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Als Autos in Görlitz zur eisernen Jungfrau fuhren

or 100 Jahren wurde ein Einheitsbau zur Benzinabgabe erfunden. Seit 90 Jahren hat auch Görlitz Tankstellen.

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© Sammlung Schermann

Von Ralph Schermann

Zittau. Tankstelle? Kein Problem. Deutschlandweit stehen 14 272 zur Verfügung, die meisten davon betreiben Aral (16,7 Prozent), Shell (14,3) und Total (7,4 ) – alle drei Spitzenreiter sind auch in Görlitz zu finden, auch wenn der prozentuale Tankstellenanteil nichts über die Verkaufsmenge aussagt. Früher, also ganz früher, war die ohnehin verschwindend gering. Denn das erste Fahrbenzin verkauften – Apotheken.

Ähnliche Säulen gab es auch an umstrittenen Stellen, in Görlitz zum Beispiel vor der Jakobstraße 9. Fußgänger kritisierten schon 1957 solche Standorte als „ein hässliches Hindernis“.
Ähnliche Säulen gab es auch an umstrittenen Stellen, in Görlitz zum Beispiel vor der Jakobstraße 9. Fußgänger kritisierten schon 1957 solche Standorte als „ein hässliches Hindernis“. © dpa

Als erste „Tankstelle“ der Welt gilt die Stadt-Apotheke in Wiesloch, wo Bertha Benz bei ihrer Automobil-Überlandfahrt 1888 von Mannheim nach Pforzheim unterwegs das Leichtbenzin Ligroin einkaufte. Ligroin diente damals in erster Linie der Reinigung von Kleidung als Waschbenzin.

Erst um 1900 entstanden Zapfgeräte, die aussahen wie Luftpumpen. 1904 folgten mobile Versorgungsstationen, genannt „Benzinkabinette“. Sie enthielten etwa den Inhalt von vier Fässern. Stationäre Großbehälter hießen „Tankstation“, in Amerika wegen ihrer Form „Crackerbox“ (Keksdose), und das sicher auch, weil die Amerikaner als Erste weltweit neben Benzin auch schon Süßigkeiten anboten. 1909 wurde das erste Tankstellenverzeichnis Deutschlands gedruckt. Es nannte 2 500 Drogerien, Kolonialwarenhändler, Fahrradhandlungen, Hotels und Gaststätten. Benzin wurde noch in beliebige Behälter abgefüllt. Sicherheitsvorschriften? Fehlanzeige.

Mit Zunahme des motorisierten Verkehrs entstanden die ersten Zapfstellen meist zusammen mit Autowerkstätten. Dann kamen, in Görlitz zum Beispiel auf der Jakobstraße, Handpumpen-Säulen mit unter dem Bürgersteig eingelassenen Benzintanks auf, vom Volksmund „eiserne Jungfrau“ genannt. Die Standard Oil of Indiana stellte 1917 den Einheitstyp der Tankstelle vor, der mit Abwandlungen noch immer besteht: Die Zapfsäulen und die tankenden Kunden werden von einem frei stehenden Dach gegen Regen geschützt, unter das mit dem Kraftfahrzeug gefahren werden kann.

Die erste solche Tankstelle im Deutschen Reich wurde 1922 in Hannover eröffnet. Der Begriff „Tankstelle“ – noch heute die übliche Bezeichnung – wurde vor 90 Jahren amtlich eingeführt. Auch in Görlitz hießen ab 1927 alle Zapfstellen so. Der Ufa-Film „Die drei von der Tankstelle“ mit Heinz Rühmann machte den neuen Namen sofort populär, die Nazis folgten 1936 mit dem Begriff der „Reichsautobahn-Tankstellen“. Es war die Zeit, als es in der Stadt Görlitz 1 840 Privat-Pkw und dazu 440 Lkw gab. Für diese standen in der Neißestadt 1935 sieben Leuna- und zwölf Shell-Tankstellen bereit. Auch die Tanksäulen der Deutsch Gasolin AG oder der Benzol Vereinigung waren den Chauffeuren bekannt. Schnell erkannten alle auch die Nützlichkeit weiteren Verkaufs: Zündkerzen, Autowäsche. Der Liter Normalbenzin (verbleit) kostete damals 36 Reichspfennig. Überlebt hat von den Tankstellen der ersten Generation nur das Milbradt-Häuschen am Kaisertrutz gegenüber dem Reichenbacher Turm, wo „Tankwart Emil“ bis in die 1960er Jahre Benzin zapfte.

An den Tankstellen Postplatz und Wilhelmsplatz waren am 6. Juni 1939 die ersten VW-Käfer ausgestellt. Da griffen auch viele Görlitzer zu einem Volkswagen-Sparvertrag. Keiner von diesen Verträgen sollte des Zweiten Weltkriegs wegen jemals erfüllt werden. Und schon ab dem 4. September 1939 wurde Benzin rationiert. Lkw und Busse wurden auf Treibgas umgestellt. Die Buslinie vom Flugplatz nach Moys wurde kurz nach ihrer Einführung wieder gestrichen. Eine geheime Tankstelle gab es für örtliche Parteigrößen und den OB, die kurz vor Kriegsende mit Fahrzeugen der Spedition Krause die Flucht aus Görlitz antraten. 1945 brachen die Benzinlieferungen fast vollständig zusammen. Bilder von Fahrzeugen mit dem sogenannten Holzvergaser kennt jeder, zumindest aus den Filmen jener Zeit. Die meisten Kraftfahrzeuge hatte ohnehin das Militär beschlagnahmt.

Am 1. Mai 1946 reihte sich ein von der Molkerei Weisbach (Landeskronstraße) von der Roten Armee konfiszierter Lkw als Transportmittel für wieder in Berzdorf geförderte Braunkohle in den Demonstrationszug ein. 1949 lenkte die Deutsche Naphtha die noch kläglich fließenden Treibstoffe, bis Raffinerien wieder arbeiteten und Minol das Sagen hatte. Der Beruf des Tankwarts wurde 1952 in beiden deutschen Staaten zum Lehrberuf. Damit griffen die Berufslenker eine Idee von 1942 wieder auf, die wegen des Krieges nicht mehr umgesetzt worden war. Bis dahin galt die Tätigkeit eines Tankwarts als „Anlernberuf“. Die wenigen DDR-Tankstellen hatten aber auch dann noch Schlangen, als die Tankwarte nur noch kassierten und die Kunden, so wie heute üblich, selbst tankten. Nachttankboxen wurden eingeführt, und auf der Rauschwalder Straße nannte sich die Berechtigung zur Annahme von Westgeld schlicht „Intertank“. Um 22 Uhr war dennoch auch dort Nachtruhe. Damals kein Problem – es kam ja nach Mitternacht niemand, um schnell noch eine Tüte Kartoffelchips zu kaufen. Und ein DDR-Kraftfahrer hatte ohnehin zur Sicherheit immer einen Reservekanister dabei …