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Als die Russen aus Zeithain abrückten

Vor 25 Jahren räumte das Besenkommando auf. Damit ging in der Gohrischheide eine Ära zu Ende.

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© Sebastian Schultz

Von Christoph Scharf

Zeithain. Am Ende ging alles ganz schnell. „Von einem Tag auf den anderen war das Aufräumkommando verschwunden“, erinnert sich Rüdiger Schwark an den Oktobertag vor 25 Jahren. Da hatte der beim Bund angestellte Förster einige Monate gemeinsamer Arbeit mit den letzten Sowjetsoldaten in der Gohrischheide hinter sich. Das sogenannte Besenkommando hatte sich bei ihm im Sommer 1992 gemeldet, um die Räumung der Kaserne am Rand von Zeithain zu vollenden.

Aufgebaut: 1992 thront der T 34 in Zeithain noch auf einem Sockel, hinten weht die russische Fahne.
Aufgebaut: 1992 thront der T 34 in Zeithain noch auf einem Sockel, hinten weht die russische Fahne. © Rüdiger Schwark
Abgerissen: An Soldaten fehlt es bei der Demontage des Denkmals nicht – aber an schwerer Technik.
Abgerissen: An Soldaten fehlt es bei der Demontage des Denkmals nicht – aber an schwerer Technik. © Rüdiger Schwark
Zugewachsen: Heute erinnert am Eingang zum Alten Lager nichts mehr an den einstigen Panzer.
Zugewachsen: Heute erinnert am Eingang zum Alten Lager nichts mehr an den einstigen Panzer. © Sebastian Schultz

Dort hatten fast 50 Jahre lang Tausende Soldaten mit Hunderten Panzern für den Krieg geübt. Aus der Gohrischheide waren sowjetische Truppen 1968 nach Tschechien ausgerückt, um den Prager Frühling niederzuschlagen. Dort waren noch nach der Wende zwei Garde-Panzerregimenter mit modernster Technik stationiert. „Bis in den Frühling 1992 liefen die Übungen auf Hochtouren“, sagt Rüdiger Schwark.

Der Förster hatte im Sommer zuvor in Zeithain angefangen. Wöchentlich musste er sich beim Verbindungsoffizier die Schießzeiten holen, um zu wissen, wann und wo er seine Forstarbeiter in der Heide würde einsetzen können. Eigentlich hatte die sogenannte „Gruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland“ (GSSD) erst bis 1994 aus Zeithain verschwinden sollen. Dann aber sollte alles schneller gehen.

„Im April 1992 war hier plötzlich sehr viel Betrieb“, erinnert sich der Bundesförster, der seine Dienstwohnung am Rand des einstigen Kasernengeländes hat. Da fuhren von früh bis spät Lkws mit aufgesetzten Containern hin und her. „Diese Container waren hoch gehandelt: Denn von deren Volumen hing ab, wie viel Hausrat jeder Soldat mit nach Russland nehmen konnte“, sagt der Zeithainer. Ganze Wohnzimmereinrichtungen wurden in den Stahlkästen verstaut, um per Bahn nach Mukran und weiter mit der Fähre in den Osten verladen zu werden. „Selbst nachts gab es Lärm, weil Lkws auf Bahnhänger verladen wurden – fast in völliger Dunkelheit.“

Zur selben Zeit ging es auch einem Symbol an den Kragen, das jeder frühere DDR-Bürger kennt: den auf einem Sockel thronenden T 34, wie es ihn damals vor unzähligen Kasernen gab. Dort waren eines Apriltages etliche Soldaten zugange. Schwark, der zufällig vorbeigefahren war, blieb neugierig stehen. „Ich wollte wissen, wie die den Panzer von seinem 1,40 Meter hohen Sockel runter bekommen“, erinnert sich er 61-Jährige. Denn ein Kran fehlte den GSSD-Angehörigen. Sie behalfen sich, indem sie den rund 30 Tonnen schweren Koloss an einen Ural-Lkw mit Winde ankoppelten. Um die „Fallhöhe“ zu verringern, stellten sie einen flachen Lkw-Auflieger neben den Sockel. „Der bog sich aber schon beim ersten Versuch einen halben Meter nach unten“, sagt Rüdiger Schwark.

Also gab es doch noch einen gewaltigen Rumms, als der Stahlkoloss letztlich vom Sockel sprang. Dabei verdrehte sich aber ungewollt der Turm seitwärts – so dass der T 34 mit der nun schiefstehenden Kanone nicht mehr durch die Lücke in der Kasernenmauer passte. Diese hatte man zuvor hineingerissen, um den Panzer auf kurzem Weg aufs Areal zu ziehen. Der Versuch, die Kanone wieder geradezurichten, scheiterte zunächst: „Der alte Kurbelapparat im Panzer war wohl verklemmt.“ Also befestigten die Soldaten die Winde des Lkws am Kanonenrohr – und zerrten es mit einem Knirschen gewaltsam grade.

Das Relikt des Zweiten Weltkriegs ging schließlich per Zug auf Heimreise nach Russland, wo mittlerweile Boris Jelzin Präsident war. „Ich habe den T 34 noch einmal auf einem Güterzug im Kasernengelände gesehen, der ansonsten mit modernen T-80-Kampfpanzern beladen war“, sagt Rüdiger Schwark. Die Soldaten hingegen gingen zum Teil über den Flugplatz Großenhain auf die Heimreise ins Ungewisse: Viele wurden später entlassen, die lange in Riesa stationierte 9. Panzerdivision – zu der auch die Zeithainer Gardepanzerregimenter gehörten – wurde bald darauf in Smolensk aufgelöst.

Den letzten Akt in der Gohrischheide übernahm das sogenannte Besenkommando, das unter Anleitung von Rüdiger Schwark mit einem russischen Lkw zerschossene Fahrzeugwracks und Bunkerteile aus der Gohrischheide sammelte und Schützengräben zuschob. Dabei blieb man aber an der Oberfläche: Noch heute schlummern zahllose explosive Reste aus jahrzehntelanger Nutzung im Boden der Gohrischheide. Das Areal bleibt deshalb auf unabsehbare Zeit Sperrgebiet – auch wenn der Abzug der letzten russischen Soldaten jetzt 25 Jahre her ist.