Merken

Als der Terror nachts in Mittweida umging

Mitglieder der nun entdeckten „Revolution Chemnitz“ waren einst bereits beim „Sturm 34“ aktiv. Der wäre ohne Hilfe eines Neonazis aus Schwaben nie auf die Beine gekommen.

Teilen
Folgen
© dpa

Von Thomas Schade

Der junge Mann nannte sich „Stürmer“ und war als Schwabe in Mittweida gestrandet. Er langweilte sich in der sächsischen Fremde, bis er Anfang 2006 Tom W. traf, einen Gleichgesinnten. Der wollte eine Rechtsrockband gründen und zeigte dem Schwaben die alte Bauhofhalle an der Chemnitzer Straße. Dort standen Instrumente, erzählte „Stürmer“ später der Polizei. Tom W. stand am Bass, „Stürmer“ sang.

Die heimattreuen Musikanten wollten mehr als nur Nazilieder grölen. Beim wöchentlichen Kaffee habe ihm Tom W. offeriert, dass seine Clique eine Struktur bekommen sollte. Nur wusste der damals
17-jährige W. nicht, wie er das anstellen sollte. „Stürmer“, zwei Jahre älter, hatte mal eine Neonazikameradschaft geführt.

So kam es, dass der Schwabe am Abend des 5. März 2006 im Bauhof auf einen Biertisch stieg, den 20 Anwesenden etwas über Kameradschaft erzählte und den „Sturm 34“ ausrief. Im Internet hatte er zuvor von einem SA-Sturm 34 des Chemnitzer Landes gelesen.

Alles sei spontan gewesen, erzählte er später der Polizei. Nach seiner Rede hätten alle „Sieg heil“ gebrüllt und seien vom Alkohol ganz euphorisch gewesen. Außerdem wurden noch ein paar Modalitäten besprochen: Hallenmiete, Bierverkauf, Saalschutz; eine Mitgliederliste habe es nicht gegeben, aus Furcht, sie könnte der Polizei in die Hände fallen. Die Furcht war begründet, denn schon in der Stunde null von „Sturm 34“ saß auch ein Informant der Polizei in der alten Bauhofhalle.

Zu dieser Zeit fuhren die Neonazis von „Sturm 34“ schon ihre Skinhead-Kontroll-runden. Sie wollten sehen, was die Polizei machte, ob die Antifa etwas plante oder einfach nur, um Streit vom Zaun zu brechen. Zur „nationalbefreiten Zone“ sollte Mittweida werden, Angst sollte verbreitet werden. Gewalt wurde zum Mittel, um Stärke zu zeigen.

Im Mai 2006 habe das Gewaltpotenzial der Gruppe so sehr zugenommen, erzählt „Stürmer“ später den Beamten, dass die Kameraden nur noch rausgefahren seien, um Straftaten zu begehen. Das war nichts für „Stürmer“, er war vorbestraft und wollte nicht ins Gefängnis. Deshalb gab es Streit und der Schwabe machte sich vom Acker. Zu der Zeit war die Unsicherheit nachts groß in den Straßen von Mittweida und Umgebung. Mehr als 87 Straftaten mit rechtsextremem Hintergrund registrierte die Polizei 2006 in der Region: gefährliche Körperverletzungen, Bedrohungen, Brandstiftung, Landfriedensbruch, Sachbeschädigung, Hausfriedensbruch, Waffendelikte und immer wieder Nazischmierereien.

Die Polizei ermittelte mithilfe ihres Informanten fast 60 Tatverdächtige, die meisten im Dunstkreis von „Sturm 34“. So marschierten 15 bis 20 Neonazis Anfang Juni 2006 in Reih und Glied auf dem Dorffest in Breitenborn bei Rochlitz im Festzelt auf, um ein paar Punker aufzumischen. Bald prügelten die Neonazis wahllos auf andere Gäste ein. Mehrere Unbeteiligte wurden verletzt. So schnell wie die Glatzen da gewesen seien, so schnell seien sie wieder weg gewesen, erklärte später ein Zeuge.

Weitere Überfälle verübte der „Sturm 34“ an der Mittweidaer Torfgrube und an einer Tankstelle in Stollberg. Die Opfer erlitten Platzwunden und andere Verletzungen. Die Polizei erfuhr von ihrem Informanten, was der „Sturm 34“ trieb. Der Verfassungsschutz aber wusste von der inzwischen gefährlichen Gruppe zunächst nichts. Man habe „erst geraume Zeit nach der Gründung der Kameradschaft“ von ihr erfahren, lautete die Auskunft an die SZ im Jahr 2008.

Bereits zwei Jahre zuvor hatte die Chemnitzer Polizei erstmals den Verdacht geäußert, dass sich in Mittweida eine kriminelle Vereinigung gebildet haben könnte. Daraufhin leitete die Staatsschutzabteilung der Dresdner Staatsanwaltschaft ein Strukturverfahren ein. Im April 2007 verbot Sachsens Innenminister den „Sturm 34“ und verfügte die Auflösung. Ein halbes Jahr später wurden die wichtigsten Mitglieder der Neonazigruppe angeklagt.

Das Gericht tat sich 2008 mit der Anklage schwer. Es verurteilte zunächst nur drei Neonazis wegen gefährlicher Körperverletzung. Daraufhin zog die Staatsanwaltschaft mit einer Revision vor den Bundesgerichtshof. Der stellte im November 2009 fest, dass „Sturm 34“ sehr wohl auch eine kriminelle Vereinigung gewesen sei.

Erst daraufhin verurteilte das Dresdner Landgericht 2013 fünf Rädelsführer wegen schwerer Körperverletzung, Sachbeschädigung und Bildung einer kriminellen Vereinigung: zu Bewährungs- und Geldstrafen.