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Asylbewerber im falschen Hermsdorf

Immer wieder sind Flüchtlinge im Ottendorfer Ortsteil unterwegs. Dabei wollen sie eigentlich gar nicht dorthin.

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© Bernd Goldammer

Von Bernd Goldammer

Ottendorf-Okrilla. Da steigt eine sechsköpfige Flüchtlingsfamilie am Bahnhof Hermsdorf aus dem Zug aus Richtung Dresden. Schaut sich fragend um: Wo ist denn hier nun die Asylunterkunft? Im Gasthof gleich neben dem Hermsdorfer Bahnhof brennt Licht, hier fragen sie nach. Wie jüngst wieder geschehen. Auch beim Friseur soll das schon passiert sein, heißt es in Hermsdorf. Aber hier – im Ortsteil der Gemeinde Ottendorf-Okrilla – gibt es kein Flüchtlingsheim.

Wer, so fragen sich die Hermsdorfer nun, schickt denn Flüchtlinge einfach so per Zug los? Noch dazu nach Hermsdorf, einem Ortsnamen, den es nun wahrlich häufig genug gibt.

War die Flüchtlingsfamilie etwa auf dem Weg in das nahe Hoyerswerda gelegene Hermsdorf/Spree gewesen? Nein, heißt es aus der Gemeindeverwaltung in Lohsa, dessen Ortsteil Hermsdorf ist. Auch in diesem Hermsdorf gebe es keine Flüchtlingsunterkunft.

Hermsdorf in Thürigen?

Wohin also wollen die Flüchtlinge? Eine Möglichkeit wäre, das vor allem Autofahrern bekannte, Hermsdorf am gleichnamigen Autobahnkreuz. Dort jedenfalls gibt es eine Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Allerdings liegt der Ort in Thüringen. Warum also sollten Flüchtlinge, die in Sachsen angekommen sind, nun Richtung Thüringen geschickt werden? Und warum gehen sie allein auf diese Reise?

Zuständig für die Unterbringung von Flüchtlingen ist in Sachsen das Sozialministerium. Dessen Sprecher Ralph Schreiber schüttelt den Kopf: „Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen. Die Regel ist, dass Flüchtlinge nach dem Stellen eines Asylantrags in die zugewiesenen Unterkünfte gebracht werden“, sagt er. Wenn überhaupt, fügt er an, so könne es sich in diesem besonderen Fall nur um eine absolute Ausnahme handeln. Denn Sachsen nutze für die landesinterne Verteilung der Asylbewerber von der Erstaufnahmeeinrichtung Chemnitz in die Landkreise und Kreisfreien Städte ausschließlich Charterbusse und Taxen, stellt Ingolf Ulrich, Sprecher der Landesdirektion, klar. Diese Behörde kümmert sich um die Verteilung der Flüchtlinge im Freistaat. „Anderes gilt für Asylbewerber, die der Freistaat Sachsen aufgrund der bundesweiten Verteilung in andere Bundesländer schicken muss sowie für die sogenannten Folgeantragsteller. Das sind Antragsteller, deren Asylantrag bereits einmal abgelehnt wurde und die sich zur Neueinreise und zur Stellung eines neuen Asylantrages entschlossen haben“, erklärt er. Diese Asylbewerber werden dann tatsächlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln an ihren Bestimmungsort geschickt. „Diese besonderen Asylbewerber-Gruppen erhalten vor Reiseantritt Info-Material“, erläutert Ingolf Ulrich. Von der Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz fahren sie zum Chemnitzer Hauptbahnhof. „Im dortigen Reisezentrum der Deutschen Bahn sind die Mitarbeiter auf die Asylbewerber eingestellt. Man reicht dort die benötigten Fahrkarten aus und erklärt die Reiseroute.“ Diese Abläufe seien über Jahre geübte Praxis. Die Landesdirektion Sachsen arbeite da eng mit dem DB-Reisezentrum zusammen.

Bundesweites Verteilersystem

Das heißt aber, eigentlich bringt Sachsen Flüchtlinge auch nur in sächsischen Heimen unter? Grundsätzlich stimme das so, sagt Ingolf Ulrich. Die Entscheidung, welches Bundesland sich um einen Flüchtling kümmern muss, treffe ein bundesweites, rechnergestütztes Verteilsystem. „Das bedeutet, dass ein in Sachsen eintreffender Flüchtling sich zunächst in die Erstaufnahmeeinrichtung in Chemnitz begibt. Dort erfährt er, ob er in Sachsen bleiben kann oder, ob ein anderes Bundesland für ihn zuständig ist“, so Ulrich. Dieses andere Bundesland könne dann tatsächlich auch Thüringen sein. Dann reise der Flüchtling von der Erstaufnahmeeinrichtung Chemnitz mit öffentlichen Verkehrsmitteln zur Erstaufnahmeeinrichtung des für ihn zuständigen Bundeslandes.

Und bei einer solchen Fahrt verwechseln dann offenbar einige der Flüchtlinge das thüringische Hermsdorf mit dem zwischen Dresden und Ottendorf-Okrilla…