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„Architekten fehlt der Mut zur Farbe“

TU-Professor Ralf Weber erklärt die Gründe für farblose Neubauten – und wie Dresdens Häuser wieder bunt werden.

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© Sven Ellger

Von Tobias Hoeflich

Den 810. Geburtstag hat Dresden kürzlich gefeiert. In so einem Alter kann man schon mal ergrauen. Doch dass so viele Neubauten ohne jede Farbe entstehen, ärgert viele Dresdner. Das zeigten jüngst die Reaktionen auf einen SZ-Artikel über den Trend, dass sich viele Neubauten nur in Weiß und Grau kleiden. Professor Ralf Weber ist an der TU Dresden für Farbenlehre zuständig. Zum Interview erscheint er aber nicht knallbunt, sondern zurückhaltend im schwarz-braunen Dress.

Prof. Dr. Ralf Weber ist Professor für Raumgestaltung, Gebäudelehre und Entwerfen an der TU Dresden.
Prof. Dr. Ralf Weber ist Professor für Raumgestaltung, Gebäudelehre und Entwerfen an der TU Dresden. © David Brandt

Professor Weber, in Dresden entstehen ganze Siedlungen ohne Farbe. Werden die Bewohner zwangsläufig depressiv?

(lacht) Das sicher nicht. Aber Monochromie kann sehr bedrückend wirken. In Gorbitz hat manches Kind früher die Haustür nicht gefunden, weil alles gleich aussah: grau, sechs Etagen und endlos viele Hauseingänge in einer Reihe.

Sie haben Architektur und Psychologie studiert. Wie lässt sich das verbinden?

Unzählige Studien belegen, dass Farben eine anregende oder beruhigende Wirkung auf die Stimmung haben. Blautöne senken zum Beispiel den Blutdruck, Rot macht eher aggressiv. Daraus zieht man Rückschlüsse aufs Wohnen: In Altenheimen werden Sie nicht viele knallrote Wände finden. Mit Farben schafft man eine Atmosphäre. Deshalb sollte man lernen, wie Farbe Stimmungen beeinflusst.

Was folgt daraus für den Städtebau?

Die Farbigkeit einer Stadt übt auch eine psychologische Wirkung auf ihre Bewohner aus. Weiße Städte gibt es in vielen Südländern, wo das strahlende Blau des Meeres und das intensive Grün der Pflanzen den Kontrast liefern. Santorin in Griechenland oder tunesische Küstenstädte sind hier beispielhaft. Aber Dresden ist nun mal nicht Santorin, wo die Sonne fast jeden Tag scheint. Unter einem wolkenverhangenen Himmel wirkt dieses Weiß längst nicht mehr so strahlend.

Braucht es dort dann bunte Häuser?

Durchaus. In Gegenden mit langen grauen und dunklen Wintern wie in Skandinavien findet man oft farbenfrohe Anstriche der Fassaden, die einen Ausgleich für das oft bedrückende Grau des Himmels schaffen. Aber eine graue Umwelt, gepaart mit einer grauen Architektur, funktioniert nicht. Das wäre eine wirklich deprimierende Farbpalette. Leider finden wir das immer mehr in der mitteleuropäischen zeitgemäßen Architektur. Diese Eintönigkeit in Farbe und Material schlägt aufs Gemüt.

Wenn Farbe so wichtig ist, spielt sie im Studium sicher eine große Rolle.

Für Innenarchitekten ja, auch für Designer. Aber bei Architekten fehlt der Aspekt fast völlig. Ihnen fehlt oft der Mut zur Farbe, weil sie es kaum gelehrt bekommen. Farbe, Material und Lichtreflexion sind Aspekte, über die oft erst am Ende nachgedacht wird. Aber das Umgehen mit Farbkonstellationen kann man lernen, so wie man in der Musik Kompositionslehre vermittelt bekommt. Heute ist die TU Dresden die einzige Universität in Deutschland, in der Architekten Farbe durch mehrwöchige Intensivkurse gelehrt wird.

Warum wird Farbe in der Architektur nur so untergeordnet behandelt?

Das liegt in der Tradition der „weißen Moderne“: Dort ist vor allem die reine Form als gebautes Konzept wichtig. In „weißer Klarheit“ ließ sich das am besten ausdrücken. Farbe, Material, Textur und Dekoration wurden oft als zweitrangig, wenn nicht sogar als überflüssig betrachtet. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich diese Haltung stärker durchgesetzt. Anhänger eines eher traditionellen Bauens, in dem Bauordnungen, Gestaltungssatzungen und damit auch regionale Farbkonzepte eine Rolle spielten, wurden als gestrig diffamiert. Seitdem bestimmen Weiß- und Grautöne die wesentliche Palette der Architekten.

Also tragen der Zeitgeist und die fehlende Lehre die Schuld am Grauen?

Es liegt auch daran, dass das Gros der Gebäude heute keine Bauherren im klassischen Sinn mehr hat, die selbst über die Farbe entscheiden. Dahinter stehen eher anonyme Bauträger, bei denen die Wirtschaftlichkeit Priorität hat und Juristen oder Ökonomen die Verhandlungspartner der Architekten sind. Weißtöne sind neutral, man kann wenig falsch machen. Monotonie ist die Folge.

Welche Regeln galten denn vor der Trendwende des 20. Jahrhunderts?

Früher stellte sich die Frage der Farbigkeit kaum. Das verwendete Material bestimmte, wie ein Haus aussah, etwa Holz, Stein, Ziegel. Farben waren extrem teuer. Im Jemen oder in Marokko wurden Lehmstädte gebaut, die dementsprechend ocker oder erdfarben waren. In Indien hat man zum Teil Kuhdung auf die Häuser gestrichen, was zu Gelb- und Brauntönen führte. Oder die vielen rötlichen oberitalienischen Städte: Auch hier ist der lehmhaltige Boden der Ursprung der Farbigkeit.

Im Zuge der Industrialisierung wurden auch Farben erschwinglich. Konnten es die Bauherren nun bunt treiben?

Zum Teil. Selbst der von vielen heiß geliebte Sandstein war im Barock oft mit einer Farbe überschlämmt. Auch der Dresdner Zwinger war ursprünglich gestrichen. Damals gab es an den Akademien aber Lehrer, die Farbe nach wissenschaftlichen und künstlerischen Grundsätzen vermittelten. Machen, was man wollte, war nicht so einfach. Oft regelten Städte in Bauordnungen die Art der Bauformen, Fassadengliederungen und Farbe. Seit dem 18. Jahrhundert gab es Musterbücher für Baumeister, in denen auch Anstriche für die einzelnen Bestandteile einer Fassade dargelegt wurden.

Heißt: Dresden braucht nur zu verfügen, dass wieder bunter gebaut wird.

Zumindest kann die Stadt mehr Einfluss nehmen. Zum Beispiel hat sie jüngst Gestaltungssatzungen für Striesen und Blasewitz erarbeitet. Gerade für in sich homogene Viertel und alte Ortskerne ist das wichtig. Solche Satzungen waren über Jahrhunderte völlig normal, sind aber heute schwer durchzusetzen. Bauträger, aber auch Architekten wehren sich. Beide sehen ihre Entscheidungsfreiheit eingeschränkt. Aber die Stadt ist ein Ganzes: Wenn man in einem Orchester mitspielen möchte, sollte man sich an die gemeinsame Tonart halten.

Dann müssten die Universitäten diese Tonart aber auch lehren.

Die Farbenlehre braucht sicher mehr Gewicht in der Ausbildung von Architekten und Handwerkern. Die Studenten, die jetzt bei uns an der TU studieren und wieder Farbe lernen, kommen erst in einigen Jahren in den Beruf. Es wird wohl noch viele Jahre dauern, bis ein Umdenken stattfindet.

Also bleibt’s vorerst beim Grau?

Ganz so düster ist die Lage nicht. Es gibt die Tendenz, dass Materialien wieder gestaltbestimmend sind. Nehmen Sie zum Beispiel den Gerichtsanbau am Sachsenplatz oder die Rettungswache in Johannstadt. Hier bestimmt das Material des Ziegels die Farbe. Stellen Sie sich diese beiden Gebäude stattdessen in Alpinaweiß vor!