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Auf Brötchentour

Bäckermobile helfen bei der Versorgung in den Dörfern – und zwar nicht nur mit Backwerk, sondern auch mit Zuspruch und Aufmerksamkeit.

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© Anne Hübschmann

Von Susanne Plecher

Großenhain. Um sieben Uhr räumt Sandra Thieme das Auto ein. Es ist nicht irgendein Auto, sondern ein Verkaufsmobil für Backwaren. Sandra Thieme rüstet sich für ihre Tour. Sie schlichtet Brote in die Wandregale, legt zehn Sorten Brötchen aus, sortiert Schweinsohren, Prasselkuchen und Streuselschnecken in die für sie vorgesehenen Auslagen. Vorsicht ist geboten beim Buttercremebackwerk. Zu schnell in eine scharfe Kurve gefahren – und das prächtige Stück ist hinüber. „Ich muss mir schon sehr genau überlegen, wie ich einräume“, sagt die 38 Jahre alte Bäckerin. Alles muss passen, nichts darf verrutschen.

Zuerst fährt sie nach Weßnitz und zur Waldsiedlung Kupferberg. Sie muss sich beeilen, die Leute dort warten auf ihre Frühstücksbrötchen. Halb neun kehrt sie zum Stammgeschäft an der Öhringer Straße zurück und füllt die Auslagen wieder nach. Auch sieben Sorten Blechkuchen lädt sie jetzt ein. Freitags kaufen die Kunden gern ein Stück mehr. Mandel- und Zupfkuchen sind dabei, Eierschecke, Streusel mit Obst. Frisch, lecker, bodenständig. Nichts Verrücktes. Die Tour geht auf die Dörfer.

Die Thiemes haben zu den ersten Bäckern gehört, die nach der Wende in ein Verkaufsmobil investiert haben. Seit 25 Jahren fahren sie fünfmal pro Woche die Orte im Süden von Großenhain an. Der Service rechnet sich gerade so, reich wird man nicht dabei. Pro Tour nehmen sie zwischen 200 und 300 Euro ein – ohne Preisaufschlag. Die Backwaren sind genauso teuer wie im Laden. Davon wird das Auto bezahlt, der Diesel, die Reparaturen.

„Aber es ist praktisch, dass ich nirgendwo lange warten muss. Kommt kein Kunde, fahre ich weiter zum Nächsten. Im Laden ist das anders“, sagt Sandra Thieme. Auf der Route für diesen Tag stehen Rostig, Göhra, Reinersdorf, Beiersdorf und Naunhof. Dann geht es hinaus aus der Ebersbacher Flur und hinein in das Priestewitzer Gemeindegebiet: Nauleis, Baßlitz, Geißlitz. Porschütz, Blattersleben und Strießen folgen, bevor sie auf dem Rückweg nach Großenhain in die Baumschule Winkler abbiegt. „Das ist zur Mittagszeit“, sagt sie. Dann lohnt es sich nicht mehr, auf Kunden zu warten. Alle gehen zu Tisch, danach steht den meisten der eher älteren Kunden der Sinn nach Sofa, nicht nach Einkauf.

Ein bisschen Tratsch und eine Prise Aufmunterung

Sandra Thieme kennt nicht nur die Namen ihrer Kundschaft, sondern auch einen Teil ihrer Gepflogenheiten und ein Stückchen Lebensgeschichte. „Wir begleiten die Meisten schon über Jahre, da weiß man vieles voneinander“, sagt sie. 35 meist ältere Frauen und wenige Männer wird sie heute nicht nur mit Backwaren versorgen, sondern auch mit Zuspruch und Aufmerksamkeit. Sie fragt ruhig und diskret nach dem Befinden, lässt sich von Arztbesuchen erzählen und von den Enkeln, die bald zu Besuch kommen. Sie weiß Bescheid, über den dubiosen Nachbarn, der das Haus sanieren wollte und ewig nicht mehr gesehen wurde.

Es gibt ein bisschen Tratsch und eine Prise Aufmunterung, ein offenes Lächeln und ein freundliches Wort. Ganz nebenbei wird das Geschäft abgewickelt, wandern Brötchen in mitgebrachte Beutel, landen Brot, Saft und Marmelade in Körben, wird die Bestellung für die kommende Woche notiert. „Das mag ich so an meiner Arbeit“, wird sie später sagen. „Dass ich unterwegs bin und mit den Menschen in Kontakt komme, dass ich so viel Abwechslung habe. Das ist schön.“

Bei den Meisten hält sie direkt vor dem Hoftor. Vorsichtig peilt sie die Kurven an und drückt den Klingelknopf. Sandra Thieme ist pünktlich. Ihre Kunden sind es auch. Sie erwarten sie bereits in Straßenkleidung. Herr Gießmann in Rostig kauft „wie immer“. Nach 25 Jahren regelmäßiger Kundenbetreuung weiß Sandra Thieme, was sich dahinter verbirgt: ein halbes Mischbrot, zwei helle Brötchen, zwei dunkle, zwei Vollkorn. Kuchen nach Appetit. Noch ein paar nette Worte, dann wird die Verkaufsklappe geschlossen, und ab geht es zu Hoffmanns.

Die Verkaufsbeziehung zu ihnen ist immerhin 17 Jahre alt. Die Familie ist 1999 nach Rostig gezogen, seither kommen Thiemes Backwaren auf den Tisch. Pünktlich um neun klingelt das Auto. „Wenn sie Viertel zehn nicht da wäre, würde ich im Laden anrufen“, sagt Claudia Hoffmann so, dass man es ihr abnimmt. Heute hat sie den Einkauf übernommen. Ihr betagter Vater ist erkältet und will nicht raus. „Frau Thieme fährt extra vor unser Grundstück. Das ist Service hoch zehn!“, lobt sie.

Einkäufe in die Wohnung getragen

Bei Glatteis begleitet die Bäckerin ihre Kunden auch zur Haustür, manchem hat sie die Einkäufe sogar in die Wohnung getragen und in den Schrank geräumt.

Diese Hilfe ist in Göhra heute nicht nötig. An drei Stellen klingelt und stoppt sie, öffnet die Verkaufsluke, stellt ihre kreisrunden Kuchen auf den Tresen. Einige greifen auf das Frühstücksangebot zurück: Es gibt Kaffee, Kaffeesahne, Milch, Saft, Marmeladen und Honig. „Gerade die Älteren schätzen es, sich selbst etwas aussuchen zu können und nicht das zu essen, was ihre Angehörigen für sie einkaufen“, weiß Sandra Thieme und trägt die Vorbestellung für das nächste Mal in ein Buch ein. Zu Ostern brauchen viele mehr als „wie immer“. Halb eins kehrt sie zurück in den Laden.

Alle Kunden waren da, Dreiviertel der Ware ist verkauft. Die Thiemes sind seit 1909 Bäcker. Zuerst in Dresden, dann in Medingen, seit Anfang der 1970er Jahre in Großenhain. Auch heute ist der Betrieb Familienangelegenheit. Vater Peter bäckt, Mutter Margitta steht im Laden. Die Töchter Sandra und Jana backen, verkaufen, fahren die Ware aus. Die Entscheidung für das Handwerk hat Sandra Thieme trotz des Abis nicht bereut. „Es ist ein schöner Beruf. Und wir kennen es auch nicht anders.“