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Auf Augenhöhe

Die Neukircher Apothekerin Dr. Petra Glathe wünscht sich selbstbewusste Patienten und Kunden. Sie selbst lebt es ihnen vor.

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© Steffen Unger

Von Ingolf Reinsch

Neukirch. Mal ein paar Tage hintereinander ausspannen. Wenn sich Dr. Petra Glathe, die Inhaberin der Neukircher Valtenberg-Apotheke, dafür die Zeit nimmt, zieht es sie oft an die Ostsee. Die 60-Jährige schwärmt von Ahrenshoop und dem Darß, und sie zeigt diese Liebe auf ihren Aquarellen. Der Betrachter sieht reetgedeckte Häuser, Fischerboote, Dünen sowie Giebel, wie sie für die norddeutschen Städte typisch sind. Einige ihrer Bilder stellte sie jetzt in ihrer Apotheke aus. Schon als sie deren Räume in den Jahren 2008 und 2009 in einem Anbau auf dem Gelände des ehemaligen Rittergutes einrichtete, bewies sie Kreativität und Geschmack. „Vertreter sagen, es sei die schönste Apotheke im Umkreis“, berichtet Petra Glathe.

Zeit für Beratung gewinnen

Malen ist für sie mehr als nur Freizeitbeschäftigung. Malen ist Muße und trägt dazu bei, den Kopf frei zu bekommen und Körper, Geist und Seele in Balance zu halten. Das ist nicht immer leicht in einem geschäftlichen Umfeld, wo man sich gegen die Konkurrenz des Onlinehandels und in Tschechien behaupten muss, und wo man als Unternehmerin Verantwortung für sechs Mitarbeiter trägt. Auch in ihrem Sinne hat Dr. Petra Glathe jetzt nach 25 Jahren eine weitreichende Entscheidung getroffen: Sonnabends bleibt ihre Apotheke geschlossen.

Die Landesapothekerkammer stimmte ihrem Antrag zu. Sonnabends haben auch die Arztpraxen zu. Wer in die Apotheke kommt, kauft meist spontan. Trotzdem müssen zwei Mitarbeiter anwesend sein. „Wir haben 50 Stunden in der Woche geöffnet. Wir wollen nicht weniger, sondern effektiver arbeiten und unsere Arbeit auf fünf Tage in der Woche konzentrieren“, begründet sie diese Entscheidung. Die gewonnene Zeit bedeutet für sie nicht unbedingt mehr Freizeit. Sie kann auch heißen, strategisch zu arbeiten und sich Zeit zu nehmen, individuell auf die Bedürfnisse von Patienten einzugehen.

Seit dem Jahr 2015 beteiligt sich Petra Glathe an der Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen, kurz Armin genannt. Die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Apothekerverbände beider Bundesländer sowie die AOK Plus starteten das Modellprojekt, um die Arzneimitteltherapien zu optimieren. Es richtet sich an chronisch kranke AOK-Versicherte, die täglich mindestens fünf Medikamente einnehmen müssen. „Hausarzt und Fachärzte verschreiben Medikamente, jeder für seinen Fachbereich. Selbst gekaufte Arzneimittel kommen noch hinzu. Nicht immer passt das zusammen. Es geht bei Armin nicht darum, Patienten etwas wegzunehmen, sondern sie bestmöglich zu versorgen, vor allem mit Blick auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen“, sagt die Apothekerin.

Zahlen, die alarmieren

Dr. Petra Glathe sieht vieles kritisch im Gesundheitswesen. Zahlen, wie sie im Barmer-Arzneimittelreport vom 5. Juli veröffentlicht wurden, lassen bei ihr die Alarmglocken schrillen. Demnach erhielt im Jahr 2016 jeder Fünfte der über 65-Jährigen ein nicht für seine Altersgruppe empfohlenes Medikament. Zudem nahm jeder fünfte Bundesbürger fünf oder mehr Arzneimittel ein. Da den Überblick zu behalten, ist schwierig. Die Apothekerin möchte Hilfe geben. Sie bietet kompetente Beratung und appelliert gleichzeitig an das Selbstbewusstsein der Patienten und ihre Selbstbestimmung. Letztendlich gehe es um ihren Körper. Sie selbst, sagt Petra Glathe, möchte ungern etwas verordnet bekommen. Verordnung – das klingt so nach „Druck“ und „von oben kommend“, sagt sie. Viel lieber wäre ihr „ein Rezept als gute Anleitung zum Handeln, ausgestellt von einem Arzt in Ausübung der ärztlichen Kunst“.

Dr. Petra Glathe ist für offene Worte, aber auch Querdenken bekannt. Als sie kürzlich das 25-jährige Bestehen ihrer Apotheke feierte, sagte einer ihrer Kunden, sie habe jetzt Silberhochzeit mit Neukirch. Dass es die gebürtige Thüringerin, die an der Martin-Luther-Universität Halle Pharmazie studierte und promovierte, in die Oberlandgemeinde verschlug, ist mehreren Zufällen zuzuschreiben. Während eines Zusatzstudiums Ende der 80er-Jahre in Moskau lernte sie ihren späteren Mann Florian Glathe aus Bischofswerda, damals ebenfalls Zusatzstudent, kennen. Die beiden entschieden sich für eine gemeinsame Zukunft in Sachsen und lebten zunächst in Dresden. Durch einen Makler erfuhr Petra Glathe 1992, dass im damals neu errichteten Neukircher Hofgericht Räume für eine Apotheke zu haben sind. 1993 war Eröffnung. Die Apotheke zog zuerst ein. Im Jahr 2009 zog die Valtenberg-Apotheke in einen modernen Anbau ins Rittergut.

Heimatliebe und Weitblick

Neukirch ist für sie heute Heimat, ein Ort, wo sie sich wohlfühlt. Aber den Blick über den Orts- und Tellerrand hinaus, den braucht sie genauso. Zum zehnjährigen Bestehen ihrer Apotheke im Jahr 2003 publizierte sie erstmals den Neukircher Kalender „Bilder aus der Heimat“. Jetzt vom Kulturförderverein herausgegeben, begleitet er seitdem viele Oberländer durchs Jahr. Ständig präsent im Apothekenlogo ist noch heute „Paulchen“, eine von der Ringenhainer Künstlerin Hanna Noack entworfene Figur als Sinnbild für einen Patienten. Ein weiteres Werk von Hanna Noack ist ein Blickfang in der Offizin. Es heißt „Der Doktor spielt Cello“. Apotheker und Arzt gehören nun mal zusammen. Von Berufs wegen ist Dr. Petra Glathe der Kontakt auf Augenhöhe wichtig. Den hat sie auch in der Familie: Beide Kinder – Tochter (23) und Sohn (21) – studieren Medizin.