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Ansturm auf das Lungenhaschee

Das „Rauschwalder Eck“ ist längst kein Geheimtipp mehr. Eine Spezialität dieses Lokals erobert sogar Königshain.

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© Pawel Sosnowski/80studio.net

Von Ralph Schermann

Görlitz. Bis morgen“, ruft die ältere Dame, „ich muss zum Bus.“ Sie kommt jeden Tag aus der Innenstadt und ist Stammgast im „Rauschwalder Eck“. Auch zwei Frauen aus Weinhübel nehmen mehrmals im Monat den weiten Weg auf sich. Warum eigentlich? „Warum? Weil es dort so schmeckt.“

Das ist für Simone Basch (51) und Manja Obst (43) das schönste Lob. Schon über ein Jahrzehnt führen sie die Imbissgaststätte auf der Reichenbacher Straße 73 und haben sich ihren Ruf noch ganz traditionell erarbeitet. Die beiden nutzen weder Handy noch Online-Medien, halten nichts von Twitter oder Facebook. „Wir haben nicht mal ein Faxgerät“, schmunzeln sie. Ihren Zulauf verdanken sie allein der Mundpropaganda – im wahrsten Sinn des Wortes: „Wir wollen die Gäste ja nicht mit Werbung, sondern mit Qualität überzeugen“, betont Geschäftsinhaberin Simone Basch.

Die gelernte Konditorin arbeitete viele Jahre als Köchin im Fleischwerk Löbau, führte für diesen Betrieb auch einen Imbiss in Reichenbach. Auch Manja Obst kommt vom Fleischwerk, arbeitete dort als Fachverkäuferin für Fleisch- und Wurstwaren. Beide standen mit als Erste auf der Straße, als der damals 108 Mitarbeiter starke Betrieb in die Insolvenz schlitterte. Dass beide damals im Fenster der Reichenbacher Straße 73 ein Schild „Laden zu vermieten“ sahen, war dabei eher ein Glücksfall. „Eigentlich wollte ich mich schon immer selbstständig machen“, sagt Simone Basch.

Beide griffen zu und möbelten den Laden auf. Hier hatte ab den 1920er Jahren der Görlitzer Waren-Einkaufs-Verein ein Geschäft, nach 1945 betrieb es der Konsum. Später wechselte der Laden zur Handelsorganisation (HO), die bis zur Wende eine Textil-Verkaufsstelle führte. 1992 dann kam Gastronomie ins Haus, und das Erdgeschoss hieß zunächst „Grillmaster“, dann „Gastromaster“. Ab 2004 stand es leer.

„Rauschwalder Eck“ tauften die Damen Basch & Obst ihr Lokal. „Es fragen viele, wo hier eine Ecke sein soll“, bestätigt Manja Obst. Doch es gibt keine. „Man sagte früher doch oft ,Ich geh noch mal ums Eck’“, erklärt Simone Basch, „das könnten die Rauschwalder dann gleich bei uns finden.“ Wie die Entwicklung zeigt, finden nicht nur die Rauschwalder das Eck. Als 2016 der zehnte Lokal-Geburtstag gefeiert wurde, kamen viele Gratulanten auch aus umliegenden Dörfern. „Bei uns machen Polizisten und Handwerker Station“, sagt Manja Obst. Sieben Tische mit 25 Plätzen hat das Lokal, das meiste Geschäft aber macht der Straßenverkauf. „Uns freut besonders, dass wir bei allen Schichten ankommen. Bei uns ordern Schüler ihr Essen ebenso wie Senioren, zu uns kommen Arbeiter ebenso wie Geschäftsleute“, sagt Simone Basch. Und sie staunt auch: „Ich hätte ja nie geglaubt, dass so viele Jugendliche auf Blut- und Leberwurstfülle stehen!“ Mehr noch: Ihr Lungenhaschee entwickelte sich längst zu einem Geheimtipp. Das von alten Schlesiern auch „Gelinge“ genannte süß-saure Gericht wird nur ein- bis zweimal im Quartal angeboten, dann aber gleich töpfeweise. Vorbestellungen dafür füllen stets mehrere Seiten. Am 6. April ist es wieder soweit.

Das kleine Schnellrestaurant bietet eine erstaunliche Vielfalt. Gekocht wird täglich frisch; Buletten, Schnitzel oder Rouladen sind handgefertigt. Nur bei einigen Beilagen wird zugekauft, um alles zu schaffen. Denn wenigstens zwölf Mittagessen sind ständig im Angebot, ein Tagesgericht wechselt, dazu haben die Betreiberinnen immer rund 20 Imbissangebote parat. Auch die Getränkepalette ist ordentlich. Nur eins fehlt: Bier, Wein & Co., denn „wir sind ein alkoholfreies Lokal“, sagt Simone Basch sehr bestimmt. Vielleicht liegt es auch daran, dass sie in den vielen Jahren bisher noch nie Probleme mit Kunden hatte. „Im Gegenteil, es gibt viele nette Gäste. Allein der Frauentag bescherte uns dreien jüngst wieder viele Aufmerksamkeiten“, berichtet Manja Obst. Drei? „Ja, auch Bärbel Schuster im Abwasch gehört dazu.“

Geöffnet ist montags bis freitags, jeweils von 8.30 bis 16 Uhr. Mittag gibt es ab 11 Uhr. Bis dahin steht Simone Basch an Herd, Grill und Ofen. Nebenbei wird auch das eine oder andere Frühstück zubereitet. Da gibt’s Semmeln vom Königshainer Melzer-Bäcker, und oft nimmt der Lieferant auch etwas mit zurück – von Simone Basch gekochtes Ragout fin. Im Imbisslokal von Melzers in Königshain wird das nämlich oft verlangt. Und auch, wenn die Herkunft der würzigen Masse dort nicht mit auf der Karte steht, ist es doch ein Gruß aus Rauschwalde. So ein Weg „ums Eck“ kann nämlich ganz schöne Kreise ziehen …