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Anna von Sachsen zu Unrecht eingesperrt

Wilhelm von Oranien bezichtigte sie des Ehebruchs – auch im fernen Australien interessiert das.

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© Archiv

Von Udo Lemke

Adelaide/ Meißen. Maike Vogt Lüerssen hat in Deutschland Geschichte studiert und in Australien ein Buch über Anna von Sachsen geschrieben – die SZ fragte nach.

Frau Vogt Lüerssen, wie kommen Sie dazu, in Australien Bücher über deutsche Vergangenheit zu schreiben?

Nach meinem Studium der Geschichte hatte ich 1987 begonnen, mich intensiv mit der Alltagsgeschichte des Mittelalters und dem Leben der Frauen im 15. und 16. Jahrhundert zu beschäftigen. Durch Zufall fand ich um 1990 den Artikel über Anna von Sachsen von Hans Kruse, für den sich seit Jahrzehnten niemand mehr interessiert hatte. Als wir 1995 nach Australien auswanderten, war für mich selbstverständlich, dass ich meine Leidenschaft für die Geschichte nicht aufgebe. Mittlerweile ist es schließlich möglich, überall zu leben und deutsche Geschichtsbücher zu schreiben. Zudem stehen mir hier in Adelaide drei Universitätsbibliotheken zur Verfügung, mit vielem deutschen Material. Die Deutschen spielen in der Geschichte Südaustraliens eine sehr große Rolle. Wir haben hier sehr viele „Schmidts“, „Schulzes“, „Meyers“, deren Vorfahren um 1840 bis 1890 nach Südaustralien gekommen sind. Man spricht hier in der Tat noch Deutsch.

Wie sind Sie auf die Gestalt der Anna von Sachsen gestoßen?

Durch reinen Zufall. Ich suchte nach Frauen, über deren Leben im 15. und 16. Jahrhundert ich berichten wollte. Es sollten nicht nur Frauen sein, die jeder kannte. Anna von Sachsen galt zudem als das Paradebeispiel einer „schlechten Frau“.

Was hat Sie an dieser historischen Figur interessiert?

Nachdem ich Hans Kruse gelesen hatte, ging mir Anna von Sachsen nicht mehr aus dem Kopf. Ihre Briefe, in denen sie immer wieder um Hilfe bei ihren Verwandten wegen ihrer Probleme in der Ehe mit Wilhelm von Oranien bat, die sie nie erhalten sollte, sind sehr interessant. Wer ihre Briefe gelesen hat, weiß, dass ihr großes Unrecht angetan worden ist. Aber als Frau hatte man bis zur 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts keine Chance, gehört zu werden.

Was an dieser Figur ist Ihrer Meinung nach für heute aufhebenswert?

Gerade in unserer Zeit sind Anna von Sachsen und ihr Schicksal sehr aktuell. Die „Me too!“-Bewegung gehört dazu. Es gibt so viele Frauen, denen in der Vergangenheit Unrecht angetan wurde und die niemanden hatten, der ihnen half. Wenn Annas Fall heute vor ein Gericht gelangt wäre, dann wäre ihr Recht zugesprochen worden. Sie hatte, wie die zeitgenössischen Quellen zeigen, keinen Ehebruch begannen. Wilhelm von Oranien wollte sie loswerden. Wenn ich das nächste Mal in Deutschland bin, werde ich noch einmal in den Meißner Dom gehen und einen schönen Blumenstrauß auf Annas Ruhestätte legen.

Die Fragen stellte Udo Lemke.

www.kleio.org