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Auf der Spur Fritz Meinhardts

Die nach ihm benannte Straße im Dresdner Süden kennen viele. Aber wer ist der Mensch hinter dem Namen? Für die Nazis war er ein doppeltes Feindbild.

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© N. Neumann

Von Tobias Wolf

Yehuda Meinhardt ist still geworden. Das hebräische Lied „Der Friedensstifter“ ertönt. Die Kippa auf dem Kopf ausgerichtet, den Blick gesenkt, hört er die Gedenkrede für seinen Verwandten an. Aus Israel ist der 71-jährige Physiker angereist, um die Stadt kennenzulernen, in der Fritz Meinhardt starb. Eine Art Cousin, sagt Yehuda Meinhardt. Die Großväter waren Brüder. Der freundliche ältere Herr wollte dabei sein, wenn an der Fritz-Meinhardt-Straße in Nickern ein Stolperstein für den Verwandten verlegt wird.

René Haupt und Yehuda Meinhardt sind die Paten für den Stolperstein.
René Haupt und Yehuda Meinhardt sind die Paten für den Stolperstein. © N. Neumann

Ein kleines Quadrat aus goldglänzendem Messing mit den Lebensdaten, umgeben von Rosen. Der in Schwedt als Sohn eines Pferdehändlers geborene Jude und spätere Kommunist war im Ersten Weltkrieg schwer verletzt worden und zog 1924 nach Dresden, um als Bankangestellter zu arbeiten. 1927 heiratete er hier Marta Franz.

Orientierte er sich zunächst an der militaristischen Bewegung, zu der auch die gefürchteten Freikorps gehörten, trat er 1927 in die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) ein, wurde Kassierer in der Lockwitzer Ortsgruppe und zog von Kleinzschachwitz nach Nickern um. Der Dresdner René Haupt hat Fritz Meinhardts Geschichte für die Internetseite Stadtwiki Dresden aufgeschrieben. „Das waren am Anfang nur ein paar Zeilen und dann ist der Text immer weiter angewachsen“, sagt der 49-Jährige. Hatte er sich früher kaum für Geschichte interessiert, brachte ihn sein beruflich bedingter Wegzug nach Nordrhein-Westfalen dazu, sich mit den Stadtteilen seiner Kindheit zu beschäftigen. Aufgewachsen im Hechtviertel, besuchte er häufig seine Großeltern in Lockwitz und andere Verwandte in Nickern. Mit dem Fahrrad fuhr er immer über die Fritz-Meinhardt-Straße und fragte sich irgendwann: Wer war dieser Mann?

Über seine Recherchen kommt er in Kontakt mit Yehuda Meinhardt. Jener beginnt in Israel, nach Spuren von Fritz Meinhardt zu suchen und wird bei der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem fündig. Das Archiv hat die Akten eines Gerichtsverfahrens im Bestand, ein Schauprozess in den 1960ern in der DDR, gut 5 000 Seiten dick. Zwei lange Tage blättert er durch die Dokumente und erfährt, dass ein Kommissar Henry Schmidt zumindest für die Folter an Fritz Meinhardt verurteilt wurde. Meinhardt hatte vor seiner letzten Verhaftung durch die Gestapo als Zwangsarbeiter unter anderem im Goehle-Werk in Pieschen Munition herstellen müssen.

Am 21. April 1943 wurde er denunziert und einbestellt. Er hatte es gewagt, sich an Hitlers Geburtstag einen Tag zuvor negativ über die Essensversorgung der jüdischen Zwangsarbeiter zu äußern. In Gestapo-Haft wurde er gefoltert und laut Polizeibericht später tot in seiner Zelle gefunden – angeblich Suizid. Seine Witwe ließ ihn auf dem Neuen Jüdischen Friedhof bestatten. Sein erst drei Jahre alter Sohn, der später einer Epidemie zum Opfer fiel, fand neben ihm seine letzte Ruhe. Doch irgendwann wurden die beiden auf einen anderen Friedhof umgebettet – wohin, ist bis heute unklar.

Für Yehuda Meinhardt ist der Stolperstein deshalb besonders wichtig. „Solange wir nicht wissen, wo er bestattet ist, haben wir nun wenigstens eine Art Ersatzgrab, einen Ort, der mit dem Namen Fritz Meinhardt verbunden ist – direkt vor dem Haus in der nach ihm benannten Straße, wo er zuletzt lebte.“