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Alles stand still

Von den Brandanschlägen auf die Bahn waren in Dresden Tausende betroffen. Bei manchen schwieg sogar das Telefon.

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Von Christoph Springer

Großraumstörung steht auf der elektronischen Anzeigetafel. Und: „Der Zugverkehr wurde eingestellt.“ Das ist Horror für die meisten Fahrgäste, gerade an einem heißen Montagvormittag. So endeten Reisen abrupt in Dresden oder konnten erst gar nicht starten. Denn in der Landeshauptstadt ging nichts mehr. Die Stellwerke, die den Zugverkehr im Hauptbahnhof und in Dresden-Neustadt steuern, waren ausgefallen. Die Folge: Chaos, viele Fragen an die Bahn-Mitarbeiter und Fahrgäste, die nach Lösungen suchten.

Nichts ging mehr im Zugverkehr

Die Bahnsteige in Dresden-Neustadt sind leer - kein Zug fährt mehr am Montagmorgen.
Die Bahnsteige in Dresden-Neustadt sind leer - kein Zug fährt mehr am Montagmorgen.
Auch die Anzeigetafeln sind komplett ausgefallen.
Auch die Anzeigetafeln sind komplett ausgefallen.
Die Pendler, die wie hier in Radebeul-Kötzschenbroda vergeblich auf die S-Bahn warten, sehen ebenfalls nur leere Anzeigetafeln.
Die Pendler, die wie hier in Radebeul-Kötzschenbroda vergeblich auf die S-Bahn warten, sehen ebenfalls nur leere Anzeigetafeln.
Die Reisenden suchen Hilfe und Auskunft im Reisezentrum Dresden-Neustadt.
Die Reisenden suchen Hilfe und Auskunft im Reisezentrum Dresden-Neustadt.
Vor dem Infostand in der Bahnhofshalle hat sich eine lange Schlange gebildet.
Vor dem Infostand in der Bahnhofshalle hat sich eine lange Schlange gebildet.
Gleiches Bild am Dresdner Hauptbahnhof: Überall wartende Menschen, die an Infoständen anstehen.
Gleiches Bild am Dresdner Hauptbahnhof: Überall wartende Menschen, die an Infoständen anstehen.
Auch an der Reiseinformation stehen die Menschen an.
Auch an der Reiseinformation stehen die Menschen an.
Johanna Cindy (l., 6) und Maya (m., 5) zeigen mit den Fingernzum Glück  ihr Alter und nicht die Stunden, die sie schon warten auf den Zug zur Uroma nach Wittenberg.
Johanna Cindy (l., 6) und Maya (m., 5) zeigen mit den Fingernzum Glück ihr Alter und nicht die Stunden, die sie schon warten auf den Zug zur Uroma nach Wittenberg.
Blick in die Halle des Dresdner Hauptbahnhofs.
Blick in die Halle des Dresdner Hauptbahnhofs.
Auf der großen Anzeigetafel im Hauptbahnhof Dresden steht: "Aufgrund einer Großraumstörung ist zur Zeit der Zugverkehr eingestellt."
Auf der großen Anzeigetafel im Hauptbahnhof Dresden steht: "Aufgrund einer Großraumstörung ist zur Zeit der Zugverkehr eingestellt."
Viele Schulklassen nutzten die letzte Woche vor den Ferien für Ausflüge oder Klassenfahrten und übten sich in Geduld beim Thema Bahnfahren - wie die 8. Klasse der Oberschule aus Bad Gottleuba.  Statt mit dem Zug über Ruhland geht es über abenteuerliche Wege via DD-Klotzsche und Görlitz gen Weißwasser.
Viele Schulklassen nutzten die letzte Woche vor den Ferien für Ausflüge oder Klassenfahrten und übten sich in Geduld beim Thema Bahnfahren - wie die 8. Klasse der Oberschule aus Bad Gottleuba. Statt mit dem Zug über Ruhland geht es über abenteuerliche Wege via DD-Klotzsche und Görlitz gen Weißwasser.
Richtig heftig erwischte es das Gymnasium Klotzsche: die 7. Jahrgangsstufe wollte nach Leipzig, die 8. nach Jena und die 11 nach Weimar und Berlin mit Weiterflug nach Paris - doch bis zum Mittag saßen alle auf gepackten Koffern in der Bahnhofshalle. Mathe-Lehrerin Nadine Lehnert (l.) hatte tshirt-technisch bereits auf die passende Formel gebracht: Reisegruppe Chaos.
Richtig heftig erwischte es das Gymnasium Klotzsche: die 7. Jahrgangsstufe wollte nach Leipzig, die 8. nach Jena und die 11 nach Weimar und Berlin mit Weiterflug nach Paris - doch bis zum Mittag saßen alle auf gepackten Koffern in der Bahnhofshalle. Mathe-Lehrerin Nadine Lehnert (l.) hatte tshirt-technisch bereits auf die passende Formel gebracht: Reisegruppe Chaos.
Die Bahn mobilisierte alle Kräfte für den Ausnahmezustand, hochhackige Notfallmanager wie sneaker-tragende Azubis, um Reisende zu informieren.
Die Bahn mobilisierte alle Kräfte für den Ausnahmezustand, hochhackige Notfallmanager wie sneaker-tragende Azubis, um Reisende zu informieren.
Kampf am Fahrkahrten-Automat - bis die Züge wieder fahren. gibt es vielleicht auch ein Ticket.
Kampf am Fahrkahrten-Automat - bis die Züge wieder fahren. gibt es vielleicht auch ein Ticket.
Eine Reisegruppe aus der Ukraine möchte mit der S-Bahn nur ins benachbarte Meißen. Das Gleis passt, bloß pendelte der Zug wieder zurück.
Eine Reisegruppe aus der Ukraine möchte mit der S-Bahn nur ins benachbarte Meißen. Das Gleis passt, bloß pendelte der Zug wieder zurück.
Frohe Botschaft vom Notfall-Manager für wenige Reisende: Es git noch zwei Plätze im taxi nach Berlin.
Frohe Botschaft vom Notfall-Manager für wenige Reisende: Es git noch zwei Plätze im taxi nach Berlin.

So reagierten Bahnfahrgäste

Julius Handstein, (20), Dresden: Ich muss zum Studium nach Würzburg fahren. Mein Zug geht etwa 9.30 Uhr. Bei Twitter habe ich am Morgen aber schon gelesen, dass es Probleme gibt. Aber ich habe es trotzdem versucht. Mein Zug fährt nicht. Jetzt probiere ich, meinen Tag zu koordinieren. Ich gehe vielleicht erst mal Kaffee trinken, vielleicht fahre ich danach wieder nach Hause.
Julius Handstein, (20), Dresden: Ich muss zum Studium nach Würzburg fahren. Mein Zug geht etwa 9.30 Uhr. Bei Twitter habe ich am Morgen aber schon gelesen, dass es Probleme gibt. Aber ich habe es trotzdem versucht. Mein Zug fährt nicht. Jetzt probiere ich, meinen Tag zu koordinieren. Ich gehe vielleicht erst mal Kaffee trinken, vielleicht fahre ich danach wieder nach Hause.
Denise Brömmer, (47), Bautzen: Ich muss nach Leipzig zu einer Weiterbildung. Ich bin mit dem Zug um 7.16 Uhr von Bautzen nach Dresden gefahren. In Klotzsche war Schluss, da stand Schienenersatzverkehr. Damit bin ich zum Neustädter Bahnhof gefahren, aber hier komme ich jetzt nicht weiter. Ich warte mal und sehe dann, was wird. Vielleicht fahre ich auch zurück nach Hause.
Denise Brömmer, (47), Bautzen: Ich muss nach Leipzig zu einer Weiterbildung. Ich bin mit dem Zug um 7.16 Uhr von Bautzen nach Dresden gefahren. In Klotzsche war Schluss, da stand Schienenersatzverkehr. Damit bin ich zum Neustädter Bahnhof gefahren, aber hier komme ich jetzt nicht weiter. Ich warte mal und sehe dann, was wird. Vielleicht fahre ich auch zurück nach Hause.
Regina Behm, Dresden: Ich will mit meiner Tochter zur Familie am Bodensee fahren. Um 9.20 Uhr sollte es losgehen. Wir warten jetzt und sehen, was passert. Vielleicht funktioniert es bis 14 Uhr wieder. Wenn nicht, fahren wir wieder nach Hause und probieren es morgen wieder. Das ist eben das Problem bei solchen Angriffen: Wenn alles digital und zentral gesteuert wird, fällt viel aus.
Regina Behm, Dresden: Ich will mit meiner Tochter zur Familie am Bodensee fahren. Um 9.20 Uhr sollte es losgehen. Wir warten jetzt und sehen, was passert. Vielleicht funktioniert es bis 14 Uhr wieder. Wenn nicht, fahren wir wieder nach Hause und probieren es morgen wieder. Das ist eben das Problem bei solchen Angriffen: Wenn alles digital und zentral gesteuert wird, fällt viel aus.
Tino Peter, (38), Weißenberg: Ich muss nach Leipzig. Dort wollte mich ein Kollege mit dem Auto abholen und dann wären wir zusammen weiter nach Frankfurt am Main auf Montage gefahren. Jetzt kommt er her und holt mich hier ab. Ich bin heute mit dem Zug aus Bautzen gekommen, der fuhr noch. Was hier passiert, ist eine totale Sauerei. Ich bezahle dafür und nichts geht vorwärts.
Tino Peter, (38), Weißenberg: Ich muss nach Leipzig. Dort wollte mich ein Kollege mit dem Auto abholen und dann wären wir zusammen weiter nach Frankfurt am Main auf Montage gefahren. Jetzt kommt er her und holt mich hier ab. Ich bin heute mit dem Zug aus Bautzen gekommen, der fuhr noch. Was hier passiert, ist eine totale Sauerei. Ich bezahle dafür und nichts geht vorwärts.
Nadine Lehnert, Dresden: Wir sind vom Gymnasium Klotzsche gleich mit mehreren Schulklassen angereist: Die 7. Klassen wollen nach Leipzig, die 8. nach Jena und die 11. Jahrgangsstufe nach Weimar und Berlin und von dort mit dem Flieger weiter nach Paris – die Schüler sind entspannt, spielen Karten, shoppen in der City, und wir Kollegen hoffen, dass alle rechtzeitig ankommen.
Nadine Lehnert, Dresden: Wir sind vom Gymnasium Klotzsche gleich mit mehreren Schulklassen angereist: Die 7. Klassen wollen nach Leipzig, die 8. nach Jena und die 11. Jahrgangsstufe nach Weimar und Berlin und von dort mit dem Flieger weiter nach Paris – die Schüler sind entspannt, spielen Karten, shoppen in der City, und wir Kollegen hoffen, dass alle rechtzeitig ankommen.

Die Woche fing nicht gut an für die Bahn. Und Lisbeth Vogel aus Hoyerswerda war eine der Leidtragenden. Die 76-Jährige aus Hoyerswerda wollte am Montag gemeinsam mit ihrem Mann zu Freunden nach Husum fahren. Das Paar strandete in Dresden. „Wir sind 7.01 Uhr in Hoyerswerda losgefahren“, berichtete Lisbeth Vogel. Mit ihr im Zug saßen die Husumer Freunde, die zuvor zu einer Geburtstagsfeier nach Dresden gekommen waren. Die erste Etappe der Reise war die Fahrt bis Dresden-Neustadt. Doch in der Landeshauptstadt war schon Endstation.

Ursache für das Chaos waren mehrere Brandanschläge auf Bahnanlagen im Großraum Leipzig. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gab es Probleme im Zugverkehr, wie ein Sprecher der Bundespolizei mitteilte. Das Operative Abwehrzentrum (OAZ) der sächsischen Polizei übernahm die Ermittlungen. Es besteht der Verdacht, dass es sich um extremistische Straftaten handelt.

Nach Angaben der Bundespolizei wurden seit 2.40 Uhr Brandanschläge auf Kabelschächte und elektronische Stellwerke der Bahn im Raum Leipzig verübt. „In einigen Fällen konnten Brandvorrichtungen unschädlich gemacht werden, bevor sie Schaden anrichteten“, sagte ein Sprecher der Bundespolizei. Auch in Hamburg, Berlin und Dortmund gab es am Montagmorgen Brände an Bahnstrecken. Im Tagesverlauf stellte sich heraus, dass es sich um insgesamt 13 Angriffe handelte.

Nach Angaben der Bahn mussten Reisende und Pendler unter anderem auf den Strecken Dresden-Leipzig und im Großraum Dresden mehr Zeit einplanen. Die S-Bahnen fuhren in der Stadt gar nicht und ab dem Stadtrand nur vereinzelt, die S1 etwa ab Reick nach Schöna. Es handelte sich aber nur um einen einzigen Zug. Auch ab Klotzsche gab es am Vormittag vereinzelt Züge, die zum Beispiel nach Kamenz fuhren. Fernverkehrszüge wurden umgeleitet.

Das überraschende Reise-Aus traf in Dresden Neustadt auch die kleine Vierergruppe, zu der Lisbeth Vogel gehörte. „Jetzt sitzen wir da und warten erst mal“, sagte die 76-Jährige. Sie hatte es sich mit ihrem Mann und den Freunden aus Norddeutschland vor dem Bahnhof im Schatten mehrerer Bäume bequem gemacht. „Die Bahn kann ja nix dafür, wenn solche Idioten Mist machen“, meint die Seniorin aus der Ostlausitz.

Die „Idioten“, von denen die Hoyerswerdaerin sprach, könnten militante Linksextremisten gewesen sein. Dafür spricht unter anderem ein Bekennerschreiben, das auf der Internetplattform „linksunten.indymedia.org“ aufgetaucht ist. Dort bekannte sich eine Gruppe mit dem Namen „Shutdown G20 – Hamburg vom Netz nehmen“ zu den Brandanschlägen. Mit der Parole „Shut Down G-20“ mobilisieren Autonome seit Monaten zu Protestveranstaltungen gegen den Gipfel, der am 7. und 8. Juli stattfindet und bei dem auch US-Präsident Donald Trump auftreten soll. Die Berliner Polizei prüft, ob das Bekennerschreiben wirklich echt ist. Es „passe ins Raster“, hieß es am Montag aus Sicherheitskreisen.

Die Bahn reagierte im Hauptbahnhof mit Notfallmanagern, die zusätzlich zu den Mitarbeitern im Reisezentrum und in der Auskunft versuchten, den Fahrgästen mit Rat und Tat zu helfen. In Dresden-Neustadt gab es diese zusätzliche Hilfe nicht.

Bei Lisbeth Vogel war der Ärger über die unfreiwillige Reisepause schnell verflogen. Sie konnte auf Verwandschaftshilfe bauen. Wolfgang Hartmann, der Neffe ihrer Husumer Freundin, kam mit einem Kleinbus aus dem ostsächsischen Spreetal nach Dresden, um die kleine Reisegruppe an die Nordsee zu fahren. „Ich habe bei meinem Arbeitgeber in der Nähe von Cottbus gefragt, ob ich einen Tag freimachen kann“, erzählte der 56-Jährige. „Dann bin ich eineinhalb Stunden hierher gefahren.“ Kurz nach 10 Uhr machte er sich mit dem Quartett im Auto auf den Weg. Sieben Stunden hin, sieben Stunden zurück, rechnete Wolfgang Hartmann.

Unterdessen gab es am späten Vormittag von Jörg Puchmüller, dem Sprecher der Länderbahn, erste Entwarnungsmeldungen. „Die elektronischen Stellwerke Dresden-Neustadt und Dresden-Hauptbahnhof sind seit 10.30 Uhr wieder in Betrieb“, berichtete Puchmüller. Die Trilex-Züge könnten wieder fahren, allerdings noch nicht durchgehend nach Fahrplan. Erst am Nachmittag kamen auch von der Deutschen Bahn erste positive Meldungen. Demnach konnte die S1 kurz nach 13 Uhr wieder fahren, auch der Regionalexpress von Dresden nach Hoyerswerda war wieder im Einsatz. Das galt auch für den RE 50 zwischen Leipzig und Dresden, wenn auch mit Verspätungen. Wann alle Züge wieder planmäßig fahren, konnte die Bahn noch nicht sagen.

Parallel zu den Fahrgästen bekamen auch Telefonkunden von Vodafone Auswirkungen der Brandanschläge bei Leipzig zu spüren. Denn in den Kabeltrassen der Bahn liegen auch Leitungen für Festnetz- und Mobilfunkverbindungen des Düsseldorfer Unternehmens, teilte Sprecher Volker Petendorf mit. Sie wurden bei den Brandanschlägen ebenfalls beschädigt. Etwa 14 000 Privat- und Geschäftskunden in Mitteldeutschland waren betroffen, sagte Petendorf. Die Instandsetzungsarbeiten wurden noch am Montagnachmittag gestartet. Wann Vodafone-Kunden wieder störungsfrei telefonieren und im Netz surfen können, sagte Petendorf nicht. (mit dpa)