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Auch Sterben ist Business

Sozialbestatter stehen hoch im Kurs und in der Kritik. Würdelos sei ihr Geschäft, heißt es. Doch wie arbeiten sie wirklich?

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© Christian Juppe

Von Niclas Seydack

Freital. Wenn Tino Süße klingelt, freut sich niemand. Die Menschen wissen, dass er kommen wird. Sie wissen, wenn sie die Tür öffnen, werden sie diesen Satz hören: „Mein herzliches Beileid.“ Wenn Tino Süße klingelt, ist jemand gestorben.

Süße ist Bestatter. Seit sechs Jahren holt er Tote ab. Rund 1200 Menschen waren es bisher, schätzt er. Sein weißes Kurzarmhemd spannt über mächtigen Oberarmen und den breiten Schultern. „Ich nehme den ersten Schmerz auf“, sagt er. „Ich bin für die Angehörigen die starke Person vor Ort.“ Süße arbeitet für den Bestattungsdienst Saxonitas. Das Unternehmen hat seinen Hauptsitz in Freital und betreibt jeweils eine Filiale in Prohlis und in Löbtau. Saxonitas verkauft Sozialbestattungen: die günstigste für 800 Euro.

Es ist ein heikles Geschäft. Kritiker spotten seit Jahren über sogenannte Discountbestatter und deren vermeintliche Geschäftspraktiken. Es gibt Gerüchte über Anbieter, die Verstorbene in Billig-Krematorien nach Tschechien karren, in denen Dutzende Särge gleichzeitig verbrannt werden. Es kursieren Horrorgeschichten, in denen die Hinterbliebenen Bestattern beim Raustragen der Toten helfen mussten, weil die ihre Trage vergessen hatten.

Diese Vorwürfe kennt auch Bestatter Süße. Er weist sie für seinen Arbeitgeber entschieden zurück. Dort arbeite ausschließlich geschultes Personal, und die Verbrennungen finden im Krematorium Dresden-Tolkewitz statt. Sicherlich, den günstigen Preis könne man nur anbieten, weil viele Dinge zusammengelegt werden. Das betreffe aber hauptsächlich die Fahrten zum Amt, zum Krematorium und die Abholungen der Verstorbenen. Deshalb fährt er einen Leichenwagen, in den gleichzeitig zwei Särge passen.

Jeder Wunsch wird erfüllt.

Seit 2004 die damalige rot-grüne Bundesregierung das Sterbegeld aus den Standardleistungen gesetzlicher Krankenkassen gestrichen hat, entsteht eine neue Klientel: Menschen, die sich teure Bestattungen nicht mehr leisten können und das Geld dafür beim Sozialamt beantragen müssen. Doch diese Zuwendung ist gering, sofern sie überhaupt bewilligt wird. 860 000 Menschen sterben jährlich in Deutschland, etwa 52 000 davon in Sachsen. Diese Zahl wächst, laut Statistischem Landesamt, seit Jahren genauso kontinuierlich wie die Zahl derer, die Sozialleistungen empfangen. Sozialbestatter wollen nicht als zwielichtige Geschäftemacher erscheinen. Sie bedienen lediglich einen ständig wachsenden Markt. Entsprechend funktioniert der Arbeitsalltag von Bestatter Süße: Nachdem er den Verstorbenen abgeholt hat, fährt er nach Freital, lädt den Transportsarg mit dem Toten ab und hebt ihn mit einem Kollegen in die Kühlzelle. Die Lüftung dort pustet laut und hält die Temperatur konstant auf sechs Grad. „Wir versuchen damit, die natürliche Verwesung zu verlangsamen“, erklärt Tino Süße.

Der ist einerseits emotionaler Ersthelfer bei den hinterbliebenen Familienmitgliedern und Fahrer des Leichenwagens. Aber auch eine Art „Physiotherapeut“, wie er sagt. Auf einem metallenen Tisch im Waschraum löst er die Totenstarre, indem er Muskeln und Sehnen dehnt und streckt. Dehnen und strecken – immer wieder. „Früher hieß es ja immer, Bestatter seien Knochenbrecher. Das ist totaler Quatsch.“ Wünschen es Hinterbliebene, schminkt Tino Süße den Toten, hellt die Haut auf oder überdeckt Wunden im Gesicht. „Das sind Kosten, die ich den Angehörigen nicht unbedingt zumuten muss.“ Meist genüge es, Blutgerinnungen, die Haut verfärben, auszumassieren. Sobald der Tote gewaschen ist, kleidet ihn Süße ein. „Man soll den letzten Weg gehen, wie man gelebt hat, also in Lieblingssachen. Und wenn es die Jogginghose ist.“

Pro Abschied im Bestattungshaus ist eine Stunde inklusive. Beim Sozialpaket wird jede weitere Stunde extra berechnet. Offener Sarg oder geschlossener, Kränze oder Blumen, die Stellung der Hände – all das sind Wünsche, die Tino Süße vorher mit den Hinterbliebenen bespricht. Die Musik sollte langsam und getragen klingen, um der Situation angemessen zu sein, meint der Bestatter. Sie kommt aus einem tragbaren CD-Player.In der Werkstatt, dem nächsten Raum, riecht es wie im Baumarkt in der Holzabteilung. Hier polstert Süße die einfachen Kiefernsärge und schlägt sie mit Stoff aus. Das ist günstiger, als bereits fertige zu bestellen. In seinem früheren Job als Kfz-Mechaniker schraubte er Autos zusammen, heute sind es Särge. Ober- und Unterteil kommen einzeln in der Werkstatt an und werden erst verbunden, sobald der Tote darin liegt – mit Schrauben, nicht mit dem sprichwörtlichen Sargnagel. Süße mag seinen Job. Es sei einer der letzten, in denen man noch gewürdigt werde. Früher, in der Autowerkstatt, war das anders. „Da hast du mal einen Euro Trinkgeld bekommen – und das war’s. Jetzt grüßen mich die Menschen auf der Straße.“

Im Zimmer neben der Werkstatt öffnet Tino Süße einen Safe und holt eine Urne heraus. Sie ist mit Name und Todesdatum versehen. Hinter dieser schweren Tür hebt er die Asche der Verstorbenen auf. So warten sie auf den letzten Weg zum Begräbnis.