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Alle zwei Jahre wieder, immer in der Weihnachtszeit

Im Februar 2011 soll Tim H. in Dresden gewaltbereite Autonome angeführt haben. Nun läuft der dritte Prozess gegen ihn.

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© René Meinig

Von Alexander Schneider

Das Zitat „Kommt nach vorne!“ wird einem heute 40-jährigen Mann aus Berlin zugeschrieben. Er heißt Tim H. und ist seit vielen Jahren in der linken Szene engagiert. Mit „Kommtnachvorne“ beginnt auch die E-Mail-Adresse von H.s Unterstützern. Seit einer Woche weisen sie auf den inzwischen dritten Prozess gegen Tim H. hin. Er soll bei den Krawallen am 19. Februar 2011 in der Dresdner Südvorstadt eine tragende Rolle gespielt haben.

Moment mal – 2011? Tausende Menschen hatten an jenem Sonnabend einen Aufmarsch von Rechtsextremen verhindert. Mit Demos, Mahnwachen, Sitzblockaden, Menschenketten – und einem bis dahin nicht dagewesenen Ausmaß an Gewalt. Tim H. soll laut Anklage vormittags beteiligt gewesen sein, als 80 bis 100 gewaltbereite Autonome in der Bamberger Straße eine Polizeikette durchbrochen hatten. Ziel sei es gewesen, unmittelbar zu dem geplanten Aufzug der Neonazis zu gelangen. H. haben mit seinem Megafon die Menge aufgeheizt und darin bestärkt, gegen die Polizisten loszugehen.

In einem ersten Prozess wurde H. im Januar 2013 am Amtsgericht Dresden wegen schweren Landfriedensbruchs und anderem zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Als nicht vorbestrafter Mann war das eine harte Strafe, der frisch gebackene Familienvater hatte sich in dem Prozess wie auch den folgenden nie zu den Vorwürfen geäußert.

Im Januar 2015 das zweite Urteil am Landgericht Dresden, nun fast vier Jahre nach den Ausschreitungen. Das Berufungsgericht sprach H. vom Vorwurf des schweren Landfriedensbruchs frei und verurteilte ihn „nur“ wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 4 050 Euro. H. habe einen Polizisten beim Durchbrechen der Kette als „Nazischwein“ beschimpft. H.s Verteidigern – Sven Richwin und Ulrich von Klinggräff aus Berlin – war es gelungen, auf den Videos die angeblich H. zeigen, mehrere weitere Megafon-Träger zu finden. Sie argumentierten, jeder hätte Sätze wie „Kommt nach vorne!“ oder „Weiter, weiter!“ sagen können. Sie sprachen von „manipulierten Videos“ und meinten die Art, wie die Polizei die Videobilder aufgearbeitet hatte.

Dieses Urteil kassierte das Oberlandesgericht im Juni 2015. Wenn H. keine Rädelsführerschaft nachzuweisen sei, so habe er möglicherweise dennoch an einem „einfachen“ Landfriedensbruch mitgewirkt – dem Angriff auf 14 Polizisten aus Nordrhein-Westfalen, denen in der Bamberger Straße etwa 500 Demonstranten gegenübergestanden hatten. Die mit Steinen, Böllern und Latten angegriffen wurden. Die sich nur etwa zehn Minuten mit Reizgas wehren konnten und als es alle war, von dem Mob förmlich überrannt wurden.

Alle zwei Jahre wieder also steht Tim H. deswegen vor einem Dresdner Gericht. Immer schön vor Weihnachten. Am Mittwoch begann der dritte Anlauf in der Berufungskammer von Richter Martin Schultze-Griebler. „Etwas langwieriger als üblicherweise“, bezeichnete er die Prozessgenese. Das ist noch positiv formuliert. Man könnte auch sagen: Wir altern gemeinsam. H. hat inzwischen zwei Kinder, arbeitet noch immer für die Bundesgeschäftsstelle der Linkspartei, seit März 2011. In einer eigenen Erklärung sagte der 40-Jährige, das überlange noch immer laufende Verfahren gegen ihn sei Strafe genug, auch eine berufliche Belastung. Wegen des Tatverdachts erhalte er etwa keinen Hausausweis des Bundestags. Etwa 10 000 Euro habe er bisher an Auslagen gehabt. Freunde hätten ihm geholfen, die Summe zu zahlen.

Das Polizeivideo des Angriffs jedoch hat auch fast sechs Jahre danach seinen Schrecken nicht verloren. Mit massiver Gewalt wurden die Beamten attackiert. Zweimal sagten sie schon als Zeugen aus – am Mittwoch waren sie jedoch nicht geladen.

Dafür der Kommissar der Dresdner Polizei, der die „19/2“ genannte Sonderkommission geleitet hatte. Etwa 3 500 gewaltbereite Autonome hätten damals in Dresden gezielt die Polizei angegriffen, schon ab 9 Uhr. Als er sagte, die Ausschreitungen seien die schlimmsten gewesen, mit denen er es zu tun hatte, schimpfte Verteidiger Richwin, das sei „Stimmungsmache“ – gleichzeitig versuchte Richwin aber auch zu belegen, dass Polizisten in der Bamberger Straße ohne Grund angeblich einen Demonstranten vermöbelt hatten. Richter Schultze-Griebler sprach ein Machtwort: „Es ist unsere Aufgabe, Beweise zu erheben.“ Hier gehe es um Tim H. und nicht um andere Taten. Deutlich wurde, dass in dem Verfahren noch immer Pfeffer steckt. Der Prozess wird fortgesetzt.