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Anwältin der Kinder

Hortleiterin Birgit Hickmann von der Lessing-Grundschule geht nach 44 Jahren in den Ruhestand. Viele werden sie vermissen.

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© Dirk Zschiedrich

Von Mareike Huisinga

Pirna. Birgit Hickmann aus Lohmen muss einen Moment überlegen, bevor sie antwortet. „Ja, ganz leicht fällt mir der Abschied nicht,“ sagt die 63-Jährige ehrlich. Sie schaut ruhig auf ihre Hände, denkt noch mal nach und stellt fest: „Aber ich habe mich gut auf diesen Moment vorbereitet, gehe bewusst und freue mich auf das Neue, was jetzt vor mir liegt.“

Hinter ihr liegen 44 Jahre Horterzieherin beziehungsweise Hortleiterin an der Lessing-Grundschule in Pirna. Am 30. Juni ist ihr letzter Arbeitstag. Was sie am meisten vermissen wird? „Die Kinder, meine Kollegen. Die Arbeit war immer voll Ideen, es gab keinen Stillstand“, zählt Hickmann auf.

Keine Frage, die Hortleiterin hat mit ihrem Team viel bewegt. „Wir haben ein gutes pädagogisches Konzept entwickelt, das eine offene Arbeit innerhalb fester Strukturen gewährleistet“, sagt sie. Der Erfolg ist so groß, dass andere Einrichtungen kommen, um sich auszutauschen und überlegen, was sie vom Lessing-Hort lernen können. Dass der Schulhort unter ihrer Ägide zu einer Art Vorzeigeeinrichtung geworden ist, verleitet Birgit Hickmann zu einem kleinen Lächeln in dem auch Stolz mitschwingt.

Ihr Ziel: Raum für Kinder zu schaffen, in dem sie selbstbestimmt ihre eigene Freizeit gestalten und Verantwortung übernehmen können. So rief Hickmann unter anderem einen Kinderrat ins Leben. Die kleinen Räte durften zum Beispiel selber mitentscheiden, wie das Freizeitangebot in den Ferien gestaltet wird und welche Spielgeräte demnächst angeschafft werden. „Der Hort soll ein Ort sein, wo sich die Kinder wohlfühlen. Ich denke, unsere Kinder fühlen sich hier wohl“, resümiert die Pädagogin. Schon früh ist für sie klar, dass es nur eine einzige Berufsausrichtung für sie gibt: Arbeit mit Kindern. Folgerichtig studiert sie nach der Schule in Radebeul Horterzieherin. Nach dem Abschluss wird sie zur Lessing-Grundschule eingeteilt, die damals noch die Polytechnische Oberschule Dr.- Kurt-Fischer hieß. Sie erinnert sich genau. „Ich war 19 Jahre, frisch ausgebildet und voller Ideen“ – die ihr übrigens in den folgenden 44 Jahren nie ausgegangen sind. Ein Sprung ins kalte Wasser: Sofort muss Birgit Hickmann eine Gruppe mit 28 Kindern übernehmen. Mit viel Eifer, Liebe und Empathie macht sie sich an die Aufgabe. Ganz offensichtlich hat sie Erfolg, denn 1980 bietet man ihr die Leitung des Hortes an. Ihr erster Gedanke? „Das mache ich. Das schaffe ich.“

Als Hortchefin legt sie großen Wert darauf, dass die Einrichtung nicht lediglich als Aufbewahrungsort deklassiert wird. Hort und Schule sind für sie gleichberechtigt. „Ich wollte die Kinder ermutigen, ihren eigenen Weg zu finden und zu gehen“, überlegt Hickmann laut. Ganz wichtig für sie sind die Kolleginnen. „Jeder Erfolg ist ein Erfolg des Teams“, betont sie. Aber auch die gute Zusammenarbeit mit der Schule sowie mit den Eltern sind für sie entscheidend. Dabei weiß Birgit Hickmann genau: „Bei 240 Eltern kann man es nie allen Recht machen.“

Allerdings ist Kritik für sie nichts Negatives. Im Gegenteil. „Wenn man ruhig miteinander spricht, Argumente abwägt, wandelt sich Kritik ins Konstruktive“, schätzt Birgit Hickmann ein.

Mehrere große Herausforderungen und Veränderungen muss sie während ihrer Zeit als Hortleiterin stemmen. Das Hochwasser von 2002 richtet im Schul-/Hortgebäude schlimme Schäden an. „Aber alle haben mit angepackt. Die Hilfe war enorm“, blickt Hickmann zurück. 2004 geht der Hort in die freie Trägerschaft der Awo Kinder- und Jugendhilfe über. Fünf Jahre später wird das Gebäude grundlegend saniert. Man zieht interimsmäßig auf die Nicolaistraße in das ehemalige Schillergymnasium. Mit der Zeit steigt der Bedarf an Kinderbetreuung; 2011 wird die Außenstelle des Hortes am Schlängelbach eröffnet, neue Mitarbeiter müssen eingestellt werden. Immer urteilt Birgit Hickmann mit Augenmaß und viel Feingefühl.

Übergabe in gute Hände

Wenn Birgit Hickmann am 30. Juni zum letzten Mal als Leiterin den Hort betritt, weiß sie, dass sie ihre Arbeit in gute Hände gibt. Ihre Nachfolgerin steht bereits fest: Ines Markert, Horterzieherin aus den eigenen Reihen. „Die Grundlagen sind gelegt, die Arbeit wird fortgeführt, das ist für mich ein gutes Gefühl“, sagt Hickmann mit leiser Stimme.

Und was kommt jetzt für Birgit Hickmann? Jedenfalls keine Langeweile. „Mein Mann Hennry, der mir viele Jahre den Rücken freigehalten hat, freut sich darauf, dass wir jetzt wieder mehr Zeit haben“, sagt sie. Wanderungen, Radtouren und Reisen stehen auf dem Plan. Und dann ist da auch noch der große Garten, der zu ihrem Haus in Lohmen gehört. Dass ihre Kolleginnen sie vermissen werden, ist jetzt schon klar. In den vergangenen Tagen haben sie ihrer Chefin einen Oskar für soziales Engagement geschenkt. „Immer war Birgit Hickmann für unsere Probleme da, hat uns unterstützt und war stets Anwältin für die Kinder“, stellt Kerstin Gleißberg, stellvertretende Hortleiterin, fest. Ihr Ton zeugt von Achtung gegenüber der Älteren. Eins ist aber sicher: Kontakt zum Hort und zu den Mitarbeitern will Birgit Hickmann halten, ohne jedoch festzuhalten. „Es läuft auch ohne mich weiter. Ich lasse jetzt die Leinen los“, sagt sie.