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Als die Feuerwehr noch per Horn gerufen wurde

Freitals ehemaliger Feuerwehrchef erforscht die Geschichte des Löschwesens – und stößt dabei auch auf Kuriositäten.

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© Archiv: Hans-Gunter Müller

Von Tobias Winzer

Freital. Nur gut, dass es die Altersabteilung der Feuerwehr gibt – sonst käme Hans-Gunter Müller bei seinen Recherchen manchmal gar nicht weiter. Der ehemalige Chef der Freitaler Feuerwehr schlägt alte Akten, die er sich aus dem Stadtarchiv besorgt hat, auf. „Das ist ja noch einigermaßen gut zu lesen“, sagt der 66-Jährige und blättert ein paar Seiten vor. „Aber hier muss ich passen.“ Der Hainsberger kopiert die Seiten dann und legt sie den Kameraden, die die 80 Lebensjahre überschritten haben, zum Übersetzen vor. Altdeutsche Schrift und Sütterlin in der Schule gelernt zu haben, kann manchmal von Vorteil sein – vor allem, wenn man die Geschichte der Freitaler Feuerwehr erforschen will.

Seine Rechercheergebnisse hält Hans-Gunter Müller zunächst schriftlich fest und verknüpft die Ereignisse später zu einer Chronik.
Seine Rechercheergebnisse hält Hans-Gunter Müller zunächst schriftlich fest und verknüpft die Ereignisse später zu einer Chronik. © Andreas Weihs
In fünf Jahren, so hofft er, hat er die gesamte Geschichte der Freitaler Feuerwehr aufgearbeitet.
In fünf Jahren, so hofft er, hat er die gesamte Geschichte der Freitaler Feuerwehr aufgearbeitet. © Andreas Weihs

Die Idee für das Langzeit-Projekt kam Müller schon vor einigen Jahren. Als er 2003, damals noch als Wehrleiter, eine Festrede zum 125-jährigen Bestehen der Döhlener Feuerwehr vorbereitete, fiel ihm auf, dass die Historie des Freitaler Löschwesens nur sehr lückenhaft erforscht ist. „Es war schwierig, etwas zu finden“, sagt er. Müller nahm sich vor, irgendwann, wenn mehr Zeit ist, eine Chronik zu verfassen. Seitdem er im Ruhestand ist, hat er die Muße dazu. Müller will zeigen, wie sich etwas heute Selbstverständliches entwickelt hat. Im vergangenen Jahr fing er an, Akten und andere Dokumente, die Aufschluss über die Feuerwehr-Historie geben, zusammenzutragen. „Ich war überrascht, wie viel es noch gibt“, sagt er. Die Ratssitzungen der damals noch eigenständigen Gemeinden wurden penibel protokolliert. Es gibt ein Blättchen, das die ersten Regeln der Feuerwehr beschreibt und sich kurioserweise „Grundgesetz“ nennt. Und es gibt natürlich die Erzählungen der alten Kameraden. Müller hat es sich zur Aufgabe gemacht, das alles zusammenzutragen.

Der Rentner geht dabei systematisch vor und erforscht Ortsteilfeuerwehr für Ortsteilfeuerwehr. Als die Coßmannsdorfer Kameraden neulich ihr 125-jähriges Bestehen feierten, konnte Müller seine Erkenntnisse schon präsentieren. Gerade ist er mit der Geschichte der Potschappler Feuerwehr fertig geworden – und kann nun vom schwierigen Start dort berichten.

„Es gab damals mörderische Streitigkeiten“, sagt Müller. Als 1878 die Pläne, eine Feuerwehr zu gründen, öffentlich wurden, liefen die Gewerbetreibenden Sturm. Es wurde sogar ein Komitee, also eine Art Bürgerinitiative, gegen das Vorhaben gegründet und dem Gemeinderat eine Liste mit hundert Unterschriften überreicht. Der Grund des Protests: Die Gewerbetreibenden fürchteten, dass die Kosten der Wehr auf sie umgelegt werden und außerdem fand man, dass die Schützengesellschaft, die bislang für die Feuerbekämpfung verantwortlich war, einen guten Job machte. Die Planungen für eine Feuerwehr in Potschappel wurden aber trotzdem weiter vorangetrieben. Einige der Protestler traten sogar der Truppe bei. 1880, nach zwei Jahren Diskussion, wurde die Feuerwehr Potschappel schließlich gegründet. 1921 zur Stadtgründung Freitals schlossen sich die Potschappler dann mit den Döhlenern und Deubenern zu einer Wache zusammen. Staunen muss Müller immer wieder, mit welchen teils primitiven Mitteln die Feuerwehrleute damals arbeiteten. „Die Technik ist mit heute nicht zu vergleichen“, sagt er. Bevor es Spritzen mit elektrischen Pumpen gab, musste das Wasser per Handpumpe in den Schlauch bewegt werden. Und weil es auch kein großes Hydrantensystem gab, musste das Wasser zum Teil per Eimerkette zum Spritzenkasten transportiert werden.

In Coßmannsdorf stand man nach dem Zweiten Weltkrieg sogar für ein paar Jahre ohne Feuerwehrauto da. Von den Wirren des Krieges war nur ein Anhänger mit allen nötigen Gerätschaften übrig geblieben. Also mussten die Kameraden hoffen, dass im Katastrophenfall auf der Hainsberger Straße ein Auto vorbeikam, dies gestoppt werden konnte und den Hänger mitnahm. Wenn das nicht klappte, mussten die Feuerwehrleute den Anhänger manchmal kilometerweit ziehen. „Das war nicht alles so bequem wie heute“, sagt Müller. „Es ist trotzdem erstaunlich, wie schnell die Kameraden manchmal am Brandort waren.“

Die Probleme heute, dass die Freiwilligen Feuerwehrmänner bei Einsätzen tagsüber wegen des Berufs nicht zur Verfügung stehen, gab es damals nicht. Die Kameraden arbeiteten alle mehr oder weniger im Umkreis der Wache – mussten sie aber auch, denn sonst hätten sie das Horn-Signal der Feuermeldestelle nicht gehört. Wer um 1900 ein Feuer bemerkte, rannte zur Meldestelle, in der ein Hornist wachte. Mit einem lauten Tuten rief dieser die Feuerwehrmänner zusammen. Später wurde in die Häuser der Kameraden eine Glockenschleife per Kabel verlegt. Ähnlich wie bei einem Morse-Signal wurde die Feuerwehr mit dieser mechanischen Lösung zusammengerufen. Heute trägt jeder Feuerwehrmann und jede Feuerwehrfrau einen sogenannten Pieper bei sich, mit dem sie alarmiert werden und die Eckdaten für die Art des Einsatzes bekommen.

Dass die Kameraden heute weitaus seltener ausrücken müssen als früher, auch das ist eine Erkenntnis der Recherchen. „Die Brandgefahr war früher viel größer“, sagt Müller. „Allein schon durch das offene Licht, das vielerorts noch genutzt wurde.“ 1852 brennt zum Beispiel Somsdorf bei einem Großfeuer fast nieder. 1897 brennt es heftig im Freitaler Glaswerk. „Einige Brände waren mir auch noch nicht bekannt“, sagt Müller. Sein Ziel ist es, die Geschichte der Freitaler Feuerwehr bis zum hundertsten Stadtjubiläum 2021 zusammengetragen zu haben. Dann soll eine kleine Broschüre entstehen. Damit diese auch bebildert werden kann, ist Müller vor allem noch auf der Suche nach Bildern aus der Anfangszeit.

Wer altes Bildmaterial hat oder sonst etwas zur Freitaler Feuerwehr-Geschichte beisteuern will, kann sich bei Hans-Gunter Müller melden – entweder per E-Mail unter [email protected] oder per Telefon  0351 6445411.