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Vergiftete Nachbarschaft

Vor einem Vierteljahrhundert schlitterte Kroatien in den Bürgerkrieg. Weil dessen Geschichte nicht aufgearbeitet wurde, stiftet er noch heute Unfrieden in der Region.

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© dpa

Thomas Brey

Zagreb. Erst vor ein paar Tagen schossen Kroatien und Serbien wieder Giftpfeile aufeinander. Die Weigerung Belgrads, den großserbischen Chefideologen Vojislav Seselj zu seiner Urteilsverkündung Ende des Monats gewaltsam nach Den Haag ins Kriegsverbrechertribunal zu schaffen, sei ein schlimmer Verstoß gegen internationale Verpflichtungen, tönte es aus der Regierung in Zagreb. In Kroatien gebe es viel mehr Missetäter wie Seselj als in Serbien, keifte dessen Außenminister Ivica Dacic zurück.

Das jüngste EU-Mitglied Kroatien droht inzwischen offen, die weitere Annäherung des serbischen EU-Kandidaten an Brüssel mit seinem Veto zu blockieren. Auch hier geht es um die Aufarbeitung der Kriegsgräuel, die in beiden Ländern bisher weitgehend unter den Teppich gekehrt wurden. Das sogenannte Blutige Ostern 1991 mit den ersten zwei Toten gilt als ein Anfangsdatum des Krieges. In den Monaten danach gab es weitere kleinere Scharmützel mit Dutzenden Toten, die für andere den Kriegsbeginn markieren. Die erste große Schlacht tobte erst im November um die ostkroatische Stadt Vukovar („Kroatisches Stalingrad“).

Am Karfreitag (29.03.1991) besetzten Kämpfer der aufständischen serbischen Minderheit den Nationalpark der Plitvicer Seen (130 Kilometer südwestlich von Zagreb). Am Ostersonntag (31.03.1991) stürmten kroatische Polizisten die Parkverwaltung und gewannen so wieder die Kontrolle über das Naturreservat zurück. Ein Kroate und ein Serbe kamen dabei ums Leben. Sie gelten als die ersten Kriegstoten. Nach einer unvollständigen Zählung der NGO Documenta, die sich in Zagreb der Aufarbeitung des Krieges widmet, kamen etwa 20 000 Menschen ums Leben. Allein über 200 000 Serben wurden aus ihrer kroatischen Heimat vertrieben und durften nie mehr zurückkehren.

Die kroatischen Serben, die knapp 12 Prozent der Bevölkerung von 4,7 Millionen stellten, wollten sich nicht mit der Unabhängigkeit Kroatiens und dem damit verbundenen Ausscheiden aus dem Vielvölkerstaat Jugoslawien abfinden. Denn dort bildeten die Serben das mit Abstand größte Volk, dessen Angehörige überproportional viele Positionen in Wirtschaft, Staat und Militär einnahmen. In der „Baumstammrevolution“ sperrten die Serben wichtige kroatische Transitrouten. Mit stundenlangen Feuergefechten und 20 zum Teil schwer Verletzten eskalierte der Konflikt am „blutigen Ostersonntag“.

Die Serben konnten mit Unterstützung der hochgerüsteten jugoslawischen Volksarmee (JNA) zunächst ein Drittel Kroatiens unter Kontrolle bringen und als „Republik Serbische Krajina“ von Kroatien abspalten. Doch am Ende des Krieges gelang den auch von den USA unterstützen kroatischen Streitkräften die Rückeroberung und damit ein umstrittener Sieg. Jedenfalls wurde die territoriale Einheit des Landes damit wieder hergestellt und die Unabhängigkeit endgültig durchgesetzt. Im letzten Jahr beging Kroatien den 20. Jahrestag des Kriegsendes mit einer Militärparade. Serbien rief dagegen einen Volkstrauertag aus.

Vor fünf Jahren schlossen sich Hunderte privater Organisationen (NGO) in allen jugoslawischen Nachfolgestaaten unter dem Namen REKOM zusammen, um eine Million Unterschriften zu sammeln. Damit sollten alle Regierungen gedrängt werden, Regionale Kommissionen (eben REKOM) zu bilden, um das Schicksal der Opfer, der immer noch Vermissten und Vertriebenen sowie die vielen Kriegsverbrechen wissenschaftlich, aber ohne Schuldzuweisung aufzuschreiben. Nur die Hälfte der Unterschriften kam zusammen, die Aufarbeitung der Geschichte scheiterte krachend. Die nationalen Gerichte in Kroatien und Serbien taten bis heute nur sehr wenig, um die vielen immer noch unbehelligt lebenden Missetäter aus den 90er Jahren zur Rechenschaft zu ziehen. (dpa)