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Auf der Suche nach der Bohrkrone

Der Großenhainer Bahn-Bau bringt auch Kurioses mit sich – zum Beispiel die Suche nach Werkzeug.

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© Anne Hübschmann

Von Birgit Ulbricht

Großenhain. Ein historisches Foto. Die Brücke in den Großenhainer Ortsteil Großraschütz steht frei in der Landschaft. Am Freitag war es soweit. Die zweite Damm-Seite ist durchbrochen. Am Montag soll die Brücke abgetragen werden. Ein Spektakel, das sich mancher sicher nicht entgehen lässt. Und ein einmaliger Moment, wurde doch die Bahnlinie am 17. Juni 1875 freigegeben.

Vorher wollen die Bauarbeiter aber noch unbedingt die Bohrkrone bergen, die seit dem 7. Oktober 2015 im Bahndamm steckt Auf dem Foto sind vergleichbare Bohrkronen zu sehen.
Vorher wollen die Bauarbeiter aber noch unbedingt die Bohrkrone bergen, die seit dem 7. Oktober 2015 im Bahndamm steckt Auf dem Foto sind vergleichbare Bohrkronen zu sehen. © Anne Hübschmann

Während alle Augen auf das Brückenbauwerk gerichtet sind, tut sich allerdings auch nebenan auf Bergkellerseite etwas. Arbeiter werden nächste Woche auf die Suche nach einer verlorenen Bohrkrone gehen. Wo die genau steckt, ist nicht ganz sicher. Der Fall schaffte es sogar bis in den Stadtrat, und Stadtrat Carsten Heine witzelte damals, es sei schon kurios, dass wir jedes Gestein auf anderen Planeten kennen, aber nicht wissen, was da in unserem Bahndamm steckt. Der Hintergrund ist freilich ein ernster. Die Stadt hatte 2015 den Abwasserbau an der Merschwitzer Straße in Auftrag gegeben und dafür einen Dammdurchstoß in Höhe des Bergkellers geplant. Die Firma TS Bau aus Riesa übernahm den Auftrag.

Was steckt da im Bahndamm drin?

Bei den ersten Bohrversuchen blieb allerdings der komplette Bohrkopf am 7. Oktober 2015 im Bahndamm stecken – oder besser gesagt darunter im Erdreich. Was immer die Arbeiter versuchten, ohne das wertvolle Werkzeug zu beschädigen, war es einfach nicht mehr herauszubekommen. Jedenfalls nicht ohne weitere Kosten, und die wollten die TS Bau aus Riesa und die Stadt Großenhain dann doch vermeiden. Das finanzielle Nachspiel des missglückten Dammdurchstoßes war ohnehin nur in etlichen Gesprächsrunden mit Anwalt zu regeln. Die Firma wollte den Schaden natürlich bezahlt haben, schließlich gab es vom Auftraggeber Stadt eine Schachtgenehmigung und damit eine Freigabe. Getreu des Großenhainer Grundsatzes „lieber geeinigt statt gestritten“, ließ man die Sache bis zum Beginn des Bahn-Bau-Projektes im Damm ruhen.

Zunächst veranschlagte die TS Bau nämlich rund 158 000 Euro Schadensersatz für Baustopp und Bergung des Bohrkopfes. Inwieweit der zu reparieren ist, ist allerdings noch gar nicht absehbar. Deshalb hatte die Stadt angeboten, bei der Bergung zu helfen und die Kosten der Reparatur von Bohrkrone und Elektronik zu übernehmen. Damit einigte man sich schließlich gütlich auf rund 64 Prozent der ursprünglichen Forderung. In welchem Zustand die Bohrkrone ist und was zum Festfahren geführt hat – dieses Geheimnis wird sich erst lüften, wenn die Arbeiter nächste Woche den Damm weiter aufgraben. Und was hat nun die Bohrkrone zum Steckenbleiben gebracht? Stadtbaudirektor Tilo Hönicke vermutete damals, dass ein Findling genau an dieser Stelle im Bahndamm steckt oder vielleicht anderes altes Gestein, das dort vor über hundert Jahren zum Aufschütten des Dammes mit abgekippt wurde. Gut möglich, dass die steckengebliebene Bohrkrone auch nur zwischen festem Stein und weicherem Sand verklemmt ist. Eine Parallelbohrung konnte auch das nicht klären.

Von Felsgestein gehen Ortskundige nicht aus, denn der Bahndamm wurde bei seinem Bau komplett auf ebener Fläche aufgeschüttet. Mit Pferdefuhrwerken wurde aus den umliegenden Gruben Erdreich angefahren. In schier unendlicher Handarbeit wurde der Damm aufgeschüttet. Heute gar nicht mehr vorstellbar. So gesehen muten die damaligen Bauzeiten geradezu grandios an: Im Februar 1872, ein Jahr, nachdem Berlin Hauptstadt des neuen Deutschen Reiches geworden war, begangen die Vorarbeiten an der neuen Eisenbahnstrecke Dresden-Berlin. Schon am 21. März desselben Jahres erteilte Preußen die Konzession dazu, im September gründete sich die Eisenbahngesellschaft und im Juni 1875 wurde die Strecke schon freigegeben.