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Auf Wiedersehen, Aleppo

Milad und Maria Gergi flohen mit ihren Eltern vor dem Bürgerkrieg in Syrien. Ein neues Zuhause fanden sie in Bautzen.

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© Miriam Schönbach

Katharina Jurenz, Isabel Himmelreich & Luise Schönbach

Milad und Maria Gergi stehen links und rechts von der Magnolie an der Post. „Sind wir hier bei einer Hochzeit“, fragt der 15-Jährige während des Fotografierens. Dann geht es zurück in das Melanchthon-Gymnasium. In der Bibliothek stehen noch ihre Schulsachen. Seit Ende Februar gehen die Geschwister auf die Schule in der Bahnhofsstraße. Eine lange Odyssee liegt zu diesem Zeitpunkt bereits hinter ihnen.

Denn Milad und Maria Gergi sind in Aleppo geboren. Der Name dieser Stadt verbindet sich heute bei vielen mit dem Bürgerkrieg in Syrien. Für Bruder und Schwester ist dieser Ort im Norden ihres Heimatlandes aber viel mehr. „Aleppo ist die älteste Stadt der Welt, vor 12 200 Jahren siedelten zwischen Euphrat und Mittelmeer die ersten Nomaden“, sagt der Schüler. Es heißt sogar, dass der biblische Abraham selbst hier seine Kuh asch-Schahba gemolken und die Milch an die Armen verteilt haben soll. Die Unesco erklärt 1986 Aleppos Altstadt zum Weltkulturerbe.

Der Arabische Frühling verändert alles

An diesem geschichtsträchtigen Ort verbringen Milad und Maria glückliche Kindheitstage. Ihr Vater arbeitet als Ingenieur in der Erdölindustrie. Die Mutter ist Arabisch-Lehrerin. Die Kinder besuchen in Syriens zweitgrößter Stadt mit vier Millionen Einwohnern die Schule und pflegen ihre Hobbys. Sport und Musik sind ihre großen Leidenschaften. Sie träumen von der Zukunft. Doch der sogenannte Arabische Frühling verändert für die Kinder alles. Der friedliche Protest eskaliert 2011 zu einem bewaffneten Konflikt. Statt einer Demokratisierung des Landes stehen sich seitdem die kämpfenden Gruppen aus religiösen und ethnischen Gründen gegenüber.

Auch Milad und Maria spüren die Veränderung. Erst hört die Familie die Kämpfe in der Ferne. Aber bald rücken die Rebellen immer dichter in die Stadt vor. Es bleibt niemand. Nach Uno-Angaben befinden sich derzeit 7,6 Millionen Syrer auf der Flucht. Die Hälfte der Schutzsuchenden sind Kinder unter 17 Jahren. 21 000 Flüchtlinge sind in Europa gestrandet.

Alles zurückgelassen

Familie Gergi entscheidet sich vor fast drei Jahren von einem Tag auf den anderen zur Flucht. „Wir nahmen nur einen Rucksack mit und ließen alles zurück“, sagt Milad. Mit einem Taxi schlagen sie sich zum Flughafen durch, auf dem Weg dorthin begleitet sie Beschuss. Tickets sind keine gebucht. Acht Stunden warten sie auf den rettenden Flug. Dann steigen sie ins Flugzeug in den Libanon. Von einem Tag auf den anderen lassen sie ihr altes Leben hinter sich. Ab jetzt ist die Zukunft ungewiss.

Ihre Flucht führt die Familie nach Zahlé. Dort besuchen die Kinder eine Schule mit Unterricht auf Englisch. Doch an dieser Stelle ist ihre Odyssee längst nicht zu Ende. Sie beantragen in Deutschland Asyl. Im Juli vergangenen Jahres kommen die Kriegsflüchtlinge im Aufnahmecamp in Friedland in der Nähe Göttingens an. Dort verbringen die Geschwister mit ihren Eltern 15 Tage, bevor es dann nach Bautzen weitergeht. Hier besuchen die Jugendlichen zuerst eine Schule für Migranten, danach die Gottlieb-Daimler Oberschule.

Aufgrund ihrer guten Leistungen wechseln die Schüler zum Halbjahr dieses Schuljahres auf das Philipp-Melanchthon-Gymnasium. Dort haben sie sich inzwischen gut eingelebt. Die Zehntklässlerin und der Neuntklässler haben Freunde gefunden und kommen in der Schule gut zurecht. Es gibt Ähnlichkeiten mit der Schule in Syrien, aber die Schulmaterialien hier in Deutschland finden sie besser. Außerdem unterstützen sie an der Schule die Lehrer beim Erlernen der deutschen Sprache. Trotzdem fällt die Verständigung in der neuen Sprache noch schwer, besonders im Unterricht.

Heimweh nach Freunden

Gut kommen die Geschwister in den Naturwissenschaften klar. Aber in Fächern wie Gemeinschaftskunde oder Geschichte gibt es noch Probleme. „Wir haben einfach noch gar nicht so viele Worte, deshalb fällt es uns schwer, die Aufgabestellungen manchmal zu erfassen“, sagt Maria. Vor allem, weil Deutsch nicht ihre Muttersprache ist, denn „Stell dir vor, du gehst nach Syrien und lernst Arabisch. Es ist nicht deine Sprache, das ist nicht einfach“, bringt Milad es auf den Punkt.

Doch es kann sich nicht alles um die Schule drehen. Maria geht zur Musikschule und spielt in einem Orchester. Sie spielt seit acht Jahren Flöte. Milad beschäftigt sich in der Freizeit mit einem traditionellen syrischen Instrument, ähnlich der Laute. Außerdem lernt er in Deutschland Geige und macht viel Sport. „Früher haben wir Kung-Fu gemacht. Heute spiele ich Fußball und mache täglich Krafttraining“, sagt der Jugendliche. Trotz ihres neuen Lebens vergessen sie ihre Heimat nicht. Sie vermissen Freunde und Familie sowie das Essen. Typisch für das Land sind Gerichte mit Weizen, Kichererbsen, Oliven, Datteln, Feigen und Granatäpfeln. Sie heißen Hummus, Kobbe, Fatosch oder Zaet.

Der Krieg ist inzwischen in Aleppo angekommen. „Jeder liebt das Land, woher er kommt. Syrien ist unser Land, aber wir wissen, so schnell werden wir dorthin nicht zurückkehren“, sagt Maria. Bei jedem Anruf erfahren sie, dass sich die Situation mehr und mehr verschlechtert. Deshalb sind Milad und Maria froh, hier in Deutschland zu sein. Hier fühlen sie sich sicher. Beide wollen ihr Abitur machen und eventuell studieren. Ob sie immer in Bautzen bleiben, steht noch in den Sternen.

Der Beitrag entstand im Rahmen des Projektes SchülerSZ.