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Alles legal oder alles Schummel?

In Leipzig hat der Prozess gegen drei Unister-Manager begonnen. Sie sollen Kunden, Staat und Partner betrogen haben.

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© dpa/Jan Woitas

Ulrich Wolf und Sven Heitkamp

Leipzig. Die Panne war klein, aber doch groß genug, um einen Schauder auszulösen: Als das Landgericht Leipzig am vergangenen Donnerstagmorgen seine Terminliste an die Medien schickte, stand der Name von Thomas Wagner noch unter dem Aktenzeichen 391 Js 57/13. Hinter dem Kürzel verbirgt sich ein aufsehenerregender Wirtschaftsstrafprozess: Haben Manager der Firma Unister mit Marken wie fluege.de oder ab-in-den-urlaub.de Kunden, Geschäftspartner und den Staat geprellt?

Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden bejaht das. Unister-Gründer Thomas Wagner aber kann nichts mehr zur Aufklärung beitragen. Er starb bei einem Flugzeugabsturz in den slowenischen Bergen Mitte Juli 2016. Eine halbe Stunde nach dem Versand ihrer Vorschau schickte die Pressestelle des Leipziger Landgerichts die Korrektur.

Um Korrektheit bemühen sich zum Prozessauftakt am Mittwochmorgen auch die Angeklagten. Daniel Kirchhof erscheint im dunkelgrauen Anzug mit Schlips. Der 39-Jährige war Finanzchef der Unister-Holding, zudem Aufsichtsratsvorsitzender der Firmentochter Travel24 AG. Ebenfalls angeklagt sind der 59 Jahre alte Thomas Gudel, ehemals Finanzchef von Travel24, sowie der frühere Leiter der Unister-Flugsparte, Holger Friedrich, 51. Gudel trat vor Kurzem als Aufsichtsratschef eines chinesischen Bambushändlers mit Sitz in Hamburg zurück, arbeitet als Steuerberater in Hessen. Friedrich verließ 1989 die Handelshochschule Leipzig als Diplom-Ökonom, arbeitete unter anderem für das Kreditkarten-Unternehmen American Express und war im April 2008 zu Unister gestoßen.

Im Saal 14 des Landgerichts ist den drei Angeklagten ins Gesicht geschrieben, dass sie sich zu Unrecht verfolgt fühlen. Sie erklären den zahlreich erschienenen Journalisten, wie verärgert sie seien über die Generalstaatsanwaltschaft, die die „ganze komplizierte Materie“ gar nicht verstehe. In einer Verhandlungspause verteilt Kirchhof eine persönliche Erklärung: Die Anklage könne er „weder nachvollziehen, noch irgendeinen Zusammenhang erkennen zu seiner Person“. Das Verfahren sei „eine nahezu existenzvernichtende Belastung“. Wer für was die Verantwortung habe, sei bis heute unklar.

Vier Jahre bis zum Prozess

Vor etwas mehr als vier Jahren durchsuchten 130 Polizeibeamte 20 Wohnungen und Büros in vier Städten, darunter auch die Unister-Zentrale in Leipzig. Wagner und Kirchhof kamen in Untersuchungshaft, nach Zahlung sechstelliger Kautionen wieder auf freien Fuß. Nur der ebenfalls inhaftierte Gudel saß länger ein und musste Weihnachten 2012 in einer Einzelzelle der Dresdner Justizvollzugsanstalt verbringen.

Derweil begann für die Ermittler das große Puzzeln. Sie wühlten sich durch Unmengen an Daten. Im Dezember 2013 war die erste Anklage fertig. Doch das Landgericht Leipzig kam zu dem Schluss, dass diese nur teilweise zulässig ist. Die Staatsanwaltschaft forschte weiter, reichte zwischenzeitlich eine zweite Anklage ein, wieder prüften die Richter. Sie strichen diverse Punkte, fassten die Anklagen letztlich zusammen und terminierten den Prozessbeginn auf Ende April 2016. Nun hatte die Staatsanwaltschaft Einwände, legte Beschwerde ein. Dann verunglückte der Hauptangeklagte Wagner. Noch im September gab es in dem Verfahren 49 Beschuldigte. Die meisten Verfahren davon sind mittlerweile aber eingestellt, einige der früheren Beschuldigten sollen in dem nun begonnenen Prozess aussagen.

Ihre Ermittlungsergebnisse tragen die Staatsanwälte Dirk Reuter und Marcus Leder stehend, teils mit ausgestrecktem Arm und lauter klarer Stimme abwechselnd vor. 48 Seiten, fast fünf Stunden lang. Inklusive Hunderter Tabellen umfasst die Anklage sogar rund 1 000 Seiten. Das Anklageduo geht davon aus, dass die beschuldigten Unister-Manager durchaus wussten, was sie taten. Sie hätten viel Aufwand betrieben, um Betrügereien und Steuerhinterziehungen in Millionenhöhe zu verschleiern.

Die Ermittler werteten 87 000 Fälle aus, durch die ein Schaden von 7,6 Millionen Euro entstanden sein soll. Etwa dadurch, dass Zehntausende Flugtickets nachträglich auf günstigere Tarife umgebucht wurden. Die Differenz zum ursprünglich von Reisenden verlangten Preis soll Unister einbehalten haben. Zudem seien Staat und Versicherer betrogen worden.

Bereits 2010 hatte das Magazin Wirtschaftswoche geschrieben, Unister verfolge „ein respektloses bis hinterhältiges Geschäftsmodell“. Verbraucherzentralen klagten teilweise erfolgreich gegen die Buchungspraxis, mit Datenschützern lag das Unternehmen im Dauerclinch. Das Unternehmen, das Wagner und einige seiner Freunde vor 14 Jahren gegründet hatten, wies die Vorwürfe stets zurück.

Freibrief von der Finanzaufsicht?

Auch nun ist das die Strategie der Verteidigung. Der Anwalt von Holger Friedrich etwa, der Frankfurter Wirtschaftsstrafrechtsexperte Thomas Filler, sagt, die Vorwürfe seien in Wirklichkeit Praxis in vielen großen Reiseunternehmen. „Die ganze Branche versteht nicht, was hier in Leipzig passiert.“ Die angeblichen Versicherungen der Unister-Reiseangebote seien Nebenprodukte gewesen, für die es von der Bundesfinanzaufsicht sogar einen „Freibrief“ gegeben habe. Filler kritisierte die Ermittlungen als „äußerst einseitig“.

Gründer Thomas Wagner hatte noch zu seinen Lebzeiten der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, erst deren Maßnahmen hätten Unister ins Trudeln gebracht. Zumindest aber führten sie zum Bruch mit seinem Weggefährten Kirchhof. Die Erfahrung der U-Haft entzweite sie. Unmittelbar nach dem Tod Wagners stellte Kirchhof es so dar, als sei er es maßgeblich gewesen, der auf eine Reform des Geschäftsmodells gedrängt habe. Es habe Streit mit Wagner gegeben, letztendlich habe der ihn aus der Firma drängen wollen. Entsprechende Beschlussanträge für die Gesellschafterversammlungen von Unister und Travel24 existieren tatsächlich.

Der Absturz kommt erst noch

Die Hintergründe des Todes von Wagner sowie seines obskuren Millionendeals in Venedig sind Gegenstand weiterer Ermittlungen. Sie spielen im jetzigen Prozess keine Rolle. Wagner hatte in Venedig einem angeblichen Diamantenhändler 1,5 Millionen Euro übergeben. Im Gegenzug hoffte er auf 15 Millionen Euro Kredit für Unister, bekam aber Falschgeld angedreht. Auf seiner Rückreise stürzte das Kleinflugzeug über Slowenien ab. Ein an dem mutmaßlichen Betrug beteiligter Mann sitzt in Untersuchungshaft, die Anklage gegen ihn ist bereits fertig.

Die Unternehmensholding ging nach dem Tod Wagners in die Insolvenz. Eine Investmentgesellschaft aus Prag erwarb die Reisesparte kurz vor Weihnachten. So konnten zumindest vorerst 520 Jobs gerettet werden. Die gesamte Holding hat noch rund 800 von einst 1 800 Mitarbeitern.

Am nächsten Prozesstag in Leipzig will sich Kirchhof äußern. „Ein Tag wird dazu gar nicht reichen“, sagt er. Er lässt sich von Arndt Hochstädter, einem der Mitorganisatoren der Leipziger Legida-Bewegung, verteidigen. Insgesamt sind 18 Verhandlungstage bis Mitte Juni angesetzt. Richter Volker Sander bat jedoch alle Beteiligten, beim nächsten Mal, voraussichtlich am 26. Januar, ihre Kalender mitzubringen – für weitere Termine über den Sommer hinaus. Die Verteidiger gehen ohnehin davon aus, dass nicht in Leipzig das letzte Wort über ihre Mandanten gesprochen wird, sondern am Bundesgerichtshof in Karlsruhe.