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Auf Eddie ist Verlass

Der 82-Jährige ist eine Radebeuler Tanztheaterlegende. Doch nicht nur Ältere kennen seinen Namen. Auch ganz Kleine. Die sich auf den Opa ehrenhalber freuen.

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© Norbert Millauer

Von Ines Scholze-Luft

Radebeul. Eddie Gampe weiß genau, was gut ankommt bei seinen jüngsten Schützlingen. Zuwendung beim Spielen und Erzählen natürlich. Aber auch das, was er bei jedem Besuch mitbringt. Eine Kleinigkeit, meist was Süßes zum Naschen. Eine Überraschung, von einem italienischen Hersteller, der gern Neues anbietet. Danach hält Eddie Gampe beim Einkauf Ausschau.

Die Mitbringsel sind gefragt. Der 82-Jährige freut sich schon beim Aussuchen auf die Gesichter der Beschenkten. In der Pateninitiative der Kindervereinigung Dresden kümmert er sich ehrenamtlich um Anna* und Milan*, ein Zwillingspaar, sieben Jahre jung, und den zweieinhalbjährigen Marius*. Drei Dresdner, die von Eddies Heimat Radebeul aus gesehen am anderen Ende der Landeshauptstadt wohnen. Einmal pro Woche fährt er zu ihnen. Mit Bus und Bahn quer durch die Stadt, anderthalb Stunden. Zweimal umsteigen, ein kurzer Fußweg. Dann haben sie einen Nachmittag für sich, mit Vorlesen, Basteln – gern mit Legosteinen – und Schwatzen. Als Auftakt ein Kaffeetrinken ganz in Familie. Was ja eigentlich nicht stimmt, sagt der Radebeuler. Obwohl er sich so herzlich aufgenommen fühlt von Mutter und Kindern.

Der Kontakt zu anderen Menschen ist ihm wichtig. Bei jungen Leuten beeindruckt ihn besonders, dass sie so viel Zuversicht, Elan und Unkompliziertheit ausstrahlen. Was den Tanzpädagogen schon begeistert, als er zu DDR-Zeiten Kindertanzgruppen anleitet, die bei den Arbeiterfestspielen regelmäßig Preise holen. Das hat ihn jung gehalten. Auch wenn jetzt die Hüfte zwickt und nicht nur die Kniegelenke schmerzen. Da muss manchmal ein Stock helfen. Nun hat ihn noch der graue Star erwischt, eine altersbedingte Augenkrankheit. Die führte ihn erst kürzlich in die Klinik. Doch kaum Daheim, machte er sich wieder auf zu seinen Dresdnern.

Denn einen wie Eddie Gampe schmeißt Kranksein nicht gleich um. Wenn er erzählt, blitzen die Augen. Dabei wäre ihm eine gewisse Enttäuschung übers Leben nicht zu verdenken. Doch so unglaublich bitter sich die Geschichte seiner Familie anhört, er sieht darin auch eine Chance. 1934 in Schönelinde im einstigen Sudetenland geboren – heute Krásná Lipa in der Tschechei – erlebt er als Heranwachsender Katastrophales. Den Weltkrieg, nach dessen Ende das kleine Transportunternehmen des Vaters enteignet wird. Die Familie muss ihr Haus aufgeben, Zwangsarbeit und die Einweisung in ein KZ folgen.

Durch eine politische Entscheidung kommen Gampes schließlich nach Radebeul. Wo Eddie noch heute zur Untermiete lebt in dem Haus, in das er 1946 mit Eltern und Zwillingsschwester Edeltraud – einziges Mädchen unter acht Brüdern – einzieht. Und bald eine beachtliche künstlerische Entwicklung startet.

Der Zufall führt den gelernten Bäcker zum Tanzen, ins Wismut-Betriebsensemble, später sogar in den Friedrichstadtpalast und schließlich an die Landesbühnen. Das alles hätte es nicht gegeben ohne die Zwangsreise nach Sachsen, sagt der freundliche, seine Worte sehr überlegt formulierende Mann im schicken Sportlerdress. In Schönelinde hätte niemand einen Tänzer gebraucht. „Ich bin nicht böse über die Vertreibung.“ Bei Treffen mit Schülern und auf Geschichtsforen erklärt er, wie wichtig ihm Versöhnung ist. Weil er seine Kraft nicht in Hass, Wut und Rache stecken will, sondern ins Leben.

Das tut er frühzeitig, macht sein Tänzer-Examen, tritt auf bis ins biblische Tänzer-Alter von 60 Jahren – normalerweise ist für Aktive mit 35 Jahren Schluss. Danach macht er als Kleindarsteller weiter, weil er sich von der Bühne nicht trennen kann. Bis Januar 2016. Bis ins 81. Lebensjahr. Doch durch die beeindruckende Bilanz scheint etwas Trauer. Nicht nur, weil das Theater Eddie nicht los lässt. Die Geschwister leben nicht mehr. Die nächsten Verwandten fehlen. Dass er sich mit Nichten und Neffen versteht, sie nicht nur zu Familienfesten trifft, lässt die Augen wieder glänzen. Wie der Gedanke an seine Ersatzfamilie. Als er Schüler einer Coschützer Tanzgruppe trainiert, begegnet er einem wenig begabten Jungen, der trotzdem so gern mitmachen will. Eddie ermöglicht das. Die ganze Gruppe holt eine Auszeichnung. Als man sich später wiedersieht, beginnt eine große Freundschaft. Mit dem jungen Mann, seinen Brüdern und den Eltern.

Davon erzählt er genau so gern wie von seinen nunmehr zwanzig Jahren als Opa ehrenhalber. Als er sich meldet, weil die TU Freiwillige braucht, die unentgeltlich Kinder von Studenten betreuen. Damit die in Ruhe Vorlesungen und Seminare besuchen können. Ihm hat das immer Freude gemacht, er hat viel erlebt, sagt Eddie Gampe. Auch dann, als er für die Kindervereinigung aktiv wird und nicht mehr nur Studentennachwuchs zu behüten ist.

Seit fünf Jahren kommt er regelmäßig zu seinen Dresdner „Enkeln“. Meist lassen sie das Opi weg, wenn sie ihm was zu erzählen haben. Jedes Mal eine ganze Menge. Und noch mehr, seit die Zwillinge zur Schule gehen. Selbst wenn sie sich nicht sehen, ist Eddie Gampe eine feste Größe. Aus dem Urlaub an der See kam jeden zweiten Tag eine SMS. Und die Heimfahrt nach einem Enkelnachmittag endet immer mit der Nachfrage, ob er gut angekommen ist.

(*)Name von der Redaktion geändert.