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Artistik und ein böser Clown

Der Dresdner Weihnachtszirkus weckt süße Kindheitserinnerungen, auch beim prominenten Premierenpublikum.

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© Norbert Neumann

Von Nadja Laske

Premieren sind anders und nicht das wahre Leben. An solchen Abenden lässt das Publikum keinen Platz frei, ob Tür-auf-Tür-zu gespielt wird oder Heiner Müller. Davor gibt es kollektives Fachsimpeln und danach ganz sicher Applaus. Dazwischen ist selten das Optimum erreicht, die meisten Stücke entfalten sich erst im Laufe der Spielzeit. Kein Beinbruch also, erste Aufführungen zu verpassen.

Impressionen vom Weihnachts-Circus

Seit 17. Dezember  lädt der 19. Dresdner Weihnachts-Circus auf den Volksfestplatz Pieschener Allee. Impressionen aus der Manege.
Seit 17. Dezember lädt der 19. Dresdner Weihnachts-Circus auf den Volksfestplatz Pieschener Allee. Impressionen aus der Manege.

Außer die im Weihnachtszirkus. Dort sind Premieren auch ein Fall für reichlich geladene Gäste, ein Event, das die Dresdner Hautevolee versammelt: die Prominenten der Unterhaltungsbranche, bekannte Köpfe der Stadt, Sportler, Schauspieler, Veranstalter, viele von ihnen mit Familie. Doch was nach dem ersten Glühwein im Gastrozelt und vor dem letzten Glas Sekt auf der After-Show-Party passiert, wirkt wie die ganz eigene Darbietung einer geschlossenen Gesellschaft.

So ganz geschlossen war sie dann am Mittwochabend doch nicht. Zumindest auf den hinteren Plätzen saßen etliche Zirkusfreunde, die weder Kameras noch Scheinwerfer anlocken. In den Logen und ersten Rängen indes jede Menge bekannte Gesichter: Schauspieler Wolfgang Stumph, der Dixielandfestival-Chef Joachim Schlese mit den Show-Zwillingen, Sänger Wolfgang Lippert, die Chansonnière Dorit Gäbler, Fußballlegende Eduard Geyer, Dresdenfilmer Ernst Hirsch, Gastronom und Clubbesitzer Wolle Förster, Eventmanager Mirco Meinel, die Professoren Wolfgang Donsbach und Werner Patzelt, eine bunte Mischung des lokalen Who’s Who.

Vielleicht sahen sie etwas besser als die Gäste vom Sperrsitz aus. Besseres aber sahen sie nicht. Die internationalen Künstler, die Zirkusdirektor Mario Müller Milano in die Manege geholt hat, jonglieren, turnen, dirigieren, musizieren und scherzen für alle Besucher gleichermaßen. Kaum vorstellbar, dass sie das Publikum in späteren Vorstellungen noch mehr erstaunen und verzaubern könnten. Vom staubenden Sägespäneboden bis in den höchsten Zipfel des Chapiteaus füllen sie das Zelt mit Zirkusluft und Wunderland-Atmosphäre.

Großartiger Störenfried

Hört man sie nicht flüstern, die weißen Araberhengste von Kevin Probst? Sie raunen sich leise ins Ohr, die Köpfe zusammengesteckt, wie bei einer Schulhoftuschelei. Kein Peitschenknallen, kein Hüh und Hott. Würden den Schimmeln Flügel wachsen, es könnte keinen wundern. So leicht und frei tanzen sie förmlich ihre Choreografie, beinahe ohne Dirigat. Kraftvoll und wild galoppieren die gar nicht ruhigen Braunen der Dschigiten-Reiter durch die Manege, geschickte Krieger, die auf ihren Pferden alles zu können scheinen, als sich im trabenden Schritt ihrer Tiere zu wiegen. Ordentlich Staub wirbeln sie auf, den kämmten sich die Gäste am Tag darauf noch aus den Haaren. Und wenn sie sich die Augen wischen, dann nicht nur wegen der wirbelnden Flocken. Sondern vor Verwunderung über den filigranen jungen Mann, der steppend und tänzelnd wundersam anmutig mit Händen und Schuhspitzen bis zu neun kleine weiße Bälle einer künstlerischen Form von Teilchenbeschleunigung unterzieht. Eine Liebesgeschichte erzählen Strapaten-Akrobaten in ihrem luftigen Ballett, und der Franzose Marc Giely bringt modernen Zirkus nach Dresden – auf seinem weißen Mountainbike, mit dem er Treppen steigt, Hindernisse überspringt, geschmeidig und fast verwachsen mit seinem Rad. Sechs rasend rotierende Motorradfahrer in einer Metallkugel, fliegende Messer, herrlich freche Ziegen, kuschelnde Robben, verknutschte Tiger – und immer wieder Totti!

Der Clown hat bereits vor zwei Jahren im Dresdner Weihnachtszirkus das Publikum bespaßt. Gut war er damals schon, in diesem Jahr aber nervt er sich mit höchstem Niveau durchs Programm. Ein großartiger Störenfried, den man einfach lieben muss. „Böser, böser Clown!“, schimpft ihn der Moderator. Dabei ist Totti spannend, verspielt und süß wie ein Überraschungsei, halb eleganter Weißclown, halb dummer August, ein richtig guter Musiker und Entertainer. Der Liebling des Abends. „Er war Clown in einem Zirkus, er war klein und auch nicht schön ...“ Wolle Förster summt in der Pause das Lied vor sich hin. „Genau so einen kannte ich mal“, sagt er. Wenn es nach der Vorstellung dunkel und kalt im Zelt werde, sei das ganz schrecklich. „Kein Wunder, dass Clowns oft sehr traurig sind.“

Trickserei in der Manege

An die fröhlichen Momente erinnert sich Catering-Chefin Annette Bellan mit leuchtenden Augen und bedauert, dass sie die Vorstellung nicht bis zum Schluss sehen kann. Der Job ruft. Und was zieht den Kommunikationsprofessor Wolfgang Donsbach in den Zirkus? „Mein Sohn“, sagt er, „und die Kindheitserinnerung.“ An der hängt auch Andreas Uhlig. Mehr aber noch an den Zirkusfestivals, die er einst im Elbepark mitveranstaltet hat. Wolfgang Stumph überlegt laut, ob ein bisschen Trickserei in der Manege die Spannung erhöht, und gibt zu: „Ich würde das jedenfalls so machen.“

Spannend auch zu sehen, wie schnell geladenes Publikum den Abend entzaubert. Die Künstler hätten verdient, ihren Applaus ohne Massenabwanderung in Richtung Ausgang zu genießen. In diesem Punkt ist eine Weihnachtszirkus-Premiere eben auch eine ganz normale Premiere.

www.dresdner-weihnachts-circus.de