkunft, die sich von Mund zu Mund herum spricht, kommen 400 ehemalige Einwohner.

Kreuzweg wieder aufgebaut

Beim ersten offiziellen Heimatkreistreffen zwei Jahre später stehen 1 000 Menschen andächtig auf dem verschwundenen Friedhof. Manche liegen sich in Armen. Die verlorenen Mauern des Areals wurden mit Unterstützung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds wiederaufgebaut, wie auch die 14 zerstörten Kreuzwegstationen. Es gibt Infotafeln zur Vergangenheit des Ortes.

„Die Geschichte vom böhmischen Fugau und das Zusammenleben von Deutschen und Tschechen ist nach 1990 auch eine Geschichte der Versöhnung“, sagt Peter Giebelhäuser. Für die Nachkriegsgeneration gehe es nicht mehr um Schuldbekenntnisse, sondern um ein Verhältnis zur Vergangenheit, das die Nachbarn in den Grenzregionen wieder zusammenführt. Und deshalb wünscht er sich auch, dass die Bautzener die 140 Jahre alte Einladung von Gastwirt Carl Kämmler annehmen und einen Abstecher nach Fugau machen.

Die nächste Zusammenkunft der Ex-Fugauer ist 2018.