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Angst vor Problemen in der Kita

Die Chefin des größten freien Kita-Trägers in der Region kritisiert den aktuellen Tarifstreit: „Wir haben andere Sorgen.“

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© Steffen Unger

Von Gabriele Naß

Noch verhandeln Gewerkschaften und Kommunen in Dresden über einen neuen Tarif für Erzieher in Kitas und Horten. Mit dem Ausgang des Schlichterverfahrens ist am Montag zu rechnen. Die Gewerkschaften finden, es ist an der Zeit, dass wegen der Bedeutung ihrer Berufe die Erzieher und Sozialarbeiter in kommunalen Einrichtungen besser eingruppiert werden. Das könnte um bis zu zehn Prozent höhere Gehälter bedeuten. Warum interessiert das so viele in der Region Bischofswerda brennend, darunter die freien Kita-Träger? Die SZ bat Sabine Strauß, Geschäftsführerin des Kreisverbandes der Volkssolidarität (VS) im Landkreis Bautzen, um ihre Sicht auf die Dinge. Die VS betreibt acht Kitas: in Bischofswerda, Neukirch, Großharthau, Steinigtwolmsdorf, Bautzen, Pulsnitz, Stolpen und Polenz. In der Region Bischofswerda ist sie damit größter freier Träger.

Welchen Anteil haben die Gehälter an den Kita-Gesamtkosten?

Der Anteil der Personalkosten an den Gesamtkosten liegt für die Kitas der Volkssolidarität bei 73 Prozent. Das sei im Rahmen, orientiere sich an Kitas der VS im gesamten Osten und an denen kommunaler Träger vor Ort, die in Betriebskosten hier und da teurer sind, sagt VS-Geschäftsführerin Sabine Strauß. Die VS hat einen Haustarifvertrag für Erzieher, bezahlt ihre Mitarbeiter aber ähnlich wie der öffentliche Dienst. Sabine Strauß: „Unsere Erzieher sind weg, wenn wir sie viel schlechter bezahlen.“

Was bedeuten höhere Löhne für den Kita-Alltag?

Jeder muss von seiner Arbeit leben können, sagt Sabine Strauß. Das war bei der VS schon vor der Einführung des Mindestlohnes Anfang Januar Politik. Von über 300 Mitarbeitern – davon arbeitet die Hälfte im pädagogischen Bereich – hatten nur zwölf weniger als die jetzt geforderten 8,50 Euro. Aber jetzt zehn Prozent mehr für die Erzieherinnen in den Kitas? Für die VS-Geschäftsführerin in der aktuellen Situation ein Unding. Selbst wenn die Schlichter es schaffen, nur fünf Prozent zu erzielen, hätte das ernst zu nehmende Folgen für den Kita-Alltag. „Wir werden künftig noch mehr an den Sachkosten sparen müssen, wenn die Kosten insgesamt nicht explodieren sollen“, sagt Strauß. Die Sachkosten sind für die Umsetzung des Sächsischen Bildungsplanes eine Grundvoraussetzung. „Es kann nicht sein, dass wir zukünftig das Sparschwein aufstellen müssen und Eltern und Sponsoren bitten, es zu füllen, um notwendige Materialien kaufen zu können.“

Wieso betrifft es auch Eltern, wenn Gehälter steigen?

Wenn Gehälter steigen, steigen die Gesamtkosten für einen Kita-Platz. Den finanzieren Land, Kommune, Eltern und der freie Träge gemeinsam. Die Obergrenzen für Eltern sind festgelegt. Kommunen dürfen bei Hort und Kindergarten bis zu 30 Prozent der Platzkosten auf die Eltern umlegen, in der Krippe 23. Je höher die Ausgaben für einen Kita-Platz, desto höher die Elternbeiträge. Sabine Strauß plädiert schon lange dafür, dass wie zum Beispiel in Neukirch jedes Jahr auf die Betriebskosten und die Elternbeiträge geschaut wird. Bei dem finanziellen Druck auf alle Kita-Träger hält sie es sogar für zwingend, die Obergrenzen für Elternbeiträge auszunutzen. Wer das jedes Jahr anpasse, verärgere seine Eltern bestimmt nicht, weil die Erhöhungen moderat ausfallen. Aber schließlich steigen nicht nur Erzieherinnengehälter, sondern auch andere Ausgaben für Kitas. Trotz sinnvollen Wirtschaftens in effektiven Strukturen oder energetisch sanierten Häusern. Der Einsatz von Erzieher-Personal ist durch den Betreuungsschlüssel ja genormt.

Warum interessiert freie Träger der aktuelle kommunale Tarifstreit?

Sollten die Schlichter im Kita-Streit mit dem Ergebnis an die Öffentlichkeit treten, dass die Gehälter für Erzieher im kommunalen Dienst erhöht werden, wird die VS-Geschäftsführerin für ihre Mitarbeiter in den Haushaltsverhandlungen mit den Kommunen diese Steigerung auch einfordern. „Ich weiß natürlich, dass viele Kommunen nicht wissen, wie sie den Anstieg finanzieren sollen.“ – Städte und Gemeinden sind dem Gesetz nach für Kitas zuständig. Dafür bekommen sie vom Land Pauschalen. Kommunen können die Kitas aber auch in die Verantwortung freier Träger legen, dann gibt es einen Rahmenvertrag und es werden Verhandlungen der freien Träger mit der Kommune nötig. Die nächsten Haushaltsentwürfe werden bis Ende August eingereicht, danach wird verhandelt, sagt Sabine Strauß. Weil das Geld so knapp ist, geht es dabei nicht nur um Erziehergehälter. Manche Kommunen akzeptieren den Einsatz von FSJ, Bundesfreiwilligendienst, Hausmeister und Wirtschaftskräften in der Kita. Andere lehnen das ab.

Warum gibt es Kritik an den Gehaltsforderungen?

„Gehaltserhöhungen für Erzieherinnen sind für den Einzelnen schön, lösen aber nicht die Probleme. Wir brauchen mehr Erzieherinnen, einen deutlich besseren Betreuungsschlüssel, kleinere Gruppen. Dafür sollten wir uns alle gemeinsam starkmachen“, sagt Sabine Strauß. Der Krankenstand in den VS-Kitas sei hoch, es gibt trotz eines guten Gesundheitsmanagements, auf das sie achte, viele Langzeitkranke. Die jüngsten Zugeständnisse des Freistaates beim Betreuungsschlüssel, die ab September 2015 bis 2018 schrittweise umgesetzt werden, können das grundsätzliche Problem der Überbelastung von Erzieherinnen kurzfristig nicht lösen können, ist sich die VS-Geschäftsführerin sicher. Bei den Kitas bringt die kürzlich ausgehandelte Erhöhung für den Betreuungsschlüssel fünf Stunden in der Woche bei einer Einrichtung, die einhundert Kinder betreut. Die VS wird das auf eine Erzieherin verteilen oder auf zwei ... Bei der Volkssolidarität sind nur die Leiterinnen der Kindertagesstätten voll beschäftigt. Alle anderen Erzieherinnen haben Teilzeitverträge.

Was hat der aktuelle Kita-Streit mit Betriebsfrieden zu tun?

Bei der Volkssolidarität hängt am Ausgang der Tarifverhandlungen für kommunale Erzieher und Sozialarbeiter der Betriebsfrieden. Die Geschäftsführerin sagt, wenn sie die Erzieherinnen-Gehälter erhöht, muss sie auch die anderen Berufsgruppen berücksichtigen; die Pflegekräfte in den Sozialstationen, den Tagespflegen, in der Kurzzeitpflege, die Angestellten in der Beratung und Verwaltung. „Wir sind ein Betrieb.“ Denn wer, fragt Strauß, will aufwiegen, was wichtiger, was wertvoller ist: die Arbeit mit Kindern oder die Betreuung alter, kranker, pflegebedürftiger Menschen?

Die Gehälter beim VS-Kreisverband sind transparent. Jeder kann sehen, was er beim Einstieg als Erzieher oder Pflegekraft bekommt, welche Steigerungen möglich sind. Es würde schon deswegen nicht gehen, unter der Decke zu halten, wenn Erzieher plötzlich mehr verdienen. Die Erklärung müsste folgen. Zudem seien die ständigen Verhandlungen mit Pflegekassen und Krankenkassen schwierig, es sei schwer, an Steigerungen zu kommen. Am Erfolg aber hängen Einnahmen und mithin die Finanzierung der Gehälter für das Pflegepersonal. – Steht am Ende der Tarifauseinandersetzungen für Erzieherinnen und Sozialarbeiter bei Kommunen tatsächlich mehr Gehalt, wird das in ihrem Betrieb Einsparungen an anderer Stelle bedeuten müssen, sagt Sabine Strauß.