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Als es in Hartha Granaten regnete

Arndt Schubert sah die Amerikaner in seine Heimatstadt einmarschieren. Er erzählt von seinen Erlebnissen.

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© Dietmar Thomas

Von Sylvia Mende

Die Zeit des Krieges und die danach bewegt den ehemaligen Harthaer Arndt Schubert noch heute sehr. Wenn er von den Ereignissen, die sich im April 1945 in seiner Heimatstadt ereigneten, erzählt, zittert die Stimme. Manchmal versagt sie sogar. „Ich habe Dinge erlebt, die heute nicht mehr vorstellbar sind. Noch heute wird mir deshalb ganz mulmig“, so der Musiklehrer im Ruhestand.

Als in Hartha die Amerikaner einmarschierten, war er 15 Jahre alt. Ein Teil seiner Klassenkameraden, die 1929 zur Welt kamen, wurden zur Wehrmacht eingezogen. Er musste zum Volkssturm. Dorthin ging er in Zivil. „Mein Vater hatte gesagt, du ziehst so ein braunes Hemd nicht an. Dass ich deswegen benachteiligt wurde, brauche ich nicht zu erzählen“, so der heute 85-Jährige. Seine Eltern bekamen noch am 8. April 1945 einen Brief, in denen sie aufgefordert wurden, dafür zu sorgen, dass ihr Sohn Arndt die Dienste regelmäßig besucht. Er war ihnen, so oft er konnte, fern geblieben. Sogar polizeiliche Maßnahmen wurden angedroht. „Ich wäre damals lieber anderen Hobbys nachgegangen. So hatte es mir zum Beispiel die Musik angetan“, erzählt Arndt Schubert.

Er wohnte mit seinen Eltern und dem zwei Jahre jüngeren Bruder im Haus an der Nordstraße 7. Vater Schubert war Schneidermeister .

Panzersperre errichtet

„Im Frühjahr 1945 ließen fanatische Nazis und Wehrmachtsoffiziere Hartha zur Verteidigung vorbereiten. Auf dem Schützenplatz, dem Wiesenplatz und im angrenzenden Stadtwäldchen wurden Schützengräben ausgehoben und Unterstände angelegt“, sagt Arndt Schubert. In der Leipziger Straße, am Abzweig Wiesenstraße, errichtete man eine Panzersperre. „Dafür wurden Bahnschwellen in zwei Reihen senkrecht in einen quer über die Straße gezogen Graben gerammt und mit Steinen stabilisiert. Nur in der Mitte blieb so viel Platz, dass ein Auto durchfahren konnte. Im Ernstfall wurde das Loch schnell geschlossen“, so Arndt Schubert.

Am 22. April 1945, die Rote Armee stand in Döbeln, die Brücke in Töpeln war gesprengt und die Amerikaner hatten Geringswalde besetzt, ertönte in Hartha das Signal für den Panzeralarm. Der Rentner erinnert sich: „Die Amerikaner kamen, um die Panzersperre zu umgehen, über den Ortsteil Flemmingen. An der Ecke Dresdener/Flemmingener Straße positionierten sie einen Panzer zur Rückendeckung. Das Gros der Amerikaner bezog vor dem Rathaus Stellung.“ Das deutsche Militär habe sich fluchtartig auf den Schützenplatz zurückgezogen. Die Verfolger erschienen kurz darauf am Forsthaus und ließen auch hier einen Panzer zur Sicherung in Richtung Markt zurück.

Amerikanische Panzer und Schützenpanzerwagen fuhren im Schritt die Nordstraße in Richtung Otto-Buchwitz-Straße. „Wir beobachteten das Geschehen von unseren Fenstern aus. Ich sah in die bleichen Gesichter der amerikanischen Soldaten. Ihnen war anzusehen, dass sie damit rechnen mussten, jeden Moment ihr Leben zu verlieren. Aber ich sah auch in die Mündungen der Maschinengewehre, die die auf den Fahrzeugen sitzenden Soldaten auf die Menschen, die wie wir aus dem Fenster schauten, gerichtet hatten. Kaum waren die Fahrzeuge vorbei, rief mein Vater, der Krieg ist aus. Wir freuten uns riesig. Doch mein Vater hatte sich geirrt“, sagt Arndt Schubert.

Auf dem Schützenplatz kam es zum Kampf. Die Turnhalle brannte. „Wir hörten die Schüsse“, so der Harthaer. Gegen 17 Uhr sei der Rentner Alfred Seifert als Ausrufer mit den Amerikanern durch die Straßen gelaufen und habe verkündet, dass vor dem Rathaus alle Waffen abzugeben sind und von 19 bis 7 Uhr Ausgangssperre sei. „Ich hatte ein Luftgewehr von meinem Bruder und wollte mich davon nicht trennen. Doch dann war die Angst größer und ich gab das Gewehr schweren Herzens ab. Vor dem Rathaus lag schon ein Berg Waffen“, so Arndt Schubert.

Am Abend zogen sich sich die Amerikaner nach Geringswalde zurück. Kurze Zeit später sahen wir die aus Richtung Steina kommenden Nazis. Am Morgen waren dann wieder die Amerikaner da. „Das ging so lange gut, bis am 24. April vormittags an der Ecke Leipziger/Weststraße ein amerikanischer Schützenpanzerwagen durch einen Fanatiker mit einer Panzerfaust abgeschossen wurde. Die überlebenden Amerikaner warfen Handgranaten auf den Attentäter, der später nicht einmal identifiziert werden konnte“, erzählt Arndt Schubert. Er habe sich den Schauplatz kurz nach dem Gefecht angesehen.

Heimatsstadt stark beschädigt

Am Nachmittag sei ein amerikanisches Aufklärungsflugzeug über der Stadt gekreist. Bald darauf begann ein zweistündiger Artilleriebeschuss. Die Geschütze waren an der Fröhne, an der Geringswalder Chaussee und die schwere Artillerie in Arras aufgefahren. Etwa 2 000 Granaten wurden auf die Stadt abgefeuert. „Viele Häuser wurden dadurch beschädigt, das Stadtcafé und das spätere Stoßdämpferwerk brannten aus, die Schule war stark in Mitleidenschaft gezogen. Überall lagen Dachziegel oder Schiefer auf der Straße“, erinnert sich der Rentner.

Am Tag nach dem Beschuss sei die Stadt mit Betttüchern weiß geflaggt gewesen – ein Symbol dafür das die Harthaer Bevölkerung sich nicht wehren wollte. Doch es gab immer noch fanatische Nazis.

„Ich sehe noch heute einen deutschen Offizier im Regenmantel, der in die Fenster schoss, in denen ein weißes Laken hing“, sagte der Harthaer. In den darauffolgenden Tagen sei es den Amerikanern gelungen, bis nach Waldheim vorzudringen und das Harthaer Gebiet von deutschem Militär zu säubern.