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Asyl-Container-Dorf in Radeberg

Aber die Stadt hat mit dem Landkreis clever verhandelt – und sorgt für offene Schulsporthallen.

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© Thorsten Eckert

Von Jens Fritzsche

Als vor wenigen Wochen dieses Schreiben auf seinem Tisch gelandet war, platzte Radebergs OB Gerhard Lemm (SPD) sprichwörtlich der Kragen. „Der Landkreis teilte uns mit, die kreiseigene Sporthalle an der Dietzestraße zur Notunterkunft für Flüchtlinge umwandeln zu wollen“, beschrieb Lemm Mittwochabend noch einmal im Stadtrat. Hätte sich der Kreis mit seinem Ansinnen durchgesetzt, würden nun zwei Schulen ohne Sporthalle dastehen – das Gymnasium nämlich und die Radeberger Pestalozzi-Oberschule. „Das wäre eine Katastrophe, denn damit wäre die in Radeberg spürbar vorhandene Offenheit gegenüber Flüchtlingen schwer geschädigt worden“, ist Lemm überzeugt. Noch dazu, weil die Stadt ja in Kürze vier Millionen Euro in die Hand nehmen will, um im Ortsteil Ullersdorf eine neue Sport- und Mehrzweckhalle zu bauen. „Wie hätten wir das den Leuten erklären wollen?“, so der OB. Und so hatte er – wie Lemm auch jüngst im SZ-Interview erklärt hatte – nach Alternativen gesucht.

Eine dieser Alternativen ist dabei das Areal an der nicht mehr für den Schulsport genutzten Turnhalle an der Pulsnitzer Straße. Der Kreis prüfte die Fläche – und will sie. Das Areal gehört der Stadt, die die Fläche nun an den Kreis verpachten wird. Das zumindest beschlossen die Stadträte Mittwochabend einmütig. So dass hier demnächst, wie es heißt, Container für Flüchtlinge aufgebaut werden könnten. Bis zu 200 Asylbewerber und Flüchtlinge könnten hier dann Platz finden. Wobei die Halle selbst nicht mit verpachtet wird, „sie bleibt für die Vereine und andere Nutzungen offen“, so der OB.

Landkreis braucht dringend Plätze

Wirklich überraschend kommt diese Entscheidung dabei wohl nicht. Der Landkreis steht massiv unter Druck, muss dringend Plätze für die Unterbringung von Flüchtlingen schaffen. Bis Ende kommenden Jahres rechnet der Landkreis mit bis zu 7 000 zusätzlichen Flüchtlingen, die unterzubringen wären. Aktuell leben 2 205 Flüchtlinge im Landkreis. Ein Druck, den sich die Stadtverwaltung bei ihren Verhandlungen um den Pachtvertrag durchaus zunutze machte. „Wir haben gut verhandelt“, umschreibt es der OB. Und meint dabei folgende Punkte: der Landkreis wird an der Ludwig-Jahn-Straße, die quasi zum Hintereingang des einstigen Sportplatzes an der Turnhalle führt, eine Straßenbeleuchtung installieren – zudem hat Radeberg das Recht eingeräumt bekommen, den Pachtvertrag sofort aufzukündigen, wenn der Landkreis eine seiner kreislichen Sporthallen in der Stadt für längere Zeit mit Flüchtlingen belegen sollte. Damit ist es Lemm gelungen, mögliche Einschnitte beim Schul- und Vereinssport weitgehend auszuschließen. Die jährliche Pachtsumme für den Außenbereich der Turnhalle beträgt dabei zehn Prozent des aktuellen Verkaufswertes des Grundstücks. „Auf diese Weise können wir die Mehrausgaben für das Thema Flüchtlinge fast komplett ausgleichen“, rechnete der OB Mittwochabend im Stadtrat vor. Denn man habe, so Lemm, ja beispielsweise gemeinsam mit dem benachbarten Arnsdorf ins Auge gefasst, „eine gemeinsame Stelle zur Betreuung der Flüchtlinge zu schaffen“. Auch in Arnsdorf soll ja bekanntlich im Gewerbegebiet an der Kleinwolmsdorfer Straße bis voraussichtlich Februar ein Container-Dorf für bis zu 150 Flüchtlinge entstehen.

Die Fraktionen tragen dabei den Beschluss einvernehmlich mit. Freie-Wähler-Chef Detlev Dauphin – der ja quasi in Sichtweite des Sportareals an der Pulsnitzer Straße wohnt – begründete das mit den bisher gemachten „guten Erfahrungen bei der Integration von Flüchtlingen in Radeberg“. In der Siedlung Rossendorf ist ja bekanntlich eine Baracke für 72 Bewohner entstanden, zudem sind im Stadtgebiet zehn Wohnungen für Flüchtlinge bereitgestellt worden. „Bisher hat man von keinerlei großen Schwierigkeiten gehört“, so Dauphin. Auch die CDU sieht das so. Fraktionssprecher Andreas Känner schlug allerdings vor, dass auch Vertreter des bereits aktiven Unterstützungsvereins für Flüchtlinge an den geplanten regelmäßigen Beratungen zwischen Stadt, Polizei und dem künftigen Unterkunft-Betreiber teilnehmen sollten.

Erst in 14 Kommunen Asylbewerber

Einen kleinen Seitenhieb auf einige seiner Bürgermeister-Kollegen im Landkreis konnte sich Lemm dann aber mit Blick auf die getroffene Vereinbarung mit dem Landkreis und die erreichten Zugeständnisse dann doch nicht verkneifen. Jüngst hatte ja bekanntlich ein offener Brief von Bürgermeistern des Landkreises an die Bundeskanzlerin für Wirbel gesorgt, in dem 48 Bürgermeister „von einer Überforderung durch das Thema Asyl schrieben“, so Lemm. Er hatte den Brief nicht unterschrieben. Und merkt nun an, dass bisher im Kreis erst 14 Städte und Gemeinden überhaupt Asylbewerber aufgenommen haben. „Heißt, 34 Bürgermeister fühlen sich schon überfordert, wenn noch gar keine Flüchtlinge da sind – da möchte ich ja nicht wissen, wie überfordert sie erst sind, wenn Flüchtlinge kommen…“ Lemm unterstrich jedenfalls erneut, die Sicht von Landrat Michael Harig (CDU) zu teilen, die Flüchtlinge prozentual nach der Einwohnerzahl auf die Gemeinden im Landkreis zu verteilen. Damit wäre Radeberg, ist Lemm überzeugt, dann erst mal seiner Verantwortung gerecht geworden. „Wir haben zudem auch noch angeboten, weitere Wohnungen bereitzustellen – allerdings hat unser städtisches Wohnungsunternehmen kaum Leerstand“, machte er deutlich.

Außerdem könnte in den nächsten Wochen und Monaten ein nächstes Problem auf den Landkreis zukommen. Die derzeit auch regelmäßig in Presseberichten auftauchenden unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, die zunehmend auch in Deutschland registriert werden. Martin Wallmann, der Chef des im Radeberger Ortsteil Liegau-Augustusbad ansässigen Epilepsiezentrums Kleinwachau, hatte ja dem Kreis bereits angeboten, zehn solcher Jugendlichen in seiner Einrichtung aufzunehmen. Doch der Landkreis hatte zunächst abgelehnt. Nun könnte allerdings Radeberg ins Blickfeld rücken, zitierte OB Lemm im Stadtrat aus einer Mail des Landkreises. Demnach könnte sich der Kreis vorstellen, die von Lemm regelmäßig als Asylunterkunft ins Spiel gebrachte, aber bisher vom Kreis als zu klein abgelehnte leerstehende einstige Kolping-Schule an der Straße des Friedens nun als Unterkunft für solche Minderjährigen zu nutzen. Zwei Gruppen zu je zwölf Jugendlicher könnten hier unterkommen. „Was passt, ist dass der Eigentümer der Immobilie selbst auch in Dresden zahlreiche Kindereinrichtungen betreibt“, fügte der OB an.