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Als in Roßwein noch studiert wurde

Sechs Ingenieure kehren zu ihrer früheren Schule zurück, treffen ihren Lehrer und diskutieren über alte Zeiten.

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© André Braun

Von Marcus Moeller

Roßwein. Roßwein irgendwann in den 70er Jahren. An der Ingenieursschule Roßwein findet ein Crosslauf der Studenten statt. Es geht ums Prestige, denn in der ostdeutschen Ingenieursausbildung spielt auch Sport eine große Rolle. Detti, Siggi, Helmut und Guntram sind Teil des 17-köpfigen Jahrgangs 1974 – die Meisten von ihnen sind Anfang 20 und haben zuvor eine Lehre als Stahlbauschlosser absolviert. Als die jungen Kerle ungefähr auf halber Strecke sind, steht ein Wartburg am Straßenrand. Der Mann im Wagen macht ihnen ein unmoralisches Angebot. Kurz darauf lässt er die angehenden Ingenieure in der Nähe des Zieleinlaufes wieder aussteigen. Neuer Schulrekord!

Rund 40 Jahre später an der Rüderstraße. Uwe Hachmann ist schon eine halbe Stunde vorher da. Er war seinerzeit der Sportlehrer der Ingenieure im Bereich Stahlbau. Von der Crosslaufschummelei erfuhr er 1995, als es schon mal ein Treffen zwischen ihm und seinen ehemaligen Schülern in Roßwein gegeben hatte. Er sieht es ihnen mit einem Lächeln nach, heutzutage sind derartige Anekdoten ein Evergreen bei jedem Treffen. „Es wird sich doch wohl niemand erlauben, hier heute zu spät zu kommen“, sagt er. In der Tat, die sechs Ehemaligen stehen wie eh und je pünktlich um 14 Uhr auf der Matte. Es vergeht kaum eine Minute, die Männer haben sich herzlich begrüßt, da wird in der Runde schon geflachst und gequasselt, ganz wie früher. Hachmann ließ ihnen für damalige Verhältnisse stets eine verhältnismäßig lange Leine – es hat sich ausgezahlt.

Bis heute scheint die Kommilitonen und ihren Sportlehrer ein enges Band zu verbinden. „Er war großzügig, aber auch sehr konsequent“, sagt Guntram Hergert, der der FDJ-Sekretär der Gruppe war, heute würde man Klassensprecher sagen. In Hachmanns Begrüßungsworten sei eine klare Ansage enthalten gewesen: „Wer die Leistungsanforderungen nicht erfüllt, von dem werden wir uns trennen.“ Zugleich zeichnete er sich jedoch durch eine besondere menschliche Nähe zu seinen Studenten aus – war stolz, sie zu begleiten. „Diese Schule hat hervorragende Menschen hervorgebracht, wenn auch einige etwas füllig geworden sind“, schmeißt Hachmann in die Runde. Die sechs Ingenieure werden ein Stück weit wieder zu jugendlichen Studenten in Hachmanns Anwesenheit – auch wenn sie mittlerweile gestandene Männer sind.

Detlef Neumann zum Beispiel kam nach dem Studium in seinen Ausbildungsbetrieb, das Metallleichtbaukombinat Berlin, zurück. Nur war er nun kein Lehrling mehr, sondern Konstrukteur. Ähnlich verhielt es sich bei Helmut Lucke, der Bauleiter beim Stahlbrückenbau Könnern wurde. Die beiden lebten im ersten Semester im Schlossinternat bei Gersdorf – zur Schule gingen sie jeden Tag zweieinhalb Kilometer Waldweg zu Fuß. Auf dem Weg in die Schule habe es einige Raststätten gegeben, an guten Tagen genoss man dort auch mal ein Bier. Der lange Weg zur Schule da war ein lohnendes Ziel.

Unter anderem bekannte Fachliteraten und Firmenikonen des Stahlbaus wurden mit der Ingenieursschule Roßwein verbunden. Und fähige Absolventen. Wer in Roßwein studierte, war ein gestählter Mann – die Exmatrikulationsquote der Schule erreichte zu Höchstzeiten 50 Prozent. Hachmann war während dieser Zeit immer nah dran an seinen Schülern, was nicht sich nicht zuletzt in Anekdoten von verschollenen Schlafanzügen und Bahnhofsübernachtungen nach dem Diskothekbesuch zeigt. Heute führt er sie durch Roßwein. Vorbei an der alten Mensa, heute ein verfallenes Gebäude, am Lindenhof und Club Roßwein. Sie schauen sich im Museum des Dampfmaschinenvereins Roßwein um, fachsimpeln miteinander. Und noch heute kann Hachmann auf seine Schützlinge zählen. Brückenbauer Helmut Lucke hat sich die Brücken der Stadt Roßwein angesehen und soll nun Hachmann bei dem Thema im Stadtrat als Fachmann zur Seite stehen.