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Allein zu zweit

Fast jedes vierte Kind wächst bei nur einem Elternteil auf. Für Alleinerziehende mit Job eine enorme Herausforderung.

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© Sven Ellger

Von Nora Domschke

Schon wieder winkt eine Erhöhung der Beiträge für Dresdner Kitas und Schulhorte. Ab September müssen Eltern noch einmal tiefer in die Tasche greifen. Während einige Familien die zusätzliche Ausgabe finanziell wohl kaum spüren, müssen andere den Gürtel etwas enger schnallen. Hart trifft es vor allem Alleinerziehende, die trotz der Herausforderung, den Alltag ohne Hilfe meistern zu müssen, arbeiten gehen. So wie Myrjam Hartung. Mit ihrem fünfjährigen Sohn Carlson lebt die junge Mutter in Leuben – allein.

Seinen Vater besucht Carlson alle 14 Tage für ein Wochenende. Myrjams Eltern und Großeltern leben in Zwickau. Dass es im Alltag auf gute Organisation ankommt, weiß die 28-jährige Dresdnerin nur zu gut. Die Versicherungsfachfrau geht Vollzeit arbeiten, hat in Cotta ein kleines Büro in einem Versicherungscenter. „Da ich selbstständig bin, kann ich mir meine Arbeitszeit zum Glück flexibel einteilen“, sagt Myrjam Hartung. Morgens nimmt sie sich Zeit für Carlson, schafft ihn erst 9 Uhr in die Kita nach Niedersedlitz. Weil sie am Abend oft Termine hat, wird ihr Sohn an diesen Tagen von einer sogenannten Leihoma von der Kita abgeholt. „Ohne sie würde ich es nicht schaffen.“ Auf dieses Angebot ist Hartung im Internet aufmerksam geworden. „Ich habe nach Möglichkeiten der Kinderbetreuung gesucht und bin auf das Frauenförderwerk gestoßen.“ Der Dresdner Verein unterstützt damit insbesondere alleinerziehende Mütter, die den Alltag mit Kindern komplett allein stemmen müssen. Damit diese Frauen trotzdem arbeiten gehen können und nicht auf Sozialleistungen angewiesen sind, wurde 2011 das Alleinerziehenden-Netzwerk Dresden gegründet, das seit vergangenem Jahr vom Frauenförderwerk betreut wird. Finanziell unterstützt wird das Projekt vom Freistaat.

Trotz aller Bemühungen wird es für Familien, in denen die Kinder bei nur einem Elternteil aufwachsen, immer schwerer, finanziell über die Runden zu kommen. Fast ein Viertel aller Dresdner Kinder, also mehr als 18 000, leben derzeit entweder bei Mutter oder Vater. Zum Vergleich: 2007 waren es 15 000. Die Zahl der Alleinerziehenden ist von 11 000 im Jahr 2007 auf fast 12 800 im vergangenen Jahr gestiegen. Wie groß dabei der Anteil an Vätern beziehungsweise Müttern in Dresden insgesamt ist, wird statistisch nicht ermittelt. Weil sich für Alleinerziehende die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders schwierig gestaltet, sind mittlerweile mehr als die Hälfte von ihnen auf Sozialleistungen angewiesen. Wer trotzdem arbeiten geht, landet schnell in der Schuldenfalle. So verzeichnen die Schuldnerberatungsstellen der freien Träger in der Landeshauptstadt einen starken Zulauf. Sechs solcher Anlaufstellen gibt es hier. 2016 suchten mehr als 3 500 Dresdner die Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt, der Gemeinnützigen Gesellschaft Striesen Pentacon und der Caritas auf. Fast jeder vierte von ihnen hat Schulden beim Vermieter oder beim Stromversorger.

Das hat vor allem einen Grund: „Viele Alleinerziehende gehen nur Teilzeit arbeiten“, sagt Sebastian Kieslich vom Caritasverband Dresden. Sie machen den Großteil der sogenannten Aufstocker aus, die trotz Arbeit zusätzlich Geld vom Jobcenter bekommen. In Dresden sind das rund 45 Prozent der Hartz-IV-Bezieher. Ende 2016 hatten 4 800 Alleinerziehende gar keinen Job – das entspricht 18 Prozent aller Arbeitsuchenden. Mit fast 93 Prozent sind es vor allem Mütter, die nicht arbeiten gehen.

Für Myrjam Hartung war Arbeitslosigkeit immer die größte Angst. Vor der Geburt von Carlson hatte sie ursprünglich einen ganz anderen beruflichen Plan. Neben ihrem Vollzeitjob in einer Werbeagentur studierte sie Medieninformatik, lernte dabei auch den Vater von Carlson kennen. Im ersten Semester dann die frohe Botschaft: Myrjam war schwanger. „Wir wollten das gemeinsam schaffen“, erinnert sich die junge Frau heute. Doch es kam anders. Als Carlson zwei Jahre alt war, trennte sich das Paar. „Ich musste eine neue Wohnung suchen, hatte als Studentin aber kaum Geld“, sagt Myrjam Hartung. Also zieht sie in eine Leubener Plattenbauwohnung, gibt 2015 letztlich ihr Studium auf – im sechsten Semester. „Ich musste arbeiten gehen, sonst hätte ich es finanziell nicht geschafft.“ Aufgeben und auf Kosten des Staates leben war für sie indes nie eine Option. „Klar ist es schwierig, aber wenn man sich gut organisiert und sich Hilfe holt, geht alles.“ Im vergangenen Jahr schloss sie ihre Ausbildung als Versicherungsfachfrau ab. Mit dem Verdienst und dem Unterhalt des Vaters geht es irgendwie, sagt sie. Auch, wenn der neue Kita-Beitrag weh tut. Ihr größter Wunsch: „Ich möchte mit Carlson in eine schöne Wohnung ziehen – am liebsten nach Niedersedlitz.“

Wenn’s allein zu viel wird