Merken

Auf Umwegen zum Beruf

Im Pflegeheim „Zur Heimat“ in Bischofswerda leistet Bärbel Rother Freiwilligendienst. In ihrem Alter ungewöhnlich.

Teilen
Folgen
NEU!
© Steffen Unger

Von Constanze Knappe

Bischofswerda. Zeitungsschau. Mehr als die Überschriften kann Irmgard Hörenz kaum noch selbst lesen. „Die Augen wollen nicht mehr so richtig“, beklagt die 92-Jährige. Sie ist froh, dass ihr Pflegehelferin Bärbel Rother etwas vorliest. Bevor diese zur Zeitung griff, hat sie den Bewohnern auf Station 2 des Altenpflegeheims „Zur Heimat“ in Bischofswerda den Kaffee gereicht und anschließend im Gemeinschaftsraum das Geschirr abgeräumt. Bärbel Rother ist als Bundesfreiwilligendienstlerin in der Einrichtung tätig und „schwer in Ordnung“, wie Irmgard Hörenz extra betont. Bärbel Rother schmunzelt und gibt das Kompliment gern zurück. Sie ziehe den Hut davor, wie die Frauen früher ihr Leben gemeistert haben, sagt sie. Irmgard Hörenz erzählt, wie sie in der Landwirtschaft gearbeitet und ihre zwei Kinder durchgebracht hat. 78 Jahre lebte die gebürtige Burkauerin in ihrem Heimatort, dann eine ganze Weile in einer betreuten Wohnanlage in Bischofswerda und seit dem Sommer vorigen Jahres nun im Pflegeheim „Zur Heimat“.

Dort arbeitet Bärbel Rother seit Oktober 2014. Der Bundesfreiwilligendienst wäre ein Jahr später, also im vergangenen Oktober, eigentlich zu Ende gewesen. Doch ihre Arbeit gefällt der Bischofswerdaerin so gut, dass sie bis Ende März verlängert hat. Mehr geht nicht, sagt sie mit Bedauern. Die 41-Jährige ist gelernte Industrienäherin. Mit der Wende gab es den Betrieb nicht mehr und für diesen Beruf auch sonst keinen Job. Deshalb wollte sie auf Köchin umsatteln, musste die Umschulung dann aber aus gesundheitlichen Gründen aufgeben. Denn zwischendrin kündigte sich der älteste Sohn an. Wegen ihrer insgesamt drei Kinder, die heute 20, 17 und 14 Jahre alt sind, blieb Bärbel Rother etliche Jahre zu Hause, trug auch Zeitungen aus. Während eines Dreivierteljahres ließ sie sich zur Pflegehelferin/Alltagsbegleiterin weiterbilden. „Das hat schon meine Mutti gemacht, deswegen bin ich neugierig geworden“, erzählt sie. Den Abschluss machte Bärbel Rother sogar mit der Note Eins. Darauf ist sie schon ein bisschen stolz. Ehrenamtlich war sie anschließend in verschiedenen Pflegeheimen in der Region tätig, um Bewohnern etwas vorzulesen, mit ihnen spazieren zu gehen oder zu basteln. Für diese Tätigkeit war sie dann in einem Pflegeheim in Elstra fest eingestellt. Befristet für ein Jahr. Aber eigentlich, so sagt Bärbel Rother, sei das ohnehin nicht ganz so ihr Ding gewesen. Viel lieber wollte sie direkt in die Pflege.

Um eine feste Stelle beworben

Von einer Freundin bekam sie den Tipp, dass für den Bundesfreiwilligendienst Interessenten gesucht werden. Bärbel Rother bewarb sich und bekam eine Stelle im Pflegeheim „Zur Heimat“ des Diakonischen Werkes in Bischofswerda. „Es macht mir Spaß, den alten Menschen zu helfen. Außerdem weiß man ja nicht, wie es einem selbst einmal ergeht“, erklärt sie. Freundlich sei sie als freiwillige Helferin von den Mitarbeitern im Heim aufgenommen worden. Mit einigen Bewohnern sei es leichter gewesen, in Kontakt zu kommen als mit anderen. Das sei normal, findet sie. „Es ist doch wie in einer Familie, da hat auch jedes Kind einen anderen Charakter“, sagt sie.

Jeden Morgen freut sich Bärbel Rother auf ihre Arbeit. Dass diese drei Schichten sowie den Einsatz an Wochenenden und Feiertagen bedeutet, das macht ihr nichts aus. Es sei von vornherein klar gewesen. Und ihre Kinder seien auch nicht mehr so klein, dass sich die Familie nicht darauf einstellen könnte, erklärt sie. Es bewegt sie, wenn sie sieht, wie jemand, den sie seit fast anderthalb Jahren mit betreut, in dieser Zeit mehr und mehr abbaut. Oder aber, wenn sie zur Frühschicht kommt und jemand in der Nacht gestorben ist. Zur Arbeit in einem Pflegeheim gehört das dazu. Man lerne, damit umzugehen. Trotzdem gefällt ihr die Arbeit. Auch deshalb, weil auf den Stationen viel gelacht wird. „Wenn ich geahnt hätte, dass mir die Arbeit so viel Freude macht, hätte ich gleich eine Lehre in der Altenpflege gemacht“, sagt sie aus heutiger Sicht, räumt aber auch ein, dass dafür ihre Zensuren wohl nicht gereicht hätten.

Den Freiwilligendienst sieht Bärbel Rother als ein Sprungbrett. Sie möchte gern in dem Beruf bleiben, in dem sie regelrecht aufgeht. Deshalb hat sie sich um eine feste Stelle in dem Pflegeheim beworben. Weil ihr die Arbeit und das Team gefallen, aber auch weil sie dann statt der Aufwandsentschädigung Lohn bekäme, was gut für die Familienkasse sei, sagt sie.

Den Bundesfreiwilligendienst (BFD) gibt es seit 2011. Eingeführt wurde er mit dem Aussetzen der Wehrpflicht und des Zivildienstes. Im Gegensatz zum freiwilligen sozialen Jahr (FSJ), mit dem junge Leute meist Wartezeiten zwischen verschiedenen Ausbildungsabschnitten überbrücken, kann sich für den BFD auch bewerben, wer älter als 27 Jahre ist. Stellen für beide Freiwilligendienste gibt es in den Bischofswerdaer Altenpflegeheimen sowie in Heimen in Neukirch, Ohorn, Pulsnitz und Elstra. Allein zwölf für FSJler und fünf für BFDler in Bischofswerda. Vermittelt werden sie über das Netzwerk für Kinder- und Jugendarbeit. Neben der Arbeit in der sozialen Einrichtung sind regelmäßige Seminare fester Bestandteil der Dienste. Die Freiwilligen erhalten ein Taschengeld, sind sozialversichert und haben Anspruch auf Urlaub.