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Allein unter Schafen

Der Schäfer Maik Hahn zieht mit seiner Herde bald wieder von Diesbar-Seußlitz nach Riesa. Ein Besuch im Winterquartier.

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© Sebastian Schultz

Von Antje Steglich

Großräschen/ Nünchritz. Es regnet, und der Wind pfeift ordentlich. Ringsum reihen sich Wälder, alte Sumpfwiesen und Felder aneinander. Dazwischen die sogenannten Plinsdörfer, die ihrem Namen einem traditionellen Gericht aus Buchweizenmehl verdanken. Das ist das Stichwort für Maik Hahn, der zufrieden an seinem verbeulten VW lehnt und mit dem Schäferstab in der feuchten Erde kratzt. Die Alten waren nämlich noch clever, sagt er. Der Buchweizen wuchs schon immer gut auf den kargen Böden im Brandenburgischen, weshalb ihn sich auch die armen Bauern leisten konnten. Sie pflanzten zudem viele Eichen um ihre Flächen, um die Tiere das ganze Jahr satt zu kriegen. Davon profitieren nun auch die Schafe von Maik Hahn. Gerade in diesem Winter. „Der war richtig hart. Bis minus 15 Grad hatten wir. Ich war schon kurz davor, Heu zu kaufen“, erzählt der Schäfer. Auf etwa 500 Tiere ist seine Herde mittlerweile gewachsen. Seit Dezember kommen täglich neue Lämmer dazu. Einen Stall haben die meisten von ihnen jedoch noch nie gesehen.

Leitschaft Franzi ist eines der wenigen mit Glocke, die soll unter anderem Wild abhalten.
Leitschaft Franzi ist eines der wenigen mit Glocke, die soll unter anderem Wild abhalten. © Sebastian Schultz
Zur Herde gehören zurzeit etwa 150 Lämmer.
Zur Herde gehören zurzeit etwa 150 Lämmer. © Sebastian Schultz

„Für jede Landschaft gibt es das richtige Schaf“, ist der 36-Jährige überzeugt. Für Merinos hat er nicht viel übrig und nennt sie „Erichs letzte Rache“. Bei seinen „Füchsen“ kommt er dagegen richtig ins Schwärmen. Vor knapp 20 Jahren habe er sich in die Rasse Coburger Fuchsschaf verliebt. In deren Bodenständigkeit und Widerstandsfähigkeit. Die Tiere kämen mit dem aus, was die Natur zu bieten hat. Auch mal mit schlechtem Wetter und schlechtem Futter. Pellets kauft Maik Hahn für seine Tiere jedenfalls nicht, auch Medikamente nur selten. Nur ein gutes Dutzend Schafe zieht er regelmäßig zu Hause mit der Flasche auf, wenn die Mütter zum Beispiel mit Zwillingen überfordert wären. „Zurück zur Natur“, lautet seine Philosophie. Schlecht geht es den Tieren damit wohl nicht.

Wenn Maik Hahn über den 90 Zentimeter hohen Wolfsschutzzaun steigt, – eine Pflichtinvestition, wenn man von drei Rudeln umgeben ist –, beginnt augenblicklich das große Mähen in der Herde. Schaf für Schaf löst sich aus der weiß-braunen Masse, die eben noch ihre Hinterteile Richtung Regen gestreckt hat, und trottet gemächlich dem Schäfer entgegen. Hurvínek ist der Erste, der sich bei Maik Hahn seine Streicheleinheiten holt. Der Bock ist gerade Mal ein Jahr alt und gehört zu den Leitschafen in der Herde. „Ich habe ihn mit der Flasche aufgezogen und schnell gemerkt, dass er Grips hat“, erinnert sich der Schäfer an den vergangenen Sommer, als er das erste Mal für die Pflege der Elbwiesen zwischen Diesbar-Seußlitz und Elbbrücke zuständig war. Hurvínek ist also eigentlich ein Nünchritzer – und wird in wenigen Wochen an seinen Geburtsort zurückkehren.

Viele Nächte im Wohnwagen

Voraussichtlich Ende März, Anfang April – wenn die Herde noch einmal geschoren wurde – geht es mit Lkw Richtung Sachsen, kündigt Maik Hahn an. Denn der Vertrag mit der Gemeinde Nünchritz über die Pflege der Elbwiesen läuft noch drei Jahre. Zudem hat der Schäfer auch eine Vereinbarung mit dem Wasser- und Schifffahrtsamt geschlossen und kommt so dieses Mal auch erstmals auf die Riesaer Elbseite, erzählt Maik Hahn. Er freut sich schon drauf. Auf die Landschaft, auf die Nächte im Wohnwagen, auf die Gespräche mit den Nünchritzern und darauf, dass sich seine Tiere richtig satt fressen können. Und irgendwie ist es ja auch für ihn eine Rückkehr an seinen Geburtsort.

Geboren wurde der 36-Jährige nämlich in Kreinitz, wo seine Eltern zunächst selbst in der Schäferei arbeiteten. Später wechselten sie zwar in die Braunkohle-Industrie und zogen ins brandenburgische Großräschen – beim Sohn aber blieb die Liebe zum Beruf des Schäfers. „Während der Ausbildung habe ich viel Dreck gefressen. Viele Unternehmen wirtschaften auf Kosten der Angestellten oder der Tiere“, kritisiert Maik Hahn. „Aber ich hatte ein Ziel: Ich wollte unbedingt Schäfer werden. Deshalb hielt ich durch“. Jetzt ist er selbst Meister und will ab August ausbilden. Auf seine Weise. „Man kann als Schäfer gutes Geld verdienen“, sagt Hahn mit Blick auf seine drei Standbeine: Wolle, Fleisch und Landschaftspflege. Auch ohne Agrarförderung. Aber eben nicht über Nacht. Und auch ein gewisses Engagement ist Voraussetzung.

Der Tag von Maik Hahn beginnt auch jetzt, im Winter, jeden Tag um vier. Frühstück und Bürokram beschäftigen ihn die ersten Stunden des Tages, bevor er spätestens um sieben das erste Mal auf der Weide steht. Zuerst schaut er dann nach den Lämmern. Die laufen zwar schon nach wenigen Stunden mit der Herde, verlieren aber schon mal den Überblick. Der Schäfer dagegen scheint jedes Einzelne zu kennen und fängt des Öfteren kleine Ausreißer ein, um sie zur Mutter zurückzubringen. „Ich liebe meine Tiere eben“, sagt der Hüne schlicht. Die Welt könnte eine bessere sein, wenn mehr Menschen mit der Natur leben und arbeiten, mehr geerdet sind, findet er.