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Alles Hanf, oder was?

Jahrtausende lang war Hanf ein treuer Begleiter des Menschen. Dann wurde sein Anbau verboten. Jetzt ist er wieder zurück.

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© Ronald Bonß

Von Ines Mallek-Klein

Norman Schirmer trägt Baumwoll-T-Shirts selten. Sehr selten und dann auch nur für ein paar Stunden, wenn er vor der Bühne seiner Lieblingsbands wie Iron Maiden steht. Fanshirts gibt es nicht aus Hanf. „Noch nicht“, sagt der Unternehmer aus dem sächsischen Stollberg.

Das Erzgebirge hat mit seinen 60 Textil- und Bekleidungsherstellern die größte Branchendichte in den neuen Bundesländern. Eine Region, die perfekt geeignet scheint für eine kleine Revolution. Oder besser: für ein Comeback. Der Hanf, Jahrtausende ein unverzichtbarer Begleiter des Menschen, erlebt eine Renaissance. Und Norman Schirmer gehört zu den Unternehmern, die den Wert des Rohstoffs erkannt haben.

Wer seinen kleinen Laden in der Stollberger Schillerstraße besucht, der wird von einem blumig-frischen Sommerduft umfangen. Die Hanfseife im Holzregal sorgt für wohliges Nasenkitzeln. Norman Schirmer begrüßt seine Gäste mit einem festen Händedruck, bittet sie, sich im Laden umzuschauen oder einfach auf einer der Bänke Platz zu nehmen. Er verschwindet in seinem Büro, in dem der Wasserkocher brodelt, um Minuten später mit zwei Teetassen zurückzukommen. Hanftee mit Minze. „Der ist echt lecker“, sagt der 41-Jährige.

Es war der Hanftee, mit dem alles begann. Seine Eltern hatten ihn von einer Reise nach Thüringen mitgebracht. „Geschmacklich hat er mich eigentlich gar nicht begeistert, aber er war der Anlass, warum ich begann, Bücher über den Hanf zu lesen“, sagt Norman Schirmer. Er arbeitete damals in einem Chemnitzer Textilmaschinenbetrieb, war gut bezahlt, alles schien perfekt. Doch Norman Schirmer war unglücklich. „Wenn ich so weitergemacht hätte, hätte ich wahrscheinlich meine Gesundheit aufs Spiel gesetzt“, sagt er rückblickend. Er orientierte sich um, begann berufsbegleitend eine kaufmännische Ausbildung und eröffnete schließlich einen Onlinehandel für Hanfprodukte.

Sein Sortiment überrascht. Es ist erst ein paar Wochen her, da kam eine kleine Gruppe Jugendlicher. Beschwingt öffneten sie die Ecktür – und waren einigermaßen enttäuscht beim Anblick von Hanf-Erdnuss-Mus und dem Hanf-Mehl für den Bratling. Sie hatten anderes erwartet.

Norman Schirmer kennt die Vorurteile. Er hat deshalb die Eröffnung seines Hanfladens auch bei der örtlichen Polizeidienststelle angezeigt. Die Beamten dankten für den Hinweis. einige von ihnen sind heute Kunden bei Norman Schirmer.

Hanf war ein wichtiger Rohstofflieferant in der Menschheitsgeschichte. Bis 1937, da wurde Hanf durch den Marihuana Tax Act verboten. Auf Drängen der amerikanischen Waldbesitzer und der Chemiekonzerne, ist Norman Schirmer überzeugt. „Im Jahr des Hanfverbotes meldete der Konzern Dupont sein erstes Patent für Kunstfasern auf Erdöl-Basis an. Es war die Geburtsstunde des Nylon. Das ist ganz sicher kein Zufall“, so Schirmer. Schon in den 1920er-Jahren gab es in Afrika und Europa Bestrebungen, Hanf zu verbieten. Tinkturen auf der Basis von Cannabis wurden damals weltweit als preiswerte Arzneimittel genutzt. Von ihrem Verbot profitierten dann vor allem die Pharmakonzerne, die mit Heroin und Kokain arbeiteteten, erzählt Norman Schirmer von seinen Recherchen.

Für ihn ist Hanf kein Suchtmittel, sondern ein Rohstoff. Das hat er auch den Jugendlichen erklärt, die ihn vor wenigen Wochen besucht haben. Seine Stiele liefern Fasern, aus denen Shirts, Jeans oder Unterwäsche hergestellt werden können, genauso wie hochwertiges Dämmmaterial. Die Samen, botanisch gesehen sind es Nüsse, sind ölhaltig. Sie können gepresst und anschließend zu Mehl vermahlen werden. Hanf-öl gehöre zu den gesundesten Ölen überhaupt, ist Schirmer überzeugt. Es enthalte viele essentielle Fettsäuren, Mineralstoffe und Vitamine. Die Blätter des Hanfes eignen sich dagegen getrocknet als Tee, und die Blüten geben der Kosmetik ihr besonderes Aroma.

Der oberirdische Teil der Hanfpflanze kann zu 100 Prozent verarbeitet werden. Und der unterirdische, oft genauso große Teil verbleibt als Biomasse in der Erde, verrottet dort und reichert den Boden mit Nährstoffen an. Hanf ist der beste Biodünger. Studien haben gezeigt, dass die Erträge mit Folgekulturen auf ehemaligen Hanffeldern um 20 bis 30 Prozent gesteigert werden können. Und der Hanf selbst, der ist eher anspruchslos. Er wächst, abhängig von der Sorte, selbst in Sibirien, braucht deutlich weniger Wasser als beispielsweise Baumwolle und muss nicht gedüngt werden. Alle Eigenschaften, die der Hanf hat, hat er von Natur aus. „Patente kann hier keiner anmelden – und das machte den Hanf für die Saatgutriesen auch lange Zeit so uninteressant“, sagt Schirmer. „Obwohl Monsanto und Co schon viele Jahre forschen.“ Aber Hanf kann man nicht besser machen. Seine Ökobilanz ist sensationell.

Das hat auch schon Henry Ford erkannt. Er präsentierte 1941 sein legendäres Hanf-Auto mit einer hanffaserverstärkten Kunststoffkarosse. Der Motor lief mit Hanföl beziehungsweise Methanol. Die Hanffaser war um das Zehnfache stoßfester als eine Stahlkarosserie, hatte aber nur zwei Drittel des Gewichts. Das Hanfverbot hat das erste Ökoauto der Geschichte aus dem Verkehr gezogen.

Mittlerweile ist der Anbau von Nutzhanf in Deutschland wieder erlaubt, die Pflanze kehrt langsam auf deutsche Felder zurück. Vor allem in Bayern und in der Uckermark säen Landwirte die THC-arme Variante aus. Die Hanfbauern müssen hauptberufliche Landwirte sein und ihr Betrieb muss eine Mindestgröße aufweisen, erst dann dürfen sie den Antrag auf eine Anbaugenehmigung stellen. Wer Anbauversuche im heimischen Garten startet, macht sich trotz Lockerungen im Betäubungsmittelgesetz strafbar. Und trotz der schrittweisen Freigabe: Deutschland ist in Sachen Hanfanbau noch Entwicklungsland, sagt Norman Schirmer. Die Anbaufläche lag 2015 bei gerade einmal 2000 Hektar.

China ist da weiter. Seit gut einem Jahrzehnt wird dort wieder intensiv Hanf angebaut, weil der Bedarf steigt, vor allem an Fasern, die zu Stoffen verarbeitet werden können. „Wer einmal Kleidung aus Hanf getragen hat, wird nie wieder etwas anderes kaufen wollen“, sagt Norman Schirmer. Die Lufteinschlüsse in den Fasern sorgen für ein sehr angenehmes Tragegefühl. Hanf-Shirts kühlen im Sommer und wärmen im Winter. Sie haben zudem eine natürliche antibakterielle Wirkung, was die Geruchsbildung deutlich reduziert.

Hanfbekleidung ist, fair hergestellt und gehandelt, nicht ganz preiswert. Shirts gibt es für 40 Euro, Jeans ab 100 Euro – bislang nur für Erwachsene. Das wollte Norman Schirmer, mittlerweile zweifacher Familienvater ändern. Er entwarf mit einer Berliner Textildesignerin Kurz- und Langarmshirts für Kleinkinder, nutzte dann seine Kontakte im Hanfliebe-Netzwerk und organisierte die Stoffe. Sie sind nicht schreiend pink oder grellgrün, sondern naturfarben. Akzente setzen farbige Garne und kleine Knöpfe. Doch Hanfstoffe sind rar. Norman Schirmer bezieht die nötigen Rohstoffe aktuell aus ganz Europa. Doch auch damit waren längst nicht alle Probleme gelöst, denn selbst in der Heimat der Textilmaschinenbauer gibt es momentan keine Technik, auf der die Hanfstoffe sauber verarbeitet werden können. Eine französische Rundstrickmaschine, die über 100 Jahre alt ist und schon ihren Platz im Museum gefunden hatte, musste reaktiviert werden, um den Hanfstoff zu verarbeiten. „Hier gibt es einen großen technologischen Rückstand gegenüber den heute etablierten Faserarten. Das wäre mal eine Herausforderung für unsere Maschinenbauer“, sagt Norman Schirmer. Er ist überzeugt: „Der Markt für hanffasertaugliche Technik wird kommen.“

Genäht wird die Kinderkleidung aus Hanf in Jahnsdorf im Studio U+N, einem Lohnkonfektionierer mit Referenzen aus aller Welt. Die Wege sind kurz, die Qualität ist super und der Preis mit 36 Euro für ein Langarmshirt auch vertretbar, findet der Unternehmer. Für ihn ist die erste eigene Modekollektion, ein Experiment. „Ich hoffe nicht auf gigantische Erträge“, sagt Schirmer. Doch die Nachfrage ist groß – und schon gibt es erste Pläne, die bis zur Größe 110 reichende Kollektion weiter auszubauen. Erst einmal soll in diesem Sommer eine Unterwäschekollektion für den Herren folgen, in Schwarz oder Anthrazit. „Wir stemmen die Produktentwicklung mit Partnern und aus eigener Kraft“, sagt der 41-Jährige. Er würde gerne Unterstützung von Banken nutzen. „Für die lohnt ein Kredit über 10 000 Euro aber nicht, und für 50 000 Euro möchte ich nicht das Risiko übernehmen.“ Also wächst sein Geschäft „Hanfare“ in kleinen Schritten. Langsam, aber beständig, so wie die langsam wieder sachlicher werdende Diskussion um den Hanf.