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Alte Hasen und junge Kaninchen

Am Wochenende präsentieren hiesige Züchter in Medingen ihre Tiere. Vorab kürten Fachleute die besten Exemplare. Für die Langohren galt dabei: Bloß nicht müffeln!

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Von Sebastian Kositz

Für einen Moment herrscht Ratlosigkeit. Warum der „Russe“ eigentlich „Russe“ heißt? Betroffenes Schweigen. Auf diese naive Frage des Journalisten waren die Fachleute irgendwie nicht vorbereitet. Sogar der „Russen“-Züchter zuckt hilflos mit den Schultern. Schließlich dreht sich ein großer Mann im weißen Kittel um. Johannes Meyer schaut in die Runde: „Der kommt aus dem Himalaya-Gebirge.“ Züchter und Journalist nicken anerkennend.

Wenn es um Kaninchen geht, hat Johannes Meyer immer eine Antwort. Der Mann aus Röderau ist – selbstredend nur im übertragenen Sinne – ein alter Hase. Vor knapp fünf Jahrzehnten hat Johannes Meyer mit der Kaninchenzucht begonnen. Schon wenige Jahre später wurde er zum Preisrichter ernannt. Nach vielen Prüfungen, bei denen jede Menge theoretisches Wissen und praktisches Können rund ums Tier unter Beweis gestellt werden musste. Seitdem hat Johannes Meyer auf Rassekaninchenausstellungen landauf landab schon mehrere Tausend Tiere unter die Lupe genommen. Russen, Deutsche Riesen und Englische Schecken, Kleinwidder und Zwergwidder – die Liste ist beinah endlos. Und jede einzelne Kaninchenrasse bringt um die 100 individuelle Merkmale mit, die fachmännisch bewertet werden wollen.

Gestern musste Johannes Meyer früh aufstehen. Zwar ist der Weg von Röderau bis Medingen vergleichsweise kurz. Doch als einer von drei Preisrichtern bei der diesjährigen Rassekaninchenschau des Züchtervereins Weixdorf und Umgebung hatte der Experte im alten Medinger Kino ein straffes Programm vor sich. Im Akkord nahmen er und seine Kollegen die dort von ihren Besitzern präsentierten 159 Tiere unter die Lupe. Zwei bis drei Minuten, dann ist das nächste Kaninchen an der Reihe.

Gerade packt Johannes Meyer eine Blau-Rexe auf die Waage. Katzenfreunde dürften sich bei dieser Rasse wohl am ehesten an eine Britisch Kurzhaar oder Chartreux erinnert fühlen. Das Fell sehr kurz, bläulich elegant, samtig wie Velours.

Die Kaninchendame weist vorzügliche Maße auf, zugleich auch einen recht propperes, aber auch nicht zu hohes Gewicht. „Das Tier ist nur ein wenig eckig“, befindet Johannes Meyer, der diese Feststellung gleich mit einem Punktabzug quittiert. Auch die Felldichte überzeugt nicht restlos, die winzigen kahlen Stellen an den Hinterläufern waren dem Fachmann nämlich ebenso nicht entgangen. Dafür punktet die Dame – die keinen Namen trägt – mit ihrem schönen Kopf und ihren prächtigen Ohren, auch an den dunkelhornfarbigen Krallen gibt es nichts auszusetzen.

Keine Kuscheltierzüchter

Und die Blau-Rexe ist sehr gepflegt. Hätte Johannes Meyer mit der Nase rümpfen müssen, wäre die Dame möglicherweise ganz aus der Wertung geflogen. Der Geruch ist wichtig, das sei wie bei den Menschen, erklärt Johannes Meyer. Am Ende notiert er für das Kaninchen sehr gute 95,5 Punkte. Das ist dicht dran an der magischen 96. Ab diesem Wert fühlen sich die Züchter für ihre Anstrengungen geadelt.

Auf viele Punkte hofft an diesem Vormittag auch Dietmar Klotzsche. Der amtierende Chef des Verbandes Weixdorf und Umgebung schickt selbst eine Handvoll Englische Schecken in die Wertung. Augenscheinlich wahre Hingucker. Weißes Fell, schwarze Ohren, schwarze Mundpartie, schwarze Augenränder und dann auch noch viele, viele schwarze Punkte auf dem plüschigen Buckel. Die Chancen seiner Tiere will Dietmar Klotzsche vor dem noch ausstehenden prüfenden Blick der Juroren nicht kommentieren. „Natürlich hofft jeder Züchter, dass seine Tiere am Ende ganz vorne mit dabei sein“, sagt der Medinger.

So sehr Dietmar Klotzsche seine Tiere mag, sie liebevoll hegt und pflegt – eine allzu große emotionale Bindung baut er zu ihnen nicht auf. Viele landen ohnehin früher oder später im Kochtopf. „Wir sind eben keine Kuscheltierzüchter“, sagt Dietmar Klotzsche. Bei der von seinem Verein auf die Beine gestellten Ausstellung in Medingen werden übrigens auch etliche Tiere zum Verkauf angeboten. Für Züchter, ebenso wie für andere Besucher. „Viele kaufen ganz sicher für den Verzehr“, meint der Medinger Dietmar Klotzsche.

In zwei Jahren steht bei dem Weixdorfer Kaninchenzüchterverein ein großes Jubiläum ins Haus. Der Verein feiert sein 90-jähriges Bestehen. Eine lange Tradition, die jedoch in ihrem Fortbestehen bedroht ist. Wie viele andere Vereine in der Region haben die Kaninchenzüchter aus dem Rödertal auch mit Nachwuchssorgen zu kämpfen. „Ich gehöre mit 57 Jahren zu unserer Jugendgruppe“, sagt Dietmar Klotzsche, dem dabei nur ein gequältes Lächeln über seine Gesichtszüge gleitet. Denn junge Leute, die Kaninchen züchten wollen, gebe es kaum noch. Zwei Dutzend Aussteller werden an diesem Wochenende vor Ort sein, neben den Mitgliedern des Weixdorfer Vereins beteiligen sich auch Züchter aus dem Raum um Radeburg. „Früher waren es wesentlich mehr“, so Dietmar Klotzsche.

Unterdessen bewerten die Preisrichter an diesem Freitagvormittag weiter im Takt die Kaninchen. Auf vorgedruckten Pappkarten notieren sie emsig die Punktzahlen. Die Gewinner werden erst am Sonntagnachmittag bekanntgegeben. Den Züchtern winken bei der Ausstellung zumeist Pokale, auch nur ansatzweise nennenswerte Geldsummen gibt es hingegen nicht.

Bleibt aber noch die Frage offen, warum nun der „Russe“ eigentlich „Russe“ heißt. Der Verweis auf den Himalaya hilft letztlich auch nicht weiter. Möglicherweise liefert die Erklärung der große Naturforscher Charles Darwin. Der hatte einst zwei der auch als Himalaya-Kaninchen bekannten Tiere beschrieben. Diese waren ihm zuvor zugesendet worden – aus Moskau.

Rassekaninchenschau mit Verkauf und großer Tombola, altes Kino Medingen, Dorfstraße 11, Sonnabend 9–18 Uhr und Sonntag 9–16 Uhr, Eintritt 1,50 Euro, Kinder 50 Cent. Für Kinder im Alter bis sechs Jahre ist der Eintritt frei.