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Als der Wilde Kopf bestiegen wurde

In den Affensteinen im Elbsandsteingebirge bezwang ein kühner Kletterer vor 100 Jahren die allererste Route im achten Schwierigkeitsgrad – weltweit.

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© Mike Jäger

Von Mike Jäger

Sächsische Schweiz. Es war am 9. Mai 1918, vor genau 100 Jahren, als sich drei Männer in den Affensteinen unter dem Gipfel Wilder Kopf für eine Besteigung über einen neuen Aufstieg bereitmachten: Emanuel Strubich, Arno Sieber und Kurt Eisold. Ahnten die Kletterer, was sie erwartet? Dass der geplante Kletterweg die Tür aufstoßen würde in ein neues Bergsport-Zeitalter?

Zum Jubiläum der Erstbegehung am Mittwoch kletterten vier Seilschaften die Strubichkante zum Gipfel des Wilden Kopfes.
Zum Jubiläum der Erstbegehung am Mittwoch kletterten vier Seilschaften die Strubichkante zum Gipfel des Wilden Kopfes. © Mike Jäger

Der damals 31-jährige Strubich gehörte zu den besten Kletterern seiner Zeit und war geachtet für seinen äußerst eleganten Kletterstil. Viele Strubich-Routen gehören zu den schönsten und anspruchsvollsten im Elbsandstein. Die Durchsteigung der Westkante am Wilden Kopf sollte Strubichs größte Tat werden – die allererste Route im Schwierigkeitsgrat VIIIa weltweit.

Dabei war im Frühjahr 1918 der Erste Weltkrieg noch voll im Gange, Millionen Menschen hatten das Leben verloren. Emanuel Strubich, geboren 1887 im böhmischen Teplitz, war vor dem Krieg nach Dresden übergesiedelt. Dort war er aber wahrscheinlich nie gemeldet und entkam so der Einberufung. Strubich lebte fast mittellos, schlief oft gleich unter den Felsen, denn eigentlich wollte der Bergvagabund nur klettern. 85 Erstbegehungen gelangten ihm im Elbsandsteingebirge.

Felszacke als Sicherung

Der Westkantenaufstieg am 50 Meter hohen Wilden Kopf startet mit einem Riss. Das war gewohntes Terrain zu jener Zeit: sicherungsfrei, anstrengend – für manchen heutigen Kletterer aber schon die erste Schlüsselstelle. Auf einem großen Band angekommen, beginnen die eigentlichen Hauptschwierigkeiten. Das ist Gelände, das eigentlich erst 30 Jahre später Kletterstandart werden sollte, aber nicht 1918.

In der glatt erscheinenden, grauen Felswand verspricht erst 15 Meter über dem Band ein Felszacken eine vage Sicherungsmöglichkeit, zumindest mit dem damaligen Klettermaterial, nur ein Hanfseil um den Körper gebunden. Wagemutig stieg Strubich empor, gesichert und unterstützt von seinen Bergkameraden. Später wurde bei der Zacke ein Sicherungsring installiert, ein weiterer zusätzlich an der zum Gipfel führenden Reibungskante.

Wer sich heute diese Situation vergegenwärtigt, kann erahnen, welchen Meilenstein in der Bergsteiger-Historie die Durchsteigung der Westkante am Wilden Kopf darstellt. Zum Jubiläum am Mittwoch dieser Woche kletterten bis zum nachmittags einsetzenden Regenschauer vier Seilschaften über die Strubichkante zum Gipfel des Wilden Kopfes, um der Erstbegehung zu gedenken und die Leistung von Emanuel Strubich zu würdigen.