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Am Seil über den Elbhang

Seit 120 Jahren fährt die Standseilbahn von Loschwitz zum Weißen Hirsch. Das ist auch einem Schädling zu verdanken.

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© André Wirsig

Von Tobias Wolf

Ein kurzer Ruck und der Waggon der Standseilbahn setzt sich rumpelnd in Bewegung. Der Nieselregen spritzt kleine Wasserperlen an die große Frontscheibe. Nach nur wenigen Metern taucht die Bahn in das Dunkel des Tunnels nahe der Bergstation ein. Für Bergbahn-Vizechef Roland Hetzer ist die Talfahrt eine reine Inspektionstour. Denn die Standseilbahn operiert führerlos – das heißt ohne Fahrer.

Seit genau 120 Jahren verbindet sie den Stadtteil Loschwitz mit dem Villenviertel Weißer Hirsch. Dass am Elbhang neue Quartiere entstehen konnten, ist der aus Amerika eingeschleppten Reblaus geschuldet. Der aggressive Schädling hatte 1885 den jahrhundertelangen Weinbau an den Elbhängen mit einem Schlag beendet. Geschäftstüchtige Grundstücksspekulanten witterten ihre Chance. Unter anderem wurden nun Villen gebaut sowie das bekannte Lahmann-Sanatorium. Loschwitz und der Weiße Hirsch lagen damals noch vor den Toren der Landeshauptstadt, galten als Edelwohnorte des Bürgertums.

Nur die öffentliche Verkehrsanbindung fehlte noch. Aber erst das Aus einer von der sächsischen Staatsregierung geplanten Eisenbahn zum damaligen Kurort Weißer Hirsch machte den Weg für die Standseilbahn frei. Elf Monate dauerten die Bauarbeiten, die vor allem dadurch erschwert wurden, dass kaum einer der Anlieger etwas von seinem Grundstück abgeben wollte. Als Kompromiss wurden zwei Tunnel und eine lang gestreckte Brücke entlang des Loschwitzgrunds errichtet.

Die Technik der Bahn war zu ihrer Zeit hochmodern. Zwei Wagen sind durch das Zugseil so miteinander verbunden, dass ein einziger Antrieb ausreicht, sie am Elbhang hoch- und runterfahren zu lassen. Ein Elektromotor treibt sie an. Anfangs übernahm eine Dampfmaschine diese Aufgabe.

Für den 48-jährigen Bergbahn-Vize ist die Arbeit an dem technischen Denkmal so etwas wie ein Traumjob. Ende der 1980er hatte er bei den Dresdner Verkehrsbetrieben Kfz-Schlosser gelernt. Statt danach in der Omnibuswerkstatt anzufangen, ging Hetzer 1990 zu den Bergbahnen, wie Schwebebahn und Standseilbahn zusammen genannt werden. Gemeinsam mit Letzterer feiert er nun sein ganz eigenes rundes Dienstjubiläum. „An diesem Job ist nichts gewöhnlich“, sagt Hetzer. Auch deshalb, weil an der historischen Technik noch richtig Hand angelegt werden muss.

Erst Anfang letzten Jahres war das Schätzchen der DVB generalüberholt worden. Für gut 350 000 Euro wurden die Waggons restauriert und ein Teil der alten Brücke im Loschwitzgrund erneuert. „In den nächsten fünf Jahren werden wir noch den Holzbelag und einige Gleisschwellen austauschen müssen“, sagt Hetzer. Schon in den Jahren 1993/94 war die historische Bahn einmal komplett rekonstruiert und unter anderem mit neuen Wagen aus der Bautzner Waggonfabrik bestückt worden.

In den Anfangsjahren waren auf der Strecke auch Güterwagen im Einsatz, auf deren Ladefläche ganze mit Kohle oder Baustoffen beladene Pferdefuhrwerke passten. Denn im Viertel wurde ja immer weiter gebaut. Dass die beinahe einzigartige Bahn den Zweiten Weltkrieg überstanden hat, ist einem glücklichen Umstand zu verdanken. Das Betriebspersonal hatte vor allem in der Nacht des 13. Februar sehr darauf geachtet, die Waggons bei jedem Bombenalarm in die beiden Tunnel zu fahren. Die Talstation wurde zwar zerstört, der Rest der Anlage erlitt dagegen kaum einen Schaden. Nach wenigen Tagen konnte die Standseilbahn deshalb schon wieder fahren und war damit eines der wenigen funktionierenden Verkehrs Menschen, sagt Vize-Chef Hetzer. Vielleicht werden es im Jubiläumsjahr noch ein paar mehr, denn die DVB planen mehrere Veranstaltungen zum Geburtstag der alten Dame auf dem Elbhang.

www.sz-link.de/standseilbahn