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Amtsrichter schickt geistig Behinderten ins Gefängnis

Ein geistig Behinderter muss wegen Diebstahls für acht Monate hinter Gitter. Dasist ein Skandal, sagt ein renommierter Justizexperte.

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Von Alexander Müllerund Verena Weiß

Sein Bundeszentralregister zählt bereits 26 Einträge wegen Diebstahls. Deswegen sitzt der Dohnaer Jörg P. auch in Haft.

Am Donnerstag stand er wieder vor dem Pirnaer Amtsrichter, für den der 46-Jährige kein Unbekannter ist. Dem entspricht auch das Urteil: Insgesamt acht Monate Freiheitsstrafe muss Jörg P. verbüßen. Ohne Bewährung. Fast zwei davon hat er bereits abgesessen.

Als das Urteil fällt, zeigt Jörg P. kaum eine Regung. Sogar ein freundliches Lächeln bringt er noch über die Lippen. Sicher nicht, weil ihn das Urteil erfreut. Wie es scheint, sind ihm die Konsequenzen nicht bewusst. Denn Jörg P. ist geistig behindert, intellektuell auf dem Stand eines sechs Jahre alten Kindes, so die Aussage der Rechtsanwältin vor Gericht.

Sein Verhalten spricht Bände: Zu den Taten will sich Jörg P. zunächst nicht äußern. „Ich habe Angst“, sagt er leise. Auf Bitten seiner Rechtsanwältin nimmt er schließlich allen Mut zusammen und erzählt, so gut er es kann. Nur mühsam findet er Worte, kann sich kaum ausdrücken. Es fällt ihm schwer, dem Prozess zu folgen, zu verstehen, was hier vor sich geht.

„Offensichtliches Fehlurteil“

Obwohl er seine Diebeszüge gesteht, muss er nun wieder in Haft. Der Grund: Jörg P. wäre laut Strafrichter weder mit einer Geld- noch mit einer Bewährungsstrafe zu beeindrucken. Auch einen Weg zurück in die Einrichtung „Sonnenhof“ für geistig behinderte Menschen in Lohmen, in der er seit 2002 untergebracht war, gibt es nicht. Denn hier sei er zuvor ständig ausgebüxt, um auf „Geldsuche“ zu gehen.

„Sicher ist eine weitere Haftstrafe keine optimale Lösung“, sagt Ines Siebenhaar, Leiterin der Wohnstätte „Sonnenhof“. Aus diesem Grund hätte sie auch den Antrag gestellt, Jörg P. in einer geschlossenen Einrichtung mit einer intensiven Betreuung unterzubringen. Eben das, was er bräuchte und eine Haftanstalt nicht leisten kann.

Dennoch: Gegen das Urteil des Richters wollen Rechtsanwältin und Betreuer keine Berufung einlegen. „Das ist ein Skandal“, erklärt Ulfried Kleinert. Der Professor ist Vorsitzender des Beirats der Justizvollzugsanstalt Dresden. Hier sitzt Jörg P. seit sechs Wochen ein und soll auch den Rest seiner Strafe verbüßen. „Dieser Mann ist schuldunfähig. Ich weiß nicht, wie das Gericht dazu kommt, ihn zu verurteilen“, ist der renommierte Justizexperte empört.

„Es gibt ein psychologisches Gutachten, das die Schuldunfähigkeit belegt“, sagt Ulfried Kleinert. Die Mitgefangenen von Jörg P. hätten sich ebenfalls schon beschwert. Er trägt Windeln und nässt sich permanent ein. Kleinert: „Er braucht eine Intensivbetreuung.“ Die Vollzugsbeamten seien dafür nicht ausgebildet. „Hier liegt ein offensichtliches Fehlurteil vor“, sagt Ulfried Kleinert, der auf 40 Jahre Erfahrung im Strafvollzug zurückgreifen kann. „Es ist Wahnsinn, was da passiert ist.“