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Anklage erhoben

Vier Männer fesseln einen Iraker am Arnsdorfer Netto-Markt. Jetzt wird ihnen Freiheitsberaubung vorgeworfen.

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© Screenshot: youtube

Von Nadine Steinmann

Er war sich so sicher, dass ein Ermittlungsverfahren zeigen würde, dass er und seine Freunde rechtmäßig gehandelt haben. Dass sie dem angeblichen Angreifer – einem offenbar verwirrten Iraker – die Flaschen wegnehmen, ihn aus dem Supermarkt werfen und ihn festhalten durften, bis die Polizei eintraf. Zumindest waren das die Worte, die der Arnsdorfer CDU-Gemeinderat und ehemaliger Bürgermeister-Kandidat Detlef Oelsner in einer Gemeinderatssitzung nach dem Vorfall im Arnsdorfer Netto-Markt voller Überzeugung vorlas. Und noch heute sind er und sein Anwalt der Meinung, dass er richtig gehandelt habe. Und das, obwohl die Staatsanwaltschaft Görlitz es nach den nun abgeschlossenen Ermittlungen deutlich anders sieht. Die Behörde wirft den vier Männern aus Arnsdorf Freiheitsberaubung vor. Beim Amtsgericht Kamenz wurde deswegen bereits Anklage erhoben.

Der Vorfall ereignete sich dabei am 21. Mai dieses Jahres im Netto-Markt an der Stolpener Straße. Anfang Juni sorgte der Fall schließlich bundesweit für Schlagzeilen, weil ein Video in den sozialen Medien aufgetaucht war, das die Szene zeigte. Zu sehen ist dabei ein junger irakischer Mann, der sich im Kassenbereich aufhält. Er versucht, sich mit den Verkäuferinnen zu verständigen. Über eine abgelaufene Handykarte. Doch die Sprachbarrieren machen eine Verständigung unmöglich, die Situation wirkt angespannt. Gleichzeitig hält der junge Mann hinter dem Rücken zwei Flaschen Wein. Plötzlich tauchen vier weitere Männer auf und zerren den schmächtigen Iraker aus dem Einkaufsmarkt. Es kommt zu Handgreiflichkeiten. Was auf dem Video nicht mehr zu sehen ist: Vor dem Markt drücken die vier den jungen Iraker auf den Boden und fesseln ihn nach Angaben der Staatsanwaltschaft Görlitz mit Kabelbindern an einen Baum. Er wird erst befreit, als die vom Personal des Marktes gerufene Polizei eintrifft.

Gefängnis droht

Freiheitsberaubung, so lautet nun der Vorwurf der Staatsanwaltschaft. Den Beschuldigten droht damit eine Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe, heißt es. Detlef Oelsner und seine Freunde sprachen dagegen immer wieder von Zivilcourage. Sind der Meinung, dass sie richtig gehandelt haben. Denn angeblich habe der Iraker die Kassiererin mit den Weinflaschen bedroht. „Wir sind Bürger, keine Untertanen. Die Staatsgewalt geht von uns aus. Die Polizei hat ihre Befugnisse, aber deshalb hören wir nicht auf, für unser Dorf und unser Land verantwortlich zu sein. Was wir brauchen sind Mut, Gerechtigkeitssinn und Prinzipien“, machte Oelsner in der Sitzung des Gemeinderats am 20. Juni in seiner Rede deutlich. Diese liegt der Sächsischen Zeitung schriftlich vor.

Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft mussten weder Arnsdorf noch die Mitarbeiter des Einkaufsmarktes beschützt werden. Die Behörde hat parallel das Verfahren gegen den jungen Mann, der nicht nur ein Asylbewerber, sondern auch Patient des Fachkrankenhauses war, eingestellt. Gegen den auch offensichtlich verwirrten Mann war zunächst wegen des Verdachts der Bedrohung ermittelt worden. Nach Angaben von Till Neumann, dem Sprecher der Staatsanwaltschaft Görlitz, konnte eine angebliche Bedrohung anhand der Videoaufnahmen nicht festgestellt werden.

Angeklagter will sich nicht äußern

Und was sagt Detlef Oelsner dazu? Nichts. Er wolle sich gegenüber der SZ nicht äußern. „Kein Kommentar“, ist das Einzige. Gleichzeitig verweist er an seinen Anwalt Maximilian Krah. Der ist kein Unbekannter. Krah war bis vor Kurzem noch Mitglied im CDU-Kreisverband Dresden, wollte sich ursprünglich als Direktkandidat zur Bundestagswahl 2017 im Wahlkreis Dresden I aufstellen lassen. In einer Kandidatenkür gegen den derzeitigen CDU-Abgeordneten Andreas Lämmel. Allerdings stieg Krah Ende September nicht nur aus dem Wahlrennen aus, sondern auch aus der CDU. Im Oktober stellte er einen Aufnahmeantrag bei der AfD. In der CDU war der Jurist zuvor durchaus umstritten: Er fische am rechten Rand, warfen ihm Kritiker vor. Er wetterte im Internet gegen Flüchtlinge und Integrationspolitik.

Nun vertritt er Detlef Oelsner und erläutert gegenüber der SZ die Argumente, mit denen er gegen die Anklage Stellung beziehen werde. Kernaussage: Detlef Oelsner habe aus Notwehr gehandelt. Juristisch korrekt heiße es Nothilfe. Denn Oelsner habe die Mitarbeiter des Netto-Marktes beschützt und nicht sich selbst, so Krah. Außerdem beruft er sich auf das sogenannte Jedermann-Festnahmerecht. Dieses sagt aus, dass jedermann einen Straftäter vorläufig festnehmen darf, bis die Polizei eintrifft. Nichts anderes hätten die vier Männer mit dem jungen Iraker gemacht, als sie diesen mit Kabelbindern an einen Baum gefesselt haben.

Ob es zur Eröffnung des Verfahrens kommt, muss das Amtsgericht Kamenz dabei zunächst noch prüfen. Eine Sprecherin kündigte aber bereits an, dass es in diesem Jahr nicht mehr dazu kommen wird. Frühstens im Januar werde das Verfahren eröffnet, sagte sie. Oder auch nicht. Das bleibt abzuwarten.