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„Als Opfer hast du sämtliche Arschkarten“

In einer Gefahrensituation darf man nicht abwarten. Nach diesem Prinzip arbeitet ein Selbstverteidigungskurs im Krokofit.

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© Norbert Millauer

Von Nina Schirmer

Radebeul. Sifu Mathias Stöhr legt den Arm um mich. „Na, Süße“, säuselt er und ich denke noch, was für eine lahme Anmache das ist. Im nächsten Moment liege ich am Boden, seine Hand ist auf mein Gesicht gedrückt. Schockstarre. Dann geht Stöhr auf den in der Ecke sitzenden Fotografen los. „Jetzt bis du fällig“, ruft er und kommt ganz nah. Der Fotograf kann nicht mehr ausweichen. Doch Stöhr schlägt nicht zu.

Die Szenen waren nur gespielt. Um uns zu zeigen, wie eine extreme Situation wirklich aussieht. Eine Gefahr, mit der man nicht gerechnet hat. „Die Realität ist nicht kuschelig“, sagt er. In seinem Kurs im Krokofit trainiert der 47-Jährige Leute, die lernen wollen, sich selbst zu verteidigen. Beschönigt wird dabei gar nichts. Es geht darum, sich unangenehmen Situationen zu stellen, in Stressmomenten entspannt bleiben zu können.

„Als Opfer hast du sämtliche Arschkarten, erst Recht als Mädel“, sagt der Sifu – das ist Stöhrs Lehrer-Titel im Wing Chun. Der Angreifer wird größer, schwerer und kräftiger sein. Es mache also nur Sinn genau diese Situation zu trainieren, wenn man eine Chance haben will. Das unterscheidet seinen Selbstverteidigungskurs von Kampfsportarten, wie Karate oder Boxen. Bei der Selbstverteidigung geht es nicht um Fairness, es gibt keine Regeln, keine Gewichtsklassen. „Der Angreifer sucht keinen Gegner, sondern ein Opfer.“

Einmal in der Woche üben Radebeuler unter der Anleitung von Stöhr und seinen Kollegen von der Kampfsportschule Streetdefence im Krokofit, wie sie sich in einer Angriffssituation verteidigen können. Viele Frauen sind in dem Kurs, aber auch Männer. Das Klientel ist bunt gemischt, sagt der Trainer. Von der Hausfrau über Studenten und Taxifahrern bis zu Anwälten. Der Kurs ist keiner, für den man sich mal aus Spaß eine Zehnerkarte kauft. Ein Jahr müsse man schon mindestens trainieren, um die Bewegungsabläufe zu verinnerlichen, sagt Stöhr. Aber in dieser Zeit könne er seinen Schülern viel beibringen.

Eine der ersten Lektionen: Wer den ersten Schlag des Angreifers abwartet, hat verloren. Man selbst muss zuerst zuschlagen. Frauen zum Beispiel mit der flachen Hand, in die Augen oder auf den Hals. Moralisch mag man das verwerflich finden. Doch um Moral gehe es im Extremfall nicht, sagt der Übungsleiter. Nur darum, seine Haut zu retten. Wer einer Gefahrensituation ausweichen kann, sollte das immer tun. „Wenn du Ärger aus dem Weg gehen kannst, dann tu das um Gottes Willen“, sagt Stöhr. Keine Frau müsse nachts allein durch den Stadtpark gehen. „Dann nimm dir halt ein Taxi“, fordert der Trainer. Statistisch gesehen, passierten die meisten Übergriffe aber im näheren Umfeld. Auf der Arbeit, in der Familie, unter Freunden.

In dem Kurs lernen die Schüler, selbst zu agieren. Das sei psychologisch extrem wichtig, erklärt der Trainer. „Wenn du weißt, dass du dich wehren kannst, egal was kommt.“ Trainiert wird unter anderem, um bei einer Gefahr nicht in eine Handlungsunfähigkeit zu verfallen. Die ist evolutionär bedingt, erklärt Stöhr. „Weil der Höhlenmensch sich tot gestellt hat, wenn er dem Säbelzahntiger nicht mehr ausweichen konnte.“ Ein vereinfachtes Beispiel. Aber ein logisches. Im Kurs werden auch Übergriffe im Hallenbad, im Auto oder im Treppenhaus nachgestellt.

Der Selbstverteidigungskurs findet dienstags 17.30 Uhr im Krokofit statt und kostet pro Monat 40 Euro, für Schüler ab 16 Jahren und Studenten 35 Euro.