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Auf den Mops gekommen

Peter Kausträter und sein Amadeus lieben ihre Neustadt. Und der Kiez steht auf das Knautschgesicht und sein Herrchen.

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© Sven Ellger

Von Julia Vollmer

Ein Leben ohne Mops ist möglich, aber sinnlos. Humorist Loriot, von dem dieses Zitat stammt, und Peter Kausträter sind sich da einig. Der 67-Jährige und sein Mops Amadeus sind echte Neustädter Originale. Laufen die beiden die Alaunstraße oder den Bischofsweg entlang, drehen sich viele um, oft mit einem breiten Lächeln.

Geboren ist Peter Kausträter 1949 in Rheine in Westfalen. Nach dem Abitur begann er eine Rundreise durch Deutschland: München, Düsseldorf, Braunschweig, Köln und Essen. Doch die längste Zeit seines Lebens an einem Ort verbrachte er in der Neustadt. Das Dresden-Fieber, wie er es nennt, packte ihn kurz nach der Wende. 1991 besuchte er die Stadt das erste Mal. An dem Abend lauschte er in der Loge der Semperoper einer Oper, seitdem ist er der Musik und der Stadt verfallen.

Seit 1997 lebt der Mops-Papa nun schon in der Neustadt, immer in derselben Wohnung. 72 Quadratmeter in einem Gründerzeithaus in der Sebnitzer Straße bewohnt er Eigen. Von der Miete kann jeder Zugezogene nur träumen. 400 Euro kalt bezahlte er beim Einzug Ende der 90er-Jahre. Anders als viele Bewohner des Szene-Viertels muss er nicht mit Mieterhöhungen kämpfen. Heute zahlt er 460 Euro.

Fakten zur Neustadt

Bunt, jung, kinderreich, alles Grünen-Wähler: Klischees über die Neustadt gibt es viele. Und viele stimmen sogar. In der Äußeren Neustadt leben tatsächlich viele junge Menschen. Von den rund 17890 Einwohnern mit Hauptwohnsitz sind rund 13200 unter 40 Jahre alt. Und Kinder? Kinder gibt es ganz dem Klischee folgend auch jede Menge. Rund 3000 Mädchen und Jungs unter 18Jahren bevölkern Alaunstraße, Bischofsweg und Co. Der Altersschnitt liegt laut Melderegister der Stadt bei 31,8 Jahren. Der Kiez erfreut sich regem Zuzugs. 2006 lebten rund 15000 Einwohner hier, 1990 waren es nur 11516.

Bunt ist die Neustadt tatsächlich. Einwohner 110 verschiedener Nationalitäten wohnen im Viertel. Singlehaushalte gibt es überdurchschnittlich viele. Rund 69 Prozent der Neustädter leben allein in ihrer Wohnung. Aufs Heiraten scheinen die Bewohner nicht viel Wert zu legen. Nur 17,8 Prozent sind unter der Haube.

Freitag- und Samstagabend pilgern die Dresdner in die Neustadt, um essen und tanzen zu gehen. Die Bewohner genießen die Vielfalt der kulinarischen Angebote jeden Tag. Rund 150 Kneipen und Restaurants gibt es derzeit im Kiez, laut Statistischem Landesamt. Das Rathaus selbst zählt rund 265 Betriebe, hier gibt es allerdings nur Daten für den kompletten 01099-Postleitzahlenbereich.

Erstmals erwähnt wurde der Stadtteil in den Geschichtsbüchern 1835. Die Neustadt breitet sich auf einer Fläche von 114Hektar aus. Im Viertel stehen noch viele alte Häuser, 75 Prozent wurden vor 1918 gebaut und nur rund fünf Prozent nach 1991. 6,1Prozent der Wohnungen stehen derzeit leer, nur 7,3 Prozent der Neustädter leben in einem Eigenheim.

Die Neustädter sind keine großen Autofahrer. Nur rund 5000 Fahrzeuge sind zugelassen.

Genauso wenig überraschend sind die Wahlergebnisse im Kiez. Typisch Neustadt lagen sowohl bei der letzten Stadtratswahl als auch bei Bundes- und Landtagswahl die Grünen ganz weit vorn. Bei der Wahl zum neuen Stadtrat 2014 holten die Grünen fast 40 Prozent, die CDU dagegen nur rund neun Prozent. Die AfD kam auf gerade mal zwei Prozent. (SZ/jv)

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Im Viertel ist eigentlich nichts so richtig weit entfernt, trotzdem schätzt es der Neustädter, die wesentlichen Dinge gleich um die Ecke zu haben. So geht es auch Peter Kausträter. Die Kultkneipe Laika an der Ecke Kamenzer/Schönfelder Straße gehört genauso zu seinen Lieblingen wie das Lloyds und die Bar Holda am Martin-Luther-Platz. Jeder kennt jeden im Laika, „immer ist jemand zum Quatschen da.“ Auf der Straße nicht angegafft zu werden, egal, wie man aussieht oder was man anhat – das liebt er an seinem Kiez. „Die Leute hier haben kein Prestige-Denken, auf Statussymbole wie große Autos wird kaum Wert gelegt.“ Dabei hat er, über 30 Jahre Einkäufer bei Karstadt, selbst ein Faible für schöne Klamotten. .„Allerweltskram“ von H&M und Co. zieht er nicht an.

Gleich um die Ecke seiner Wohnung liegen seine täglichen Anlaufstellen: Obsthändler Mustafa und der Spätshop Bui. Bei Bui gibt es nichts, was es nicht gibt. Peter Kausträter liebt die vollgestopften Regale und den immer netten Plausch mit den beiden Händlern. Bei Mustafa kauft er am liebsten Antipasti und Frischkäse. Immer ein persönliches Wort, eine Empfehlung vom Chef, das mache den Charme der kleinen Läden aus. Für Amadeus fällt auch mal das eine oder andere Leckerchen ab.

Bis das Netto 2008 auf der Kamenzer Straße eröffnete, hatten Bui und Mustafa ein Alleinstellungsmerkmal auf der Straße. Die Netto-Eröffnung war sehr umstritten, Anwohner fürchteten den Kommerz auf der Kamenzer, so Kausträter. Unbekannte schmissen Scheiben ein und manipulierten die Türschlösser. Bui und Mustafa blieben – trotz Konkurrenz.

Dieses Engagement wünscht er sich auch von den Gastronomen. Statt über die Billig-Konkurrenz von Eva’s Pizza und Co. zu jammern, sollten sie sich neu erfinden, meint er. Seine Favoriten: La Casina Rosa und Veccia Napoli. Lecker und bezahlbar. Überhaupt nichts bezahlen musste der 67-Jährige für einen ganz besonderen Nachbarschaftsservice. Als sein Bad vor fünf Jahren saniert wurde und er es wochenlang nicht benutzen konnte, durfte er täglich im Hostel Mondpalast duschen. Einen Kaffee und einen Plausch gab es dazu.

Positiv weiterentwickelt hat sich die Bunte Republik Neustadt, findet der Hunde-Papa. In diesem Jahr gab es mal kein Gedrängel. Er vermisst aber die kleinen, urigen Stände – die Oma, die selbst gemachte Schmalzstullen verkauft. Gut erinnern kann er sich noch an die Kiez-Feste, zu denen es größere Probleme als zu viele Bierwagen gab. Brennende Autos, Hubschrauber über den Dächern, die Krawalle, die es bis in die Tagesschau schafften. Peter Kausträter war 2007 bei der BRN dabei, hat aber alles nur aus der Ferne beobachtet. „Ich hatte wirklich Angst und bin lieber ein paar Meter weggeblieben.“

Gibt es eigentlich auch Dinge, die er an seinem Viertel nicht mag? Klar, sagt er. Mit Schmierereien, rechter wie linker, an den Hauswänden will er sich nicht abfinden. „Jeder kann seine Meinung äußern, aber nicht so.“ Unschön findet Kausträter Menschen, die mit der Bierflasche in der Hand auf der Straße herumlaufen. Nicht sein Stil sei das, aber er toleriere es. Richtig wütend ist er über den neuen Scheune-Vorplatz. Der hat jeden Charme verloren.“

Drei Dinge nahm sich Peter Kausträter vor, als er 2012 in Rente ging. Viel Kultur erleben war eines davon. Außerdem auf der Liste der guten Vorsätze: soziales Engagement. Er betreut Senioren in der katholischen Gemeinde St. Clara, geht mit ihnen zum Arzt und ist in Gesprächen für sie da. Vorsatz Nummer drei: Sport machen. Nachdem ihm sein neuerstandenes Fahrrad gestohlen wurde, trat Amadeus in sein Leben. Einen Hund zu haben, bedeutet schließlich tägliche Spaziergänge. Ein Leben ohne Mops? Unvorstellbar.