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Auf Motiv-Jagd

Dia-Abende haben Thomas Kapuss früher von der Fotografie abgeschreckt. Heute ist er mit der Kamera ständig auf Suche. Dabei hat er zu warten gelernt.

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© André Wirsig

Von Lars Kühl

Der kleine Junge nimmt das Gewehr und zielt in die vorbei strömende Menschenmenge. Eine Frau mit ihren beiden Kindern an der Hand schaut entsetzt zu ihm herüber. Thomas Kapuss hat seine Waffe im Anschlag und schießt – sein Foto. Er hat die Szenerie vorausgeahnt und geduldig mit seiner Kamera auf den richtigen Moment gewartet. Im Frankreich-Urlaub, an einem Stand für Spielzeug.

Sein Foto vom Jungen, der mit einem Spielzeuggewehr auf Passanten zielt, wurde in Internetforen heiß diskutiert.
Sein Foto vom Jungen, der mit einem Spielzeuggewehr auf Passanten zielt, wurde in Internetforen heiß diskutiert.

„Du hast nur diesen einen Augenblick“, sagt der 39-Jährige. „Entweder du hast es bloß gesehen oder festgehalten.“ Besondere Momente im Foto verewigen, das ist es, was das Hobby des Pennrichers ausmacht. Das können Begegnungen mit Menschen sein. Im Zug, auf einer Wiese oder im Zoo. Menschen, die überhaupt nicht merken, dass sie fotografiert werden. Ganz ungestellt. Oder Kapuss sucht in der Architektur nach dem Auffälligen. Besonders faszinieren ihn Treppenhäuser. Zusammen mit einem Freund schaffte er es, nur aus Stufen, Geländern und der richtigen Perspektive ein ganzes Alphabet zu verewigen.

Dabei entdeckte Kapuss seine Leidenschaft erst spät. Obwohl sein Opa und sein Vater viel fotografiert hatten. Noch analog und mit Dunkelkammer für die Entwicklung im Keller, erinnert sich der Hotelfachmann. Momente festhalten war damals viel schwieriger. „Für ein Foto mussten wir still stehen und durften fünf Minuten nicht lachen.“ Tausende Dias stapelten sich in Kisten und wurden dann an Fotoabenden stundenlang gezeigt. „Das hat mich eher abgeschreckt.“ Trotzdem kaufte sich Kapuss als junger Mann seine erste Spiegelreflex-Kamera für eine Urlaubsreise. Schnell merkte er, dass auch in ihm der Foto-Virus steckt. Als seine große Tochter, die heute zehn ist, geboren wurde, stellte er seine Ausrüstung auf Digitaltechnik um. Dennoch denkt Kapuss beim Fotografieren immer noch wie in analogen Zeiten. „Selbst wenn du von einem Motiv mehrere Aufnahmen machst, es ist meist das erste, welches am besten ist.“ Der Aufbau, das Licht, der Bildausschnitt – Kapuss überlegt genau, bevor er auslöst. Dazu muss er häufig auf den entscheidenden Moment warten. „Oft hast du das Bild schon im Kopf, bevor es passiert.“ Die Aussage seiner Bilder ist ihm wichtig. Der Betrachter soll sie sehen: die Überraschung, die Ruhe, die Gebanntheit, die Freude. Dabei bleibt meist Platz für eine eigene Interpretation. Denn oft sei auf den Fotos mehr, als im ersten Moment erkennbar ist. Mit Gleichgesinnten philosophiert Kapuss dann in Internetforen darüber.

Um die Bildaussage geht es auch beim Dresdner Fotomarathon. Am 26. April findet der zum vierten Mal statt. Kapuss und seine Mitstreiter vom Verein Fotomarathon Dresden rechnen mit über 200 Teilnehmern. Die Aktion gibt es weltweit in vielen Städten; Berlin und München gelten in Deutschland als Vorreiter. Früher machte Kapuss bei ähnlichen Veranstaltungen in Dresden mit und hatte seinen Spaß. 2010 fragte er sich mit seinen Foto-Spezies Frank Seltmann und Robert Dietzsch: „Kann man das nicht größer und besser machen?“ Ein Jahr später folgte dann die Premiere.

Doch müssen interessierte Fotomarathonis ausgemachte Ausdauerläufer sein? „Nein, nein, wir wollen nur Fotobegeisterte durch die Stadt jagen. Die sportliche Herausforderung besteht lediglich darin, die Strecke zwischen Start und Ziel zu überbrücken.“ Wie, ist nebensächlich. Trotzdem sei es ein Wettstreit. Denn die Teilnehmer müssten zu einem Motto in fünf Stunden fotografisch zehn Aufgaben lösen.

Kreativität ist gefragt, aber auch Improvisationstalent. Kapuss empfiehlt, Utensilien wie Stifte, einen Würfel oder eine Tüte Buchstaben-Suppe dabeizuhaben. Die Ausrüstung sei dagegen völlig egal: Ob Analog-Kamera, Digital-Knipse oder Profi-Spiegelreflex – die Siegchancen sind für jeden gleich. Für Kapuss und die anderen Vereinsmitglieder beginnt der Marathon erst später. Wenn sie auf den Zehner-Foto-Serien nach den besten Bildern suchen.

www.fotomarathon-dresden.de