Von Nadja Laske
Antonia könnte viel flinker sein, als sich die lange Menschenschlange durch die Flure windet. Aber sie bleibt an Mamas Hand und passt sich dem Schritt der vielen Erwachsenen an, die gekommen sind, um den Dresdner Kulturpalast zu entdecken. Die Sächsische Zeitung hatte ihre Leser am Montag eingeladen, zu den allerersten Besuchern des neu eröffneten Hauses zu gehören. Die Tickets für den Entdeckertag waren restlos ausverkauft – 7 500 Stück.
SZ-Entdeckertag im Kulturpalast Dresden
Bis zu ihrem Lieblingsort muss Antonia geduldig zwischen all den großen Leuten dem rot-weißen Flatterband folgen, das den Weg markiert. Doch endlich beginnt das Reich der Bücher, auf das sich die Neunjährige so gefreut hat: die neue Zentralbibliothek mit ihren Tausenden Büchern und den Kugelsesseln, in denen es sich so gemütlich schmökern lässt. „Ich lese am liebsten die Geschichten über Ella und ihre Schulklasse“, sagt Antonia. Von dem finnischen Kinderbuchautor Timo Parvela stehen schon viele Bände daheim in ihrem Regal. Noch lieber, als Bücher zu leihen, besitzt sie die blondgezopfte Leseratte selbst und muss sie nicht wieder hergeben.
Ein bisschen langsam kommt auch Rainer Graf im Besucherfluss voran. Doch er versteht, dass die Gäste des Entdeckertages in Ruhe schauen und staunen wollen. Der Tanzlehrer hatte das Glück, schon am Freitag die festliche Einweihung des Konzertsaales mitzuerleben. Jetzt möchte er wissen, was sich sonst noch Neues unter dem altbekannten Dach verbirgt. Graf kennt den Kulturpalast seit vielen Jahrzehnten. Allein 30 Jahre lang hat er das Tanzfestival Dresden mitgestaltet, das dort seit der Eröffnung im Jahr 1969 ausgerichtet wurde.
„Für die Dresdner Philharmonie ist die Wiedereröffnung eine wunderbare Sache“, sagt Rainer Graf. Um den Tanz jedoch trauert er. Turnierveranstaltungen und Tanz-Galas, wie sie im „Kulti“ zu Hause waren, wird es dort nicht mehr geben. „Dafür wurden damals alle Stühle ausgebaut.“ So entstand ein riesiges Parkett für die Wettbewerbe und Shows. Das Publikum saß an Tischen und wurde bewirtet. „Hier ist mir ein grandioser Versprecher passiert“, erinnert sich der einstige Tänzer. Als Turnierleiter hatte er die Aufgabe, die auftretenden Paare anzukündigen. Einem aus der Bundesrepublik schanzte er aus Versehen das Herkunftsland Deutsche Demokratische Republik zu. Das war ein Schreck, ging aber letztlich glimpflich für ihn aus.
Das konnte ein britischer Weltklasse-Tänzer zunächst nicht von sich sagen. „Er brach sich zu Beginn des Tanzfestivals die linke Hand, kam am nächsten Tag zu mir in die Tanzschule und stellte seine gesamte Choreografie auf die rechte Hand um“, erzählt Rainer Graf. Das folgende Turnier tanzte er wieder mit. „Er war Profi durch und durch, keiner hat etwas gemerkt.“ Welche Koryphäen zum Ausscheid nach Dresden kamen, blieb stets eine Überraschung. Mit großen Namen brauchten die Veranstalter im Vorfeld nicht zu werben, der Kulturpalast war ohnehin ausverkauft.
Viele Fotos, Programmhefte und Zeitungen aus dieser Zeit hat Graf aufgehoben, auch das Abschlussfoto aus dem Jahr 1999. Ab dann war Schluss mit den großen Turnieren. „Die konnte einfach keiner mehr bezahlen“, sagt Graf. Während er über das Gestern spricht, testet eine Besucherin im Saal die heutigen korallenroten Polster. „Schön bequem“, stellt sie fest und macht gleich Platz für den Nächsten. Fast alle Stuhlreihen sind abgesperrt, nur die erste bietet sich zum Probesitzen an. „Wir hätten ja wirklich gern gehört, wie die Musik im neuen Saal klingt“, bedauern etliche Besucher. Die Planer des SZ-Entdeckertages hatten die Erlaubnis, Musiker auftreten zu lassen, nicht erhalten. Weil einige Bereiche noch zu sehr im Baustellenmodus sind, gibt es nun Überlegungen für eine weitere Leser-Veranstaltung inklusive Klangeindruck.
Neben der Musik vermissen die Gäste auch Antworten auf ihre Fragen: Gab es schon früher eine Orgel? Sind die Sitze neu oder nur frisch aufgepolstert? Wozu dienen die weißen segelförmigen Elemente hoch oben an der Decke? Die Kollegen vom Sicherheitsdienst erfüllen ihre Aufgabe und bitten um rasches Weitergehen. Unablässig ringelt sich draußen auf dem Vorplatz die Warteschlange. So viele Menschen wollen noch ihre Entdeckungen machen. Ein tolles Haus, so die einhellige Meinung. Und danke für die Stippvisite!